Bassines – Non Merci: Kampf ums Wasser in Frankreich geht trotz 200 Verletzter weiter

Nach dem vergangenen blutigen Wochenende werfen sich Demonstranten und Polizei gegenseitig Gewalttaten vor. Inzwischen nimmt auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron Stellung zu den sogennanten Bassines, den gigantischen Wasserbecken der Agrarindustrie.

Kein weiteres Wasserbecken mehr! Aufruf zur Demo gegen die Wasserreservoire der Agrarindustrie (Foto: Bassines - Non Merci)
Kein weiteres Wasserbecken mehr! Aufruf zur Demo gegen die Wasserreservoire der Agrarindustrie (Foto: Bassines – Non Merci)

Es sollte ein Tag der Ermahnung werden. Und der Erinnerung daran, dass Wasser ein wertvolles Gut ist. Anlass des Aktionstags im westfranzösischen Departement Deux-Sèvres war die zunehmende Zahl der sogenannten Bassines, oft auch als Mégabassines bezeichnet. Die Wasserbecken zur Bewässerung der Äcker versorgen sich aus dem Grundwasser. Das Nass aus der Erde ist aber nach zwei trockenen Wintern in Frankreich jetzt schon knapp – lange bevor die warme Jahreszeit überhaupt begonnen hat. Den Veranstaltern zufolge waren über 30 000 Aktivisten zu der Demonstration nahe dem Dörfchen Sainte-Soline gekommen. Die Polizei ging von rund 6 000 Demonstranten aus. Eingeladen hatten die wasserpolitische Initiative Bassines – Non Merci sowie die Öko- und Kleinbauerninitiative Confédération paysanne – und über hundert weitere Organisationen.

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Es wurde ein Tag der Gewalt. Rund 3 200 Polizisten waren im Einsatz. Ausgehend von den Teilnehmerzahlen der Polizei kamen auf zwei Aktivisten ein Beamter. Innenminister Gérald Darmanin hatte schon am Vorabend vorausgesagt: “Wir werden extrem harte Bilder sehen.” Am Tag danach zählten die Ordnungskräfte 47 verwundeten Polizisten. Bei zwei von ihnen vermuteten die Helfer zunächst Lebensgefahr. Schon im Vorfeld hatten die Gendarmen nach eigenen Angaben Äxte, Boule-Kugeln, Gasflaschen, Macheten und Messer beschlagnahmt. Mehrere Polizeiwagen brannten aus.

Blendungen und Verstümmelungen

Noch schlimmer kam es aber für die Aktivisten. Nach ihren Angaben wurden 200 aus ihren Reihen verletzt. 40 davon erlitten schwere Verletzungen. Zwei der Verletzten blieben über mehrere Tage im Koma. Ein Demonstrant verlor – nach Angaben der Veranstalter – ein Auge. Bei einem weiteren ist es noch nicht sicher, ob das verletzte Auge gerettet werden kann. Ein anderer Aktivist verlor seinen Fuß.

Die Polizei feuerte 4 000 Geschosse ab. Unter anderem benutzte sie die umstrittenen LBD-40. Diese Waffen verschießen vier Zentimeter starke Hartgummikugeln. Die Hersteller bezeichnen ihr Produkt vielsagend als “weniger tödlich”. Doch soll es dem britischen Sender BBC zufolge seit der Nutzung der Waffe bislang zu mindestens 40 schweren Verletzungen gekommen sein – darunter Erblindungen, Milzrisse, Hirnblutungen und Kieferbrüche.

Entgleiste Gewalt Demonstranten bergen Opfer (Foto: Bassines – Non Merci)

Vor allem die Zweiergruppen auf Quads nutzten diese Waffen häufig. Demonstranten fühlten sich bei den Angriffen der Quad-Schwadronen wie in einem Science-Fiction-Horror-Film. Der Eindruck wurde durch die Schwaden von Tränengas noch verstärkt. Weil die Quad-Gruppen teilweise mit hoher Geschindigkeit angriffen, kam es vielfach zu Unfällen zu Lasten der Demonstranten.

Sanitäter behindert

Als Skandal empfinden viele Franzosen, dass die Ordnungskräfte – allem Anschein nach – Sanitätern und Notärzten den Zugang zu Verwunderten sperrten. Ein Mitschnitt eines Gespräches zwischen einem Arzt am Ort und einem Feuerwehrmann lässt daran so gut wie keine Zweifel. Die Tonaufnahme wurde vom unter anderem vom französischen Fernsehsender France 2 im Rahmen der führenden Nachrichtensendung Le journal de 20 Heures abgespielt.

Vor allem geht um den Fall des schwer verletzten Serge. Der Aktivist war von einer Granate der Gendarmerie am Kopf getroffen worden. Der Schwerverletzte musste – nach Angaben der Veranstalter – eine Stunde und vierzig Minuten auf den Krankentransport warten. Bis zur Einlieferung in das Universtiätskrankenhaus von Poitiers vergingen nach dem Anruf drei Stunden und 40 Minuten. Serge lag darauf tagelang im Koma. Seine Familie erstattete bei der zuständigen Staatanwaltschaft in Niort Strafanzeige wegen versuchten Mordes und Behinderung von Rettung.

Doch die Behinderungen um den Demonstranten Serge waren nicht einzigen dieser Art. Die Tageszeitung Le Monde zitiert Marianne Maximi, Abgeordnete der linkspopulistischen Partei La France Insoumise in der Nationalversammlung: „Die Tatsache, dass Retter in absoluten Notfällen daran gehindert werden, den Verletzten zu helfen, ist unglaublich. Wir mussten den Präfekten anrufen, um sicherzustellen, dass sie evakuiert wurden.” Der Parlamentarierin zufolge musste sie darüber hinaus mit anderen Abgeordneten die Gendarmen auf den Quads daran hindern, Sanitäter tätlich anzugreifen.

Jagdszenen in Sainte-Soline Abtransport eines Verwundeten (Foto: Bassines – Non Merci)

Der Brutaleinsatz der Ordnungskräfte hat inzwischen zu einer zweiten Welle von Demonstrationen in unserem Nachbarland geführt. Gestern versammelten sich im ganzen Land vor 170 Prefekturen und Unterprefekturen Demonstraten, um die Polizeigewalt anzuprangern und den Rücktritt des Innenministers zu fordern. In einigen Städten wie Paris, Poitiers oder Nantes formierten sich anschließend Demonstrationszüge, die durch die Innenstädte zogen. “Damarnin, Lügner, Mörder”, skandierten die Teilnehmer. Innenminister Gérald Darmanin hatte entschieden bestritten, dass seine Beamten die Sanitäter behindert oder gar angegriffen hätten.

Macron: Neue Bassines nur unter Bedingungen

Ebenfalls gestern äußerte sich Emmanuel Macron zu den Mégabassines. “Es geht nicht darum, Wasser zu privatisieren. Oder um einigen zu erlauben, es zu monopolisieren”, erklärte der Staatspräsident und betonte, dass Wasser für Frankreichs Ernährungssouveränität wichtig sei. Damit stellte er sich in der Wasserfrage erstmals gegen die Agrarlobby. Für den staatsnahen Agrarierverband FNSEA ist es nach wie vor selbstverständlich, dass den Landwirten Frankreichs Wasser umsonst oder zum Billigstpreis zusteht. Macron ging sogar weiter. Er forderte “bedeutende Änderungen der Praktiken” bei Bewässerungsprojekten. Die Landwirte müssten künftig Wasser einsparen und den Einsatz von Pestiziden verringern.

Macron hatte gestern seinen nationalen Wasserplan vorgestellt. Alle Gruppen, Industrie, Fremdenverkehr, die Agrarbranche, aber auch die Bürger müssten angesichts der zunehmenden Trockenheit den Wasserverbrauch senken. Künftig soll der Wasserpreis gestaffelt werden. Die ersten Liter sind preiswert. Je höher der Verbrauch steigt, desto teurer wird der Preis pro Liter oder Kubikmeter. Der Präsident reagiert damit auf die dramatische Verknappung des Wassers nicht nur im Süden des Landes. Etliche Gemeinden versorgen ihre Bürger jetzt schon aus Tankwagen.

Bassines sind ökologische Katastrophen

Die zunehmende Trockenheit ist auch ein Grund für die wachsende Popularität des Widerstandes gegen den Ausbau der agrarischen Wasserbecken. Die Bassines, vor Jahren eher ein Thema für Fachleute, sind im nationalen Diskurs angekommen. Es hat sich in unserem Nachbarland herum gesprochen, dass nur vier Prozent der Bauern – meist Großbauern – Nutznießer sind. Ebenso ist es kein Geheimnis mehr, dass etwa 70 Prozent der Gelder für Errichtung und Betrieb aus öffentlichen Kassen kommen.

Auch die Verluste durch Verdunstung von bis zu 40 Prozent sind heute kollektives Wissen – ebenso wie die Tatsache, dass 60 Prozent der bewässerten Flächen zum Anbau von Tierfutter verwendet wird. Und die Franzosen wissen auch, dass die bis zu 15 Meter hohen, vollständig mit Plastik ausgekleideten Becken alles andere als Naturreservate sind. Vor allem jedoch wissen sie, dass die bis zu 720 000 Raummeter Wasser nicht durch natürliche Zuflüsse in die Bassines gelangen, sondern durch Pumpen dem Gemeingut Grundwasser entzogen werden.

Renten und Wasser – ein Kampf

Während der vergangenen Jahre hat sich das Verhältnis der Franzosen zum agrarisch-industriellen Komplex Schritt für Schritt geändert. Wurden die Bauern und ihre Lebensweise früher romatisch verklärt, wissen Franzosen heute, dass die industrialisierte Landwirtschaft enorme Umweltprobleme erzeugt. Immer weniger sind unsere Nachbarn bereit, die Politik und die schikanösen Aktionen der FNSEA-Landwirte hinzunehmen. Die aktuellen Kämpfe um die Mégabassines sind nur die Spitze eines Eisberges. Allein die Tatsache, dass die Aktionen gleichzeitig mit den massiven Streiks und Demos gegen die Rentenreform überhaupt möglich waren, zeigt, wie dringlich die Wasserfrage in Frankreich ist.

Mehr: Le Monde; L’Obs

Lothar Schnitzler

1 Kommentar

  1. Freie Übersetzung des Zeugenberichts eines Demonstranten (Familienvater, 45 Jahre alt, nicht vorbestraft, keinerlei Verbindung zum “Black bloc”.) gegen das Mega-Becken in Saint Solline, Département de Deux Sèvres, Frankreich

    Link zum Originaltext: https://ricochets.cc/TEMOIGNAGE-DE-SAINTE-SOLINE.html?fbclid=IwAR18YPH8IyqjcZHSFKsJDzgZ2x7HmyxD_b8W56xlw9TJspH9JRzJBWUT4Ig

    Als Demonstrant gegen das « Mega-Becken » in Saint Solline, Frankreich, am Wochenende (25 März), sehe ich es als meine Pflicht an, hier und heute darüber zu berichten. Zu bezeugen, was passiert ist, es auszusprechen, weiterzugeben und zwar an soviele Menschen wie möglich und damit den Teil der Wahrheit auszusprechen, den die Medien verschweigen.

    Zunächst möchte ich die einzigartige Organisation der Demonstration hervorheben: Die gute Betreuung, die Anzahl der Freiwilligen und Teilnehmer ; die unglaubliche Infrastruktur, die Aufmerksamkeit, die sowohl kleinen als auch großen Details entgegengebracht wurde (Infos, Konferenzen, Gesundheit, Austausch, Kinderbetreuung, Kantinen, Bäcker, …), der Traktorenkonvoi der Landwirte der Conféderation des paysannes (französische Bauerngewerkschaft, die für eine kleinräumige Landwirtschaft kämpft, für Umweltschutz, für die Rechte der Beschäftigten in diesem Arbeitssektor und für die Qualität der erzeugten Produkte), die eingesetzte Energie und Intensität der Demonstration.

    Ich war da. Nichts kann mein Urteil ändern. Vor allem nicht die verblüffenden Lügen der politischen, juristischen Autoritäten und der Medien. Und für die, die nicht da waren : Natürlich ist die Analyse der Organisatoren subjektiv. Aber die Fakten, Zeugenberichte, Bilder sind ausreichend um sich ein Urteil bilden zu können, was tatsächlich passiert ist.
    Auch wenn ich nicht alles gesehen habe – was schlicht unmöglich war – habe ich genug gesehen. In der Tat ist es unmöglich, alles zu sehen wenn man die Größe der Veranstaltung bedenkt, die Anzahl der Demonstranten, die Größe der Anlage und das Ausmaß an Gewalt, mit der wir konfrontiert wurden…

    Ich habe auf dem Weg zum besagten Becken einen riesigen Demonstrationszug gesehen. Einmal angekommen, einen ebenso großen Zug. Tausende von Menschen ! Nicht nur 6000, wie von der Regierung behauptet, sondern zwischen 25.000 und 30.000. Nach den zahlreichen Demonstrationen gegen die Rentenreform, an denen ich teilgenommen habe, kann ich ohne Zweifel sagen, dass die Zahl von 25.000 Menschen der Realität entspricht. Darüber hinaus kann jeder, der die unzähligen Bilder der Demonstration anschaut, nicht getäuscht werden, es sei denn, er leugnet aus Selbstgefälligkeit.

    Ich habe die Tausende Gegnerinnen und Gegner gesehen, die den Demonstrationszug formten und zu denen ich zählte : Von 7 bis 77 Jahren, Menschen, so unterschiedlich sie nur sein können. Ich suche allerdings noch immer nach den ultra-gewalttätigen Zerstörern. Militante Gruppen, entschlossen, auf die Baustelle zu gelangen, die gab es, ja. Und es ist nur logisch, dass sie organisiert und vorbereitet waren, standhalten zu können.

    An dieser Stelle möchte ich diesen Menschen meinen Respekt und meine Bewunderung aussprechen, für ihre Organisation wie auch ihre Entschlossenheit. Und danke ! Denn ja, wir waren alle da, um uns für den Schutz der Umwelt auszusprechen und um in die ganze Welt hinauszurufen dass Wasser ein Allgemeingut ist, dass der Schutz des Grundwassers dringend ist und dass es unsere Pflicht ist, diese Ressource zu teilen ! Wir waren alle da, um den Raub von Wasser zugunsten einer Hand voll Diebe anzuprangern, die von einer Armada von mehr als 3000 überbewaffneten Polizisten geschützt werden.

    Dieser Armee ausgesetzt, habe ich einen Regen von Granaten und Tränengasbomben gesehen, den hysterischen Ausbruch der Soldaten, die ausgerüstet wurden, um Schmerzen zu bereiten, zu verletzen, gar zu töten. Die Verteidigungsstrategie für dieses Megabecken, was momentan nur ein Loch in der Erde ist, war eine Strategie des Terrors und des Chaos. Mehr als 200 Verletzte nach nicht mal einer Stunde, Dutzende davon schwer verletzt, zwei davon noch immer in Lebensgefahr. Das ist das Ergebnis der militärischen Strategie gegen 30 000 Demonstranten und Demonstrantinnen, die das Leben, die Solidarität und das gerechte Verteilen der Ressourcen verteidigen. Die Regierung spricht von 7 Verletzten. Welch’ unentschuldbare Verachtung für diese Menschen, es ist eine Schande ! Soviel Dummheit ekelt mich an.

    Ich habe die Maßlosigkeit der Polizeigewalt gegenüber der Demonstrant.innen gesehen. Wie ungleich dieser Kampf ist : Trotz der Steine, einiger Feuerwerke und einer Handvoll Molokov-Cocktails ; auf der einen Seite sind da einige Dutzend unbewaffnete Aktivist.innen, auf der anderen Seite eine Armee aus tausenden, bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, die einen schier unerschöpflichen Bestand zerstörerischer Waffen zur Verfügung haben. David gegen Goliath. Ein ungleicher Kampf mit fatalem Ausgang.

    Natürlich kann man darüber diskutieren ob es sich lohnt, sich an diesem Gemetzel, ohne Chance auf positiven Ausgang, zu beteiligen. Überlassen wir das den Frauen und Männern, die ihr Leben riskiert haben. Lasst uns allerdings nicht damit aufhören, die Lügen anzupragern, die diejenigen beschmutzen, die für das Leben kämpfen, egal mit welchen Mitteln und welchen Aktionen. Denn wir haben am letzten Wochenende alle, auf unterschiedliche Weise, Gewalt derer hinnehmen müssen, die uns eigentlich beschützen sollten.

    Ich hab’s gesehen und ich sage, schreie, dass die wahren Terroristen blau-marin gekleidet sind (die Uniformen der französischen Polizei sind blau). Dass die wahren Kriminellen Krawatten tragen und in ihren warmen Büros der Präfekturen oder des Elysée-Palastes sitzen.
    Ich möchte weinen wenn ich die Lügen höre, die von der kollaborierenden Presse weitergegeben werden und die Verletzten und ihre Angehörigen in den Schmutz ziehen.

    Schweigen und Nachsicht sind unentschuldbar.

    Von Sivens bis Sainte-Solline, von den Minguettes bis nach Marseille, über die sozialen Bewegungen gegen das ungerechte Arbeitsgesetz, die Rentenreform, das Sicherheitsgesetz oder auch die Gelbwesten, egal ob der Kampf sich um die Umwelt, die Gesellschaft oder die Sozialpolitik dreht : Die Präfekturen und Regierenden, die Macrons und Darmanins haben Blut an den Händen. Wer auch immer das nicht sehen will, macht sich mit schuldig.

    NO BASSARAN !

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