“Deutschland braucht einen konkreten Ausstiegsplan für das Heizen mit Öl und Gas”

Die EU schreibt vor, wie umweltfreundlich Heizungen sein müssen. Doch die Bundesregierung darf über die Mindestanforderungen hinausgehen, sagen Friedhelm Keimeyer und Sybille Braungardt vom Öko-Institut in einem Rechtsgutachten – und erklären gegenüber Greenspotting, was nötig wäre.

Friedhelm Keimeyer, 41, ist Jurist und stellvertrender Leiter des Bereichs Recht und Governance am Öko-Institut in Freiburg, Sibylle Braungardt, 40, arbeitet dort als Umweltwissenschaftlerin und Senior Researcherin für Energie (Fotos: Öko-Institut)

Frau Braungardt, Herr Keimeyer, das Öko-Institut hat im Auftrag des Umweltbundesamtes in einem Rechtsgutachten geprüft, ob Deutschland den Einbau von fossilen Heizkesseln weiter beschränken darf, obwohl diese die betreffenden EU-Umweltvorgaben einhalten. Klingt eher nach einer juristischen Seminararbeit als nach einem forschen Plädoyer für mehr Umweltschutz, oder?

Keimeyer: Der Eindruck trügt. Unsere Untersuchung ist keine Arbeit im Elfenbeinturm, sondern hat politische Relevanz. Wir haben das Gutachten erstellt, weil es einen gewaltigen Handlungsdruck bei den Gebäuden und bei den Heizungen gibt, wenn Deutschland bis 2050 klimaneutral sein soll. Dazu ist es wichtig zu klären, ob Deutschland über die bestehenden Umweltvorschriften der EU für technische Anlagen und Geräte hinausgehen darf, die von der EU im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie verabschiedet wurden. Dies wird oft in Frage gestellt.

Und? Darf die Bundesregierung das, ohne sich den Vorwurf einzuhandeln, sie wolle nur die Viessmanns und Vaillants hier zu Lande gegenüber Herstellern aus anderen EU-Ländern bevorzugen?

Keimeyer: Rechtlich gesehen ist die Antwort eindeutig. Deutschland kann mehr tun, gerade bei Anlagen zum Heizen und zur Warmwasserbereitung. Um Bevorzugung deutscher Unternehmen geht es dabei nicht. Die einzelnen Staaten dürfen ganz ohne Zweifel national nachsteuern, zum Beispiel indem sie Vorschriften über die Wahl des Energieträgers machen. Das heißt, sie dürfen Brennstoffe wie Kohle, Öl oder Gas verbieten, auch wenn die produktbezogenen EU-Ökodesign-Verordnungen dies nicht tun. Dies wäre, wie die EU-Kommission der Bundesregierung bei der Bundesimmissionsschutzverordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen ausdrücklich bescheinigte, kein Verstoß gegen den freien Warenverkehr. Nach den EU-Verträgen ist es zudem das Recht eines Mitgliedstaates, seine Energiequellen und die allgemeine Struktur der Energieversorgung zu bestimmen.

Was schwebt Ihnen vor, was in Deuschland geschehen müsste?

Braungardt: Die Bundesregierung könnte zum Beispiel vorschreiben, dass schon vom kommenden Jahr an in neuen Gebäuden generell keine Ölheizungen mehr installiert werden dürfen und dass es auch im Bestand Beschränkungen nicht erst von 2026 an gibt. Dabei müsste es natürlich Ausnahmen für Härtefälle geben, etwa für völlig abgelegene Gebäude, in denen eine andere Form der Heizung nicht zumutbar wäre.

Gibt es Länder, die die EU-Vorschriften bereits übertreffen und an denen Deutschland sich ein Beispiel nehmen könnte?

Braungardt: Unser Gutachten zeigt, dass Österreich, die Niederlande, Dänemark und Norwegen schon früher Beschränkungen für fossile Kessel eingeführt haben als Deutschland. Österreich hat Ölheizungen im Neubau schon seit dem vergangenen Jahr verboten, während diese in Deutschland weiter eingebaut werden können. In Dänemark sind Ölheizungen im Neubau sogar schon seit 2013 nicht mehr erlaubt und dürfen in bestehenden Gebäuden seit 2016 nicht mehr eingebaut werden. Und die Niederlande haben dem Heizen mit Erdgas in Neubauten einen Riegel vorgeschoben. Das zeigt, dass es nicht diesen langen Zeitraum bis 2026 braucht, wie ihn die Bundesregierung vor rund einem Jahr beschlossen hat, um den Einbau von fossilen Heizenergieträgern einzuschränken.

Welchen seiner Nachbarn sollte sich Deutschland zum Vorbild nehmen?

Braungardt: Für mich wäre das Dänemark. Von Dänemark lernen hieße, Öl- und Gasheizungen im Neubau und Bestand stufenweise zu verbieten und zwar deutlich vor 2026.

Aber wie sollen die Leute auf Gas verzichten? Nur wenige können sich ein eigenes Häuschen mit Solarzellen auf dem Dach leisten?

Braungardt: Die Alternativen zum Heizen mit Erdgas heißen Biomasse, Solarthermie und Wärmepumpen, die zur Wärmebereitstellung Umweltwärme und Strom nutzen. Zudem geht es um die Fernwärme, in der auch Abwärme von Industrieanlagen sowie Geothermie genutzt werden können.

Kommt Ihre Erkenntnis, dass Deutschland mehr machen könnte als in den EU-Vorschriften vorgesehen, nicht etwas spät? Das langfristige Verbot von Ölheizungen wurde doch erst vor knapp einem Jahr und nach langer Diskussion beschlossen.

Keimeyer: Die Erkenntnis, dass rechtlich mehr möglich ist, als die Bundesregierung bisher beschlossen hat, kommt trotzdem zu einem guten Zeitpunkt. Denn die EU-Kommission hat ihre Klimaziele im Rahmen des Programms „Green Deal“ verschärft. Wenn Deutschland das Ziel der Treibhausgasneutralität erreichen soll, wird der Bundesregierung nichts anderes übrigbleiben, als die CO2-Emissionen im Gebäudesektor bis spätestens 2050 auf null zu senken. Die vorhandenen Potenziale zur CO2-Bindung etwa durch Aufforstung stehen dafür nicht zur Verfügung, denn sie werden schon benötigt, um nicht vermeidbare Emissionen in Industrie und Landwirtschaft zu kompensieren. Bleibt also nur, beim Heizen die Vorschriften zu verschärfen. Wenn man sieht, dass Investitionen in solche Anlagen für einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren erfolgen und noch zig Millionen Heizungen in Deutschland umgestellt werden müssen, dann ist hier ein viel höheres Tempo erforderlich – und, wie wir jetzt zeigen konnten, EU-rechtlich möglich.

In Deutschland gibt es seit rund zehn Jahren einen klaren Plan zum Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022 und seit vergangenem Jahr einen festen Plan zum Ausstieg aus der Kohle bis 2038. Braucht es einen solchen Plan auch für den Ausstieg aus dem Heizen mit fossilen Brennstoffen?

Braungardt: Wenn die Bundesregierung ihre Klimaziele – die Treibhausgasneutralität bis 2050 vorsehen – einhalten will, ist ein solcher Ausstiegsplan für das Heizen mit fossilen Brennstoffen unausweichlich. Es ist eine direkte Konsequenz dieser Ziele: Deutschland braucht einen konkreten Ausstiegsplan für das Heizen mit Öl und Gas. Die Notwendigkeit ist keine besondere Forderung aus unserem Gutachten, sondern dürfte ein weitgehend parteiübergreifender Konsens sein. Nur über die Schnelligkeit und die Ausgestaltung gibt es vermutlich noch unterschiedliche Ansichten.

Die Fragen stellte Reinhold Böhmer

Mehr zum Rechtsgutachten: Öko-Institut

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