“Grüner” Kuhhandel um Erdgas und Kernenergie zwischen Paris und Berlin

Eine Hand wäscht die andere. Bundeskanzler Olaf Scholz drückt ein Auge zu, wenn es um die Einstufung der Atomkraft als nachhaltige Energie geht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron toleriert Erdgas als nachhaltig. Tatsächlich provoziert der Deal eine neue Bruchlinie zwischen den EU-Ländern.

AKW Cattennom Mit EU-Segen als nachhaltig eingestuft (Achim Lückemeyer/pixelio.de) 

Beide Staatsführer haben bekommen, was sie wollten. Scholz, als Vertreter der gasfreundlichen SPD, bekommt einen Aufschub bis 2035 für die vorgebliche “Brückenenergie” Erdgas. Macron, der davon träumt, hunderte Mini-AKWs zu installieren, erhält für seine Pläne grünes Licht sogar bis 2045. Es geht um die sogenannte EU-Taxonomie, also die Einstufung von Energien als nachhaltige. Mit dem vorliegenden Entwurf signalisieren die EU-Behörden Investoren, dass ihr Kapitaleinsatz in Atom- oder Erdgasanlagen unbedenklich und klimafreundlich ist. So weit, so harmlos. Doch so gut wie sicher ist, dass diese Einstufung auch Einfluss auf öffentliche Förderungen haben wird.

Die EU-Kommission schickte den entsprechenden Verordnungsentwurf in der Silvesternacht an die Regierungen, wenige Minuten vor Jahreswechsel. Am größten war die Empörung in Wien. Die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sprach von einer “Nacht-und-Nebel-Aktion”. Es handele sich um einen “Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas.” Die Grüne twitterte: “Sollten diese Pläne so umgesetzt werden, werden wir klagen.”

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Grüne in Berlin sauer

Auch aus Berlin kam lauter Protest – obgleich Macron und die Kommissionchefin Ursula von der Leyen den Deal mit Bundeskanzler Scholz eingefädelt hatten. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck sagte: “Eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission sehen wir nicht.” Und die grüne Bundesministerin für Umwelt, Steffi Lemke, bezeichnete die Pläne als “absolut falsch”.

Doch werden sowohl die Grünen aus Österreich wie die aus Deutschland wohl zähneknirschend mit dem Atom-Erdgas-Deal leben müssen. Um ihn zu stoppen, müsste sich im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, eine sogenannte qualifizierte Mehrheit finden. Dazu braucht es aber die Zustimmung von 20 der 27 Regierungsvertreter, die darüber hinaus 65 Prozent der EU-Einwohner repräsentieren müssten. Im Parlament würde zwar eine einfache Mehrheit reichen. In beiden Gremien sind aber die Atom- und Gasfreunde in der Mehrheit.

Deutsches Geld für Frankreichs AKWs?

Für die Europäische Union eröffnet sich damit nach Schuldenstreit und Menschenrechtsdebatte eine weitere Bruchlinie. Über 80 Prozent der Deutschen sehen die Atomkraft nicht als nachhaltig an. In Österreich fallen Umfrageergebnisse ähnlich aus. Früher oder später jedoch wird die vorgeschlagene Taxonomie Geldströme aus EU-Töpfen in AKW-Vorhaben begünstigen. Spätestens dann werden sich die Gegensätze in der Energiekultur der Mitgliedsländer nicht mehr durch stille Deals und Nacht-und-Nebel-Aktionen verkleistern lassen.

Mehr: TAZ

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