Neu-Delhis Einwohner ersticken im Smog – Kohlekraftwerke gehen vom Netz

Auf dem Klimagipfel in Glasgow verhinderte Indien mit China im letzten Moment die Einigung auf einen Kohleausstieg. Jetzt zwingt toxischer Smog, Schulen zu schließen, die Bautätigkeit einzustellen, den Verkehr zu drosseln und Kraftwerke abzuschalten.

Dichter Smog raubt die Sicht Jährlich sterben mehr als eine Million Inder an dreckiger Luft Foto: Pixabay

Schlimmer geht’s nimmer. Auf einer Skala von 500 hat die Luftverschmutzung in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi den Wert 499 erreicht. Das bedeutet, dass selbst kerngesunde Menschen ernsthaft in Gefahr schweben, schwerwiegende Atemwegserkrankungen zu erleiden. Die Krankenhäuser melden steigende Einlieferungen. Nie war die Situation bedrohlicher. Dabei sterben heute schon jährlich mehr als eine Million Inder an dreckiger Luft.

Lockdown für die Megacity

Das nationale Umweltministerium verhängte jetzt die drastischen Eingriffe, um die Luftqualität auf ein erträgliches Maß zu heben. Dazu gehört auch das vorübergehende Runterfahren von fünf Kohlemeilern rund um die Hauptstadt. Sie sind die Hauptquelle für die extrem hohe Schadstoffkonzentration.

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Verfassungsrichter N.V. Ramana brachte sogar einen Lockdown für die Megacity ins Gespräch. “Wir wollen wir sonst überleben?”, fragte er drastisch. Delhis Ministerpräsident Arvind Kejriwal ist bereit, den Vorschlag zu diskutieren. “Das hat es nie zuvor gegeben. Es wäre ein drastischer Schritt.”

Gesundheit kontra Wirtschaftswachstum

Indiens Zentralregierung weiß um das Übel. Dennoch will sie weitere 92 Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von rund 60 000 Megawatt (MW) bauen, um den rapide wachsenden Energiehunger des Landes zu stillen. Zwar beschleunigt sie auch den Ausbau vor allem der Photovoltaik. Doch der Zuwachs reicht bei weitem nicht aus, um das geplante Wirtschaftswachstum und die angestrebte Verbesserung des Lebensstandards für 1,4 Milliarden Inder abzusichern. Geschweige denn fossile Brennstoffe zu ersetzen.

Frühestens 2070 klimaneutral

Indien ist nach China der weltweit zweitgrößte Abnehmer von Kohle (siehe Grafik unten). Und Regierungschef Narendra Modi ist überzeugt, auf sie in den nächsten Jahrzehnten nicht verzichten zu können, ohne seine Wohlstandziele zu gefährden. Erst 2070 solle das Land klimaneutral wirtschaften, verkündete er jüngst. Zehn Jahre später als China.

Indiens extreme Abhängigkeit von der Kohle Erneuerbare weit abgeschlagen

Dafür setzte er auf dem vor wenigen Tagen beendeten Weltklimagipfel in Glasgow mit dem Nachbarn auf den letzten Drücker durch, dass die Staatengemeinschaft im Schlussdokument nurmehr ein Zurückfahren der Kohlenutzung anstrebt. Ursprünglich war von einem Kohleausstieg die Rede. Den Zorn der Klimaschützer nahm Modi dafür in Kauf.

Mammutaufgabe mit ungewissem Ausgang

Doch mit seiner Abhängigkeit von der Kohle sitzt Indien in der Falle, wie die aktuellen Ereignisse auf drastische Weise zeigen. Es hat die Wahl, am Wachstum um jeden Preis festzuhalten und dabei das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel zu setzen. Oder es muss seine Ansprüche zurückschrauben und nach verträglicheren Lösungen für seine Energieversorgung suchen.

Sicher eine Mammutaufgabe, bei der der Rest der Welt Indien nicht allein lassen sollte. Schon im eigenen Interesse.

Mehr: timesofindia DW abcnews

Von Dieter Dürand

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