“Mini-Atomkraftwerke sind zu teuer und kein Rezept für den Klimaschutz”

Der Nukleartechnik-Spezialist Christoph Pistner vom Freiburger Öko-Institut sagt im Interview mit Greenspotting, weshalb die viel diskutierte neue Generation kleiner sogenannter SMR-Atomkraftwerke gefährlich und unwirtschaftlich ist – und nicht als Mittel gegen die Erderwärmung taugt.

Christoph Pistner, 51, ist Leiter der Abteilung Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Standort Darmstadt des Freiburger Öko-Instituts. Der promovierte Physiker erstellte zusammen mit der TU in Berlin im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung ein Gutachten über neuartige sogenannte Small Modular Reactors, kurz: SMR. Diese Mini-Kraftwerke werden, allen voran in den USA, als mögliche Klimaretter anstelle von Solar- und Windkraftanlagen gehandelt.

Herr Pistner, würden Sie da, wo Sie wohnen, eines jener kleinen Atomkraftwerke aufstellen, wie sie seit Jahrzehnten zum Beispiel in U-Booten eingebaut sind, um diese anzutreiben?

Ganz sicher nicht. Ich sehe nicht, dass man diese kleinen Atomkraftwerke, die sogenannten Small Modular Reactors, kurz: SMR, überhaupt braucht.

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Aber es gibt kleine dezentrale Heizkraftwerke für nur wenige Haushalte in einer bestimmten Region, wieso dann nicht auch ein kleines schnuckeliges AKW für eine Siedlung, damit diese auch dann Strom erhält, wenn die Solar- und die Windanlagen nicht liefern?

Also klein und schnuckelig sind diese Atomkraftwerke keineswegs. Wenn von SMR die Rede ist, meint man sehr verschiedene Reaktortypen und -größen. Einig ist man sich nur, dass die Leistung der Anlagen nicht größer als 300 Megawatt sein soll. Ein solche Anlage wäre dann noch immer ein ganz schöner Brummer und gar nicht so weit entfernt von einem kleineren herkömmlichen AKW.

Warum soll eine Mini-Atomanlage, die niemanden stört und die kein klimaschädliches CO2 ausstößt, nicht trotzdem dazu beitragen, die Stromversorgung zu sichern und die Erderwärmung durch fossile Kraftwerke zu stoppen?

Weil ein SMR eine Kernkraftanlage ist mit all den  gravierenden Nachteilen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben. Atomkraftwerke sind Anlagen, in denen radioaktive Spaltprodukte und schwere radioaktive Elemente wie Plutonium in großen Mengen anfallen. Es braucht deshalb extrem aufwendige Sicherheitsvorkehrungen sowohl gegen Unfälle als auch beim Umgang mit den Stoffen. AKW müssen mit Brennstoff versorgt werden, der Spaltmaterial enthält und der deswegen umfangreicher Kontrollen bedarf. Gleiches gilt für den entstehenden radioaktiven Abfall. Schließlich können die SMR Ziele terroristischer Anschläge und Opfer schwerer Naturkatastrophen sein, wie sich bei dem Tsunami im japanischen Fukushima 2011 zeigte. All dies spricht gegen solche Anlagen.

Die SMR, wie sie zum Beispiel U-Boote antreiben, sind doch aber sehr klein. Sind die damit verbundenen Gefahren nicht auch entsprechend kleiner, zumal sich die SMR für den Einsatz in entlegenen Gegenden anbieten?

Diese Erwartungen gibt es. Das zeigt sich etwa in den USA, wo der neue US-Präsident Joe Biden offenbar den Bau von SMR forcieren möchte, um das Klima zu schützen. Natürlich weisen die SMR ein geringeres radioaktives Inventar auf, da sie eine geringere Leistung haben, würden bei Unfällen also auch weniger Schaden anrichten. Auch nehmen die Verfechter an, man komme mit einfacheren Sicherheitsmaßnahmen aus, die die entstehende Wärme bei Störfällen über die Luft oder mit Wasser einfach nach außen ableiten, ohne dass komplizierte Pump- und Kühlsysteme mit Steuerungstechnik und eigener Stromversorgung notwendig sind…

… was doch sehr einleuchtend klingt, oder?

Was aber zu kurz greift. Wenn solche Anlagen ein Mittel gegen den Klimawandel sein sollen, dann bedeutet das, dass man von ihnen bedeutend mehr bräuchte als von den heutigen großen AKW. Diese haben eine Leistung von 1000 bis 1500 oder 1600 Megawatt. Nehmen wir an, ein typischer SMR hätte eine Leistung von 100 Megawatt und weniger. Um denselben Beitrag zur Stromversorgung zu liefern wie ein herkömmliches AKW, bräuchte man also zehn- bis 15-mal so viele Kleinst-AKW. Das wären,  Stand heute, weltweit 4000 bis 6000 SMR. Dadurch nähme das Gesamtrisiko, das man im Einzelfall zu reduzieren erhofft, massiv zu und der mögliche Vorteil im Kleinen würde zunichte gemacht.

Atomstrom gilt doch aber als sehr kostengünstig.

Bei der Atomkraft wurde in den vergangenen Jahrzehnten versucht, durch immer größere Anlagen die Kosten pro erzeugter Kilowattstunde Strom zu drücken. Dahinter steckte die Idee, die fixen Kosten etwa für die Planung, die Infrastruktur und die Sicherheitssysteme auf mehr installierte Leistung umzulegen und damit die Gestehungskosten einer Kilowattstunde Strom senken zu können. Trotzdem ist Atomstrom heute ohne staatliche Förderung nicht konkurrenzfähig. Allein unter diesem Aspekt ist klar, dass die Kosten pro installiertem Kilowatt elektrischer Leistung bei den viel kleineren SMR höher sind, weil es diese Größeneffekte bei ihnen nicht gibt.

Die Technik steht doch aber erst ganz am Anfang. Bei der Windkraft zeigt sich, dass die Industrialisierung der Fertigung die Anlagen immer preiswerter macht und damit die Gestehungskosten pro Kilowattstunde so weit senkt, dass sie wettbewerbsfähig mit herkömmlichen Kohlekraftwerken werden. Wieso sollte das nicht auch bei den SMR möglich sein?

Unser Gutachten, das wir zusammen mit der TU Berlin erstellt haben, zeigt, dass die Stromgestehungskosten herkömmlicher Atomkraftwerke deutlich höher sind als von Solar- und Windkraftanlagen. Allein um das Kostenniveau der herkömmlichen AKW zu erreichen, müssten die SMR erst einmal in sehr, sehr großen Stückzahlen hergestellt werden. Das halten wir für wenig realistisch. Aber selbst wenn dies gelänge, wären die SMR den erneuerbaren Energien bei den Stromerzeugungskosten dann noch immer weit unterlegen und würden es absehbar auch bleiben.

Die SMR sollen viel weniger atomaren Abfall produzieren als große AKW. Sinkt dadurch nicht die Gefahr, dass strahlendes Material in die Hand von Terroristen und sonstigen Verbrechern gelangt?

Bei denjenigen SMR, die den herkömmlichen Leichtwasserreaktoren ähneln, ändert sich substanziell nichts. Das heißt, sie würden ebenfalls Anlagen zur Anreicherung von Uran benötigen, damit dieses bei ihnen eingesetzt werden kann. Wir bräuchten weiterhin Fabriken, die die Brennstäbe herstellen. Es würde auch abgebrannte Brennstäbe geben, die die Spaltprodukte und das für Kernwaffen verwendbare Plutonium enthalten.  Bei der neuen Generation von SMR, die etwa mit flüssigem Natrium oder Salzschmelzen gekühlt werden, soll es vielleicht einen geschlossenen Brennstoffkreislauf geben. Das hieße, ein Teil des strahlenden Abfallmaterials würde wieder verwendet werden können. Ob dies technisch jemals sinnvoll realisierbar sein wird, ist aber völlig offen. Solche Reaktoren sind jedenfalls auf absehbare Zeit als kommerziell Anlangen überhaupt nicht in Sicht.

Wieso sollten neue Startups solche Reaktoren nicht zuwege bekommen?

So etwas zeichnet sich gegenwärtig ebenfalls nicht ab. In diejenigen SMR-Konzepte, die heute intensiv verfolgt werden, sind vorrangig Großunternehmen involviert, die traditionell in der Atomwirtschaft aktiv sind, zum Beispiel Fluor oder Westinghouse in den USA. Oder es sind Konzerne aus der Brennstoffbranche wie Framatom in Frankreich oder der teilstaatliche britisch-deutsch-niederländische Zentrifugenspezialist Urenco. Wenn, dann gründen allenfalls diese Konzerne Töchter, um die Entwicklung voranzutreiben. Dabei greifen sie jedoch auf staatliche Fördermilliarden zurück, darunter vielfach für das Militär. Ohne Steuermittel geht hier gar nichts. Einige Unternehmen haben sich aus der SMR-Entwicklung auch schon wieder zurückgezogen.

Welche Chance geben Sie den SMR, nachdem der neue US-Präsident Joe Biden offenbar eine Renaissance der Atomkraft plant?

Wir hatten Anfang der 2000er Jahre eine intensive Diskussion unter anderem in den USA über eine Renaissance der Kernenergie, weil viele AKW das Ende ihrer Laufzeit erreichen. Die Rede war zunächst von zehn, zwölf neuen Atomprojekten. Davon wurden schließlich zwei mit jeweils zwei Anlagen begonnen. Zwei von diesen vier Bauprojekten wurden mittlerweile aufgrund explodierender Kosten wieder eingestellt. Die beiden verbliebenen sind zumindest wirtschaftlich angeschlagen. Es ist offen, ob sie tatsächlich fertiggestellt werden. Insofern darf man auch skeptisch sein, was die SMR angeht. Vielleicht werden ein paar Prototypen gebaut. Ich wage jedoch die Prognose: Mini-Atomkraftwerke sind zu teuer und kein Rezept für den Klimaschutz.

Das Interview führte Reinhold Böhmer

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