Frankreich trocknet aus – Hundert Kommunen ohne fließendes Trinkwasser

So trocken war es noch nie in Frankreich. Tankwagen versorgen Gemeinden mit Trinkwasser. In weiten Teilen des Landes gelten strenge Restriktionen für den Wasserkonsum.

Dürre in Frankreich Nicht nur der Süden ist betroffen (Caro Sodar/Pixabay)

Selbst in der Bretagne ist es fast überall Privatleuten verboten, Autos oder Boote zu waschen. Aber auch die Terrasse oder Hausfassaden dürfen nicht abgespritzt werden. Das gleiche gilt für die Bewässerung der Gemüsebeete oder der Rasenflächen – nicht nur in Gärten, sondern auch für Sportstätten und Parks. Sogar die Landwirtschaft – in Frankreich gewöhnlich unantastbar – muss entweder ganz auf die Bewässerung verzichten oder sich, wegen der Verdunstung, auf Nachtzeiten beschränken. Braun-grau bieten sich Rasenflächen und Weiden in der sonst – auch im Sommer – sattgrünen Bretagne dar.

Mit am schlimmsten trifft es die Insel Groix. Auf dem 15-Quadratkilometer-Eiland liefert seit einigen Tagen eine Entsalzungsanlage Trinkwasser. Denn die vier Brunnen und der kleine Staudamm liefern nicht mehr ausreichend Süßwasser. Anders als viele bretonische Inseln verfügt die sechs Kilometer vor der südbretonischen Küste gelegene Insel nicht über eine Süßwasserleitung vom Festland. Doch Groix ist nicht die einzige Atlantikinsel, die sich per Entsalzungsanlage versorgt. Auch die kleine l’île de Molène an der gewöhnlich stürmisch-kühlen Westspitze der bretonischen Halbinsel hat eine mobile Süßwasseranlage in Betrieb genommen.

Wasserbullen kontrollieren

Noch schlimmer sieht es im Süden und im Inneren Frankreich aus. Die Loire bei Tours, gewöhnlich auch im Sommer ein wasserreicher Fluss, zeigt sich in diesen Tagen als Rinnsal. In den Alpen und im Jura sind viele Bergbäche und Flüsse ausgetrocknet. In Frankreichs größtem Stausee, dem lac de Serre-Ponçon in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur, steht das Wasser 14 Meter tiefer als der Normalstand. Sämtliche Anlegestellen liegen auf dem Trockenen. Der in den Schluchten der Südalpen gelegene lac de Sainte-Croix, einer der größten touristischen Anziehungspunkte, fiel auf den tiefsten Wasserstand, der je verzeichnet wurde. Alle sportlichen Aktivitäten sind inzwischen verboten.

Vielerorts patrouilliert Umweltpolizei. Verstöße gegen die Einschränkungen können Privatpersonen bis zu 1500 Euro kosten. Firmen und Organisationen zahlen bis 7500 Euro. Doch an vielen Orten sind Verbote und Wachgänge im Grunde überflüssig, weil schlichtweg kein Wasser zum Verschwenden und auch nicht zum maßvollen Benutzen da ist. Denn die aktuelle Dürre ist nicht nur eine Folge der Regenarmut der vergangenen Wochen. In den Seealpen und an der Côte d’Azur hat es laut Office français de la biodiversité (OFB) zwischen Oktober 2021 und März 2022 ein Niederschlagsdefizit von mehr als 50 Prozent gegeben, nach einem bereits defizitären Winter im Jahr davor.

Im europäischen Frankreich gibt es nur noch drei Departements (von 96), in denen ohne Einschränkungen Wasser verwendet werden darf. Für 62 Departements wurde offiziell die Krise ausgerufen. In über hundert Gemeinden gibt es kein fließendes Leitungswasser mehr. Sie werden mit Tanklastwagen versorgt. Seit Beginn der Messungen 1958/59 war der vergangene Monat der zweittrockenste von allen Monaten mit nur 9,7 Millimeter gemessenem Niederschlag. Den Rekord hielt der März 1961 mit 7,8 Millimeter.

Leben mit der Dürre

“Diese Dürre ist die schlimmste, die jemals in unserem Lande verzeichnet wurde”, betont Premierministerin Elisabeth Borne und verweist auf die Wettervorhersagen. Danach soll es frühestens ab Mitte kommender Woche regnen. Erschwert werde die Situation “durch die Ansammlung der kommenden Hitzewellen” und die damit verbundene Verdunstung. Frankreichs Minister für den ökologischen Übergang, Christophe Béchu, geht davon aus, dass “wir uns an solche Episoden gewöhnen müssen.” Die Anpassung sei nicht mehr eine Option, sondern eine Verpflichtung.

Bauern und AKW-Betreiber

Die Folgen der Dürre für die Landwirtschaft sind erheblich. Die Getreideernte wird nach Einschätzung des Agrarministers um mindestens 18 Prozent geringer ausfallen als im vergangenen Jahr. Bauernverbände warnen vor einer Knappheit von Futtergetreide und Milch für den Herbst und Winter.

Auch Frankreichs Atomwirtschaft leidet. Ohnehin sind wegen der Überalterung die Hälfte der Meiler stillgelegt. Jetzt kommen noch die Einschränkungen wegen der überhitzten und wasserarmen Flüsse dazu. Einen Reaktor an der Garonne nahe Bordeaux konnte die staatliche Elektrizitätsgesellschaft EDF vergangene Woche bereits nur unter Teillast betreiben. Das Flusswasser hatte eine Temperatur von 28 Grad erreicht – zu hoch, um bei Vollbetrieb hinreichend zu kühlen. Für weitere Kraftwerke an der Rhone gab die EDF Warnungen aus.

Frankreich ist nicht allein. Spaniens Wasservorräte sind auf 40 Prozent gefallen und vermindern sich Woche für Woche um 1,5 Prozent. Der Po, Italiens größter Fluss, führt neun Zehntel weniger Wasser als gewöhnlich. Seit 250 Jahren habe es keine vergleichbare Trockenheit gegeben, klagt die italienische meteorologische Gesellschaft. Und in Deutschland und den Niederlanden können der Rhein und seine Verzweigungen von vielen Schiffen nur mit einem Viertel der Last befahren werden.

Mehr: Le Monde

Lothar Schnitzler/Frankreich

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