Für Anrainer ist der Weinbau eine Katastrophe

Vom Weinbau geprägte Landschaften gelten als lieblich und naturnah. Doch vor allem Kinder, die in der Nähe von Weinbergen wohnen, sind Agrargiften ausgesetzt.

Weinbau im Burgund Harmonische Landschaft mit vielen Giften (Peter H/Pixabay)
Weinbau im Burgund Harmonische Landschaft mit viel Gift (Peter H/Pixabay)

Dass Weinbau in der Regel mit reichlich Chemie einhergeht, hat sich inzwischen herum gesprochen. Dennoch schätzen viele Menschen die von Harmonie geprägte Ästhetik der Weinlandschaften. Und viele Familien nehmen ihren Haupt- oder Nebenwohnsitz gern in den idyllisch erscheinenden Weinbau-Gegenden ein. Ein großer Fehler!

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Denn die Pestizid-Belastung ist besonders für Kinder, die in der Nähe von Weinbergen leben, enorm. Das bestätigt eine Untersuchung der französischen Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz (Anses) und der französischen Gesundheitsbehörde (SPF). Ziel der PestiRiv-Studie war es, die Belastung von Familien durch Pestizide zu messen. Die Ergebnisse der bislang umfassendsten Studie zum Thema sind eindeutig. Menschen – und besonders Kleinkinder – sind in Weinbaunähe einer übermäßigen Belastung durch Giftstoffe ausgesetzt. Die Untersuchung analysierte nur das Maß der Giftbelastung, klammerte die gesundheitlichen Folgen aber aus.

Viele Franzosen sind betroffen

Untersucht wurden rund 2000 Erwachsene und 750 Kinder an 265 Orten in Frankreich. Die Wohnorte der Probanden lagen wegen der Vergleichbarkeit nicht nur Weinbaugebieten. Verglichen wurden Personen, deren Wohnungen einen Abstand zu Weinbergen von weniger als 500 Meter und über einem Kilometer von anderen Anbauflächen hatten, mit Personen, die weit entfernt von jeglichem Anbau lebten. Besonders wurden die Auswirkungen der Spritzsaison untersucht. Analysiert wurden Staub- und Luftproben aus Wohnungen sowie Urin, Haare, Gemüse aus Gärten oder Eier von Hühnern. Zudem interviewten die Forscher die Probanden zu ihrem Lebensstil. Zu der Gruppe, die im Umkreis von 500 Metern von Weinbergen lebt, gehören immerhin vier Prozent der französischen Bevölkerung.

Weinbau vergiftet

Die Ergebnisse belegen, dass Weinberganrainer in einem giftreichen Milieu leben. Kein Wunder: Der Gifteinsatz im Weinbau ist – bedingt durch die Anfälligkeit der Reben für Pilzbefall und die lange Wachstums- und Reifezeit – extrem hoch. Pro Hektar werden in Frankreich auf Weinbergen etwa siebenmal mehr Pestizide ausgebracht als auf anderen Anbauflächen.

Die Raumluft der Wohnungen in Weinbaunähe enthielt teilweise eine Giftkonzentration, die 45 mal höher als das Normal war. Im Urin stiegen die Konzentrationen um 15 bis 45 Prozent, je nach Molekül. Die Stäube im Raum enthielten zehnmal höhere Konzentrationen. Dies stellt besonders für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren eine Gefahr dar, weil sie sich oft am Boden aufhalten und die Finger zum Mund führen. Säuglinge dürften folglich noch stärker betroffen sein. Die Studie untersuchte aber nur Kinder ab dem dritten Lebensjahr.

Kinder besonders gefährdet

„Die übermäßige Belastung von Kleinkindern ist eines der besorgniserregendsten Ergebnisse dieser Studie“, sagte die Toxikologin Francelyne Marano der französischen Tageszeitung Le Monde. Die ehemalige Professorin an der Universität Paris Cité und Vizepräsidentin einer der beiden Gremien, die die Ergebnisse der PestiRiv-Studie auswerteten, betonte, es sei unerlässlich, den Einsatz der Produkte auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. 

Die Bürgerinitiative Générations Futures fordert angesichts der alarmierenden Ergebnisse, eine Reduzierung des Pestizideinsatzes um die Hälfte, die Einrichtung von mindestens hundert Meter breiten pestizidfreien Abstandsstreifen, Warnungen der betroffenen Bevökerung 48 Stunden vor dem Spritzeinsatz sowie die Schaffung von Grüngürteln rund um die Wohnzonen, in denen ökologischer Landbau stattfindet.

Agrarisch-industrieller Komplex macht Druck

Einige Wochen vor der Veröffentlichung der Untersuchung hatten Initiativen wie Générations Futures, France Nature Environnement (FNE) und Alerte des médecins sur les pesticides (Ärzte-Alarm gegen Pestizide) der Regierung vorgeworfen, die Publikation zu blockieren. Die Studie, die Mitte September vorgestellt wurde, sollte ursprünglich bereits 2024 erscheinen. Erst eine Häufung von Krebsfällen bei Kindern in Weinbaugebieten und mehrere Fälle von Pestizidvergiftungen an einer Schule im Weinbau-Département Gironde hatte es im Jahre 2016 der Regierung ermöglicht, gegen den erbitterten Widerstand der mächtigen französischen Agrarlobby die Untersuchung in Gang zu setzen.

Mehr: Le Monde

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