In NRW wachsen die Zweifel am vorgezogenen Kohleausstieg. Grund: Der Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke als Ersatz kommt nicht voran.

Lange feierte sich das nordrhein-westfälische Regierungsbündnis aus CDU und Grünen für den Beschluss, schon 2030 statt erst 2038 auf die besonders klimaschädliche Braunkohle zu verzichten. Jetzt zeichnet sich immer deutlicher ab: Das Selbstlob war verfrüht. Der Kohleausstieg rückt aller Voraussicht nach um Jahre nach hinten. Der Grund: Planung und Bau von Gaskraftwerken kommen nur schleppend voran. Sie sollen jedoch ausreichend Grundleistung bereitstellen, sobald der letzte Kohlemeiler abgeschaltet ist. Schlechte Nachrichten für die dringend notwendige Energie- und Klimawende.
Kohleausstieg 2030 alles andere als gewiss
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und seine grüne Vize Mona Neubaur veranschlagen rund 5000 Megawatt (MW) an Ersatzkapazität, um die Energieversorgung in dem einwohnerstärksten Bundesland mit seinen vielen Industriebetrieben zu sichern. Deutschlandweit müssten nach Berechnungen der Bundesnetzagentur sogar Gaskraftwerke mit einer Leistung von 17 000 MW zugebaut werden. Zusätzliche Hürde: Sie sollen klimaneutralen Wasserstoff verbrennen können, sobald genügend Mengen davon bereitstehen.
Sven Becker, Geschäftsführer des Stadtwerkeverbunds Trianel, zweifelt, dass diese Ziele bis 2030 erreicht werden können. „Das ist mittlerweile eine sehr ambitionierte Planung, weil wir seit der Ankündigung zum frühzeitigen Kohleausstieg wichtige Zeit verloren haben beim Aufbau von alternativer gesicherter Leistung.“
Bau von Gaskraftwerken in der Schwebe
Seine Skepsis stützt sich auf Erfahrung. Der Energiebranche zufolge vergehen mindesten sechs bis sieben Jahre, bis ein Kraftwerk komplett genehmigt ist und der Bau beginnen kann. In NRW hat bisher allerdings nur der Essener Energieriese RWE konkret eine erste 800-MW-Anlage an seinem Standort in Weisweiler bei Aachen in Auftrag gegeben. Eine zweite gleichstarke soll in Werne im südlichen Münsterland entstehen.
Doch der Chef von RWE Generation, Nikolaus Valerius, stellt beide Projekte unter einen klaren Vorbehalt. „Erst wenn die Anbindung des Standorts an ein Wasserstoffnetz gesichert ist und die Rahmenbedingungen einen wirtschaftlichen Betrieb der Kraftwerke ermöglichen, können wir eine endgültige Investitionsentscheidung treffen.“
Energiekonzerne spekulieren auf Steuergeld
Aus dem gleichen Grund haben auch die Energieversorger Uniper, Trianel und Steag ihren Ankündigungen bisher keine Beschlüsse folgen lassen. Sie zaudern zudem aus ökonomischem Kalkül. Trotz üppiger Gewinne möchten sie die Steuerzahler kräftig an ihren Investitionen beteiligen. Ihr Argument: Schließlich sprängen die Gaskraftwerke nur ein, wenn Wind- und Sonnenkraft den Strombedarf nicht deckten. Das schmälere ihre Rentabilität.
„Erst wenn die Rahmenbedingungen einen wirtschaftlichen Betrieb der Kraftwerke ermöglichen, können wir eine endgültige Investitionsentscheidung treffen.“
Nikolaus Valerius, Chef RWE Generation
Doch noch hat die EU-Kommission nicht abschließend geklärt, ob und unter welchen Bedingungen der Bund den Bau der Gaskraftwerke mit öffentlichem Geld fördern darf, oder ob eine Wettbewerbsverzerrung droht. So verstreicht weitere Zeit.
Und es gibt einen zweiten wunden Punkt. Der Bedarf an Ersatzkapazität hängt maßgeblich vom Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien ab.
Langsamer Ausbau der Erneuerbaren bremst Kohleausstieg
In NRW drehen sich jedoch bisher viel zu wenig Rotoren. Immerhin will Energieministerin Neubaur jetzt möglichst schnell neue Flächen für Windenergie ausweisen. Auch bundesweit hinkt der Zubau Erneuerbarer den Notwendigkeiten weit hinterher – trotz eines Plus bei der Stromversorgung in den ersten sechs Monaten dieses Jahres (siehe Grafik unten). Das zeigen jüngste Zahlen des Umweltbundesamts (UBA).

Denn getragen wurde das Mehr fast ausschließlich vom einem Zubau von 7500 MW bei Solaranlagen. Dagegen erhöhte sich die Windkraftleistung an Land und auf See lediglich um mickrige 1300 MW. Es bedürfe weiter „erheblicher Antrengungen“, betont denn auch UBA-Präsident Dirk Messner und macht die Dimension deutlich. „Allein im Bereich Photovoltaik brauchen wir einen Zuwachs von etwa 50 Prozent, um den Zielen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes zu entsprechen.“
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