Sie sollen den Energiehunger der Welt stillen. Angeblich sind sie billig, sicher, schnell zu bauen. Und sollen weniger Abfall hinterlassen. Warum die Mythen um die Mini-Reaktoren nicht stimmen.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuell Macron ist dafür. Microsoft-Gründer Bill Gates und die Investor-Legende Warren Buffett ebenfalls. Auch der bayrische Landesvater Markus Söder und Ex-Gesundheitsminister Jens-Spahn schwärmen davon: Tausende Mini-Reaktoren sollen gefahrlos und für wenig Geld massenhaft Strom bereitstellen – klimaneutral. Und sie sollen weniger Atommüll hinterlassen als gewohnt. Ein schöner Traum! Doch leider zu schön, um wahr zu sein. Sehen wir uns die Mythen um die kleinen Wunder-Reaktoren einmal genauer an.
Mini-Reaktoren sind klein
Alle Reaktoren mit weniger als 300 Megawatt Leistung laufen unter der Bezeichnung Mini-Reaktoren. Zum Vergleich: Ein klassisches Atomkraftwerk hat in der Regel eine Leistung ab 1 000 Megawatt. Ein 300-Kilowatt-Kraftwerk ist also nicht klein. Es kann eine 750 000-Einwohner-Stadt mit Strom versorgen. Die Verniedlichung durch das Präfix Mini täuscht.
Mini-Reaktoren sind günstig
Der amerikanische AKW-Bauer Nuscale wollte bis zum Jahr 2028 im US-Bundesstaat Idaho den ersten Small Modular Reactor (SMR) ans Netz bringen. Das Vorhaben scheiterte. Zu teuer! Der Plan, das Kraftwerk für 5,3 Milliarden Dollar zu errichten, war nicht zu halten. Die Anlage hätte mindestens neun Milliarden Dollar gekostet. Die Kunden für den Atomstrom sprangen ab. Die geplanten Kosten für die Kilowattstunde Strom kletterten von 4,5 US-Cent Dollar auf das Doppelte. Ob es dabei geblieben wäre, ist fraglich.
Atomstrom ist eine teure Angelegenheit. Zurzeit sind weltweit etwa klassische 400 AKW in Betrieb. Keines davon ist vollständig privat finanziert. Kein Versicherer übernimmt die Risiken für ein Atomkraftwerk. Sämtliche aktuellen AKW-Projekte sind finanziell aus dem Ruder gelaufen. Das Kernkraftwerk im normanischen Flamanville kostete 20 statt 3,3 Milliarden Euro. Der Strom aus dem noch im Bau befindlichen AKW im englischen Hinkley Point soll nach Fertigstellung im Jahr 2027 pro Kilowattstunde umgerechnet 16,7 statt 10,3 Eurocent kosten. Zum Vergleich: Windstrom kostet in England 5,1 Eurocent pro Kilowatt.
Rund 3 000 Mini-Meiler müssten entstehen, bevor die neue Technik sich bezahlt macht. Das ist das Ergebnis einer Studie des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Es gibt zwar Investoren aus der IT-Szene, die bereit sind, einzelne SMR zu finanzieren. Doch die Technik ist neu. Überraschungen sind sicher. Ob die Investoren bei den zu erwartenden Schwierigkeiten durchhalten, ist ungewiss. Ob 3 000 Aufträge für Mini-Meiler zustande kommen, ist ebenfalls fraglich.
Selbst wenn zu 3 000 Projekten käme, wären die Kosten für den SMR-Strom deutlich höher als für Wind- oder Sonnenstrom, ist die Einschätzung des AKW-Experten Christoph Pistner vom Freiburger Öko-Institut.
Mini-Reaktoren sind schnell gebaut
Atomanlagen brauchen lange Genehmigungszeiten. Danach verzögern sich die Bauzeiten in der Regel. Das Kernkraftwerk in Flamanville, Baubeginn 2007, sollte schon 2012 Strom liefern. Erst seit einigen Monaten liefert es Strom – allerdings noch im Probebetrieb. Auch die Fertigstellung von Block 3 im finnischen Kraftwerk Olkiluoto brauchte mehr Zeit als geplant. 2005 begann der Bau, erst im vergangenen Jahr begann der Netzbetrieb. Doch es gibt es immer wieder Totalausfälle.
Nuscale baut zurzeit einen Mini-Meiler in Rumänien. Bis 2028 soll er fertig sein. Doch handelt es sich lediglich um eine Pilotanlage. Die Prüfungen begannen bereits 2021. Ob der Betriebstermin eingehalten werden kann, steht in den Sternen. Denn es gibt kaum Erfahrungen mit den Kleinreaktoren. Gelingt das Projekt, könnten ab 2030 weitere SMR in Bau gehen. Frühestens ab Anfang der Vierzigerjahre würden sie einen nennenswerten Beitrag zur Energieproduktion und zur CO2-Verminderung leisten. Zu spät, um das Klima zu retten.
Mini-Reaktoren sind ungefährlich
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung betont in seiner Studie, dass SMR zwar „potenziell sicherheitstechnische Vorteile erzielen, da sie ein geringeres radioaktives Inventar pro Reaktor aufweisen.“ Jedoch müssten mehrere tausend Anlagen entstehen, um die Leistung der aktuell weltweit 400 klassischen Atomkraftwerke zu erzeugen. Damit erhöhe sich das Risiko von Atomunfällen „um ein Vielfaches“.
Mini-Reaktoren produzieren kaum Atommüll
Einer Studie der kalifonischen Universität Stanford zufolge produzieren SMR bis zu 30-mal mehr strahlende Abfälle als Großreaktoren. Hauptgrund dafür seien Neutronenleckagen. Neutronenleckagen gehören zu jeder Kernspaltung. Sie entstehen in kleineren Anlagen häufiger als in großen Reaktoren. Um diese Leckagen abzufangen, braucht es in Kleinanlagen folglich mehr Material zur Abschirmung. Dieses Material wird radioaktiv verstrahlt und muss entsorgt werden.
Mini-Reaktoren sind leichter durchsetzbar
Wohl kaum. Dazu folgende Überlegung am Beispiel Frankreichs: In unserem Nachbarland sind 56 AKW in Betrieb. Müssten sie durch SMR ersetzt werden, bräuchte man über tausend Klein-AKW. Etwa jeder zehnte Franzose würde dann im Umkreis von zehn Kilometern eines Kernkraftwerks leben. Stéphane Lhomme, Direktor des französichen Nuklear-Observatoriums (Observatoire du nucléaire), sieht selbst im Atomland Frankreich Probleme bei der Durchsetzung einer flächendeckenden SMR-Politik. Es sei bereits heute unmöglich, ein neues Kernkraftwerk zu errichten, insbesondere in der Nähe von Wohngebieten. Gegen die massenweise Ansiedlung von Kleinkraftwerken würden die Anwohner revoltieren – einschließlich der Kernkraftbefürworter.
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