Mehr Räder als Autos auf zentralen Verkehrsachsen in Paris

Noch vor wenigen Jahren galten die Straßen der französischen Hauptstadt als Pflaster für besonders mutige Radfahrer. Das hat sich geändert. Heute gehören Radler zum normalen Straßenbild. Nicht nur das: Zu den Spitzenzeiten, wenn die vierrädrigen Vehikel sich nur im Schneckentempo fortbewegen, fahren auf wichtigen Boulevards mehr Räder als Autos.

Radlerin in Paris Nicht mehr nur für Mutige (Menno de Jong/Pixabay)

Auf zentralen Verkehrsachsen wie dem Boulevard Magenta oder dem Boulevard Voltaire überstieg in der ersten Hälfte dieses Monats die Zahl der Radler während der Spitzenzeiten die der Autofahrer um 23 bis 109 Prozent. Kein Wunder: Die Kapazität der Fahrstreifen für Automobile ist auf beiden Straßen mit etwas 420 Autos pro Stunde ausgelastet. Die Radspuren können bis zu 580 Fahrräder verkraften. Auf beiden Bouvards gibt es für Radler wie für den motorisierten Verkehr eine Fahrspur in jede Richtung. Allerdings ist die Fahrspur für die Autofahrer drei bis viermal so breit wie der Fahrradweg.

Dank Corona hat der Zweiradverkehr noch einmal zugelegt. Zwischen Anfang September 2019 und Ende August 2020 zählte die Pariser Stadtverwaltung 66 Prozent mehr Radler auf den Straßen als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Auf der Rue de Rivoli entlang der Tuilerien passieren Tag für Tag 18 000 Radler. Die Radelmanie hat nicht nur Paris ergriffen. Die Zweiradverkäufe im ganzen Land gingen zwischen Mai und Juni 2020 um 117 Prozent hoch im Vergleich zu den Vorjahresmonaten.

Seit zwanzig Jahren Politik für Radfahrer

Dass es dazu gekommen ist, ist alles andere als Zufall. Seit dem Dienstantritt im März 2001 von Bertrand Delanoë setzt die Stadtverwaltung auf das Fahrrad. Als der sozialistische Bürgermeister kurz nach der Jahrtausendwende verkündete, dass künftig das Fahrrad im hauptstädtischen Verkehr eine wichtige Funktion erfüllen werde, war die Skepsis zunächst groß. Nicht nur verglichen mit Fahrradmetropolen wie Kopenhagen, Amsterdam oder Münster war der Drahtesel eine seltene Erscheinung auf den Straßen Paris. Doch die Überlegung von Delanoë entsprang nicht nur dem ergrünenden Zeitgeist. Es hatte sich auf den Fluren der Stadtverwaltung herum gesprochen, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit eines Automobilisten in Paris nur 14 Stundenkilometer betrug. Fahrräder waren mit 15 Stundenkilometern schlichtweg schneller. Und sie brauchen etwa zehnmal so wenig Platz.

Damals stampfte Delanoë in nur wenigen Monaten das Fahrradleihsystem Vélib aus dem Boden. Bald gab es in Paris mehr Fahrradverleih- als Metrostationen. Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten wurde der Schwenk zum Fahrrad zum vollen Erfolg. Nicht nur die Bürgermeister von Chicago und London kamen, um das Modell zu studieren. Heute nutzen 210 000 Radfahrer täglich die Leihräder von Vélib.

Hidalgo setzt noch eins drauf

Delanoës Nachfolgerin, Anne Hidalgo, hat seit ihrem Antritt 2014 die Fahrradpolitik noch radikalisiert. Zweitspuren für Autos wurden zu Fahrradwegen oder kombinierten Bus- und Radspuren umgebaut. Die Sozialistin ist dabei, im Rahmen des Plan vélo 70 Prozent der ursprünglichen Parkplätze zu opfern, um den Radlern den Bahn freizumachen. In den kommenden Jahren will sie 150 Millionen Euro für den Radverkehr ausgeben. Radschnellwege sollen die Stadt von Norden nach Süden und von Westen nach Osten durchqueren. Zusätzlich sollen Schnellwege entlang der Seine entstehen.

Mehr: Le Monde

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