Die Angst der Politik vor steigenden Energiepreisen

Hohe Preise für Gas und Benzin sollen das Aus klimaschädlicher Brennstoffe beschleunigen. Doch kaum verteuern sie sich, geraten Europas Regierungen in Panik und fordern Gegenmaßnahmen, sogar ein Comeback der Atomkraft.

Atomkraftwerk mit Kühlturm
Kernkraftwerk mit Kühlturm Atomstrom als Energiereisbremse Foto: adege auf Pixabay

Steigende Preise für fossile Energieträger gelten als marktwirtschaftlicher Königsweg für den Umstieg in eine dekarbonisierte Wirtschaft. Müssen Verbraucher und Industrie immer mehr für Gas, Kohle und Öl zahlen, investieren sie in Solaranlagen, grünen Wasserstoff oder Wärmepumpen, so die Theorie. Darum hat die EU einen Zertifikatehandel mit Verschmutzungsrechten etabliert und erhebt die Bundesregierung eine CO2-Steuer.

Furcht vor Gelbwesten-Protestlern

Doch kaum beginnen die Preise “die ökologische Wahrheit zu sagen”, wie das der langjährigen Ko-Präsidenten des Club of Rome, Ernst Ulrich von Weizsäcker, fordert, stellt die Politik den lauthals verkündeten Lenkungshebel zur Klimarettung in Frage. Zu groß ist ihre Furcht vor zornigen Autofahrern, Mietern und einem Dämpfer für die Konjunktur. Erderhitzung hin oder her.

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Am heftigsten reagierte die französische Regierung. Sie verhängte für die Zeit bis zum nächsten Frühjahr eine Tarifbremse für Gas und Strom. Sechs Millionen einkommensschwachen Haushalten will wie zudem mit einem Energiescheck in Höhe von100 Euro über den kalten Winter helfen. Die Angst vor einem erneuten Aufflammen der Gelbwesten-Proteste lässt grüßen.

Ruf nach Investitionen in die Atomenergie

Finanzminister Bruno Le Maire geht noch weiter und fordert drastische staatliche Eingriffe in die Energiemärkte. Europas Gasvorräte sollten reguliert und der Strom- vom Gaspreis entkoppelt werden. Und dann wärmt er ein altes Anliegen der Pariser Regierung auf, das in Berlin auf keine Gegenliebe stößt: “Wenn wir erfolgreich im Kampf gegen Klimawandel sein wollen, brauchen wir eine Atomproduktion, Atomkraftwerke und mehr Investitionen in Atomenergie”, sagte er.

Von wegen der Markt richtet es. Unser Nachbar steht mit seinem Ruf nach Regulierung nicht allein. Die Südländer Italien, Griechenland und Spanien machen sich für den Aufbau einer strategischen europäischen Energiereserve stark. In Sachen Kernkraft springt EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis Frankreich zur Seite. “Es ist wichtigt, die Rolle von Atomenergie – einer Energie mit wenig Kohlenstoffdioxid – in unserem gesamten Energiemix und den Anstrengungen zur Dekarbonisierung anzuerkennen.”

Woher das Geld für die Heizung nehmen

Jetzt rächt sich, dass die Marktgläubigen sich wenig um die Verteilungswirkung der Preislenkung scheren. Wohlhabende haben genügend Geld auf der hohen Kante für die Anschaffung eines Elektromobils oder einer CO2-armen Heizung. Weniger begüterten Pendlern zum Beispiel reißen durch die Decke gehende Kraftstoffpreise hingegen ein Loch in die Kasse. Schlecht verdienende Mieter und Alleinerziehende wissen nicht, wo sie die 20 Euro mehr im Monat für Heizung und Strom hernehmen sollen.

Tatsächlich steigen die Energiepreise kräftig und trieben die Inflation im September in Deutschland maßgeblich auf mehr als vier Prozent. Der höchste Wert seit 1993. Laut Statistischem Bundesamt zahlten die Bürger für Gas und Strom in den ersten sechs Monaten dieses Jahres im Durchschnitt 4,7 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2020 (siehe Tabelle unten).

Steil aufwärts Entwicklung der Strom- und Gaspreise in Deutschland Quelle: Destatis

Dass CO2-Steuern und steigende Energiepreise ärmere Menschen überproportional belasten, ist in vielen ökonomischen Studien längst nachgewiesen. Wie aber geht dann eine sozialverträgliche Klimawende?

Streichung der EEG-Umlage

Verwunderlich genug. In den aktuellen Sondierungsgesprächen für die nächste Bundesregierung spielt das Thema bisher allenfalls eine untergeordnete Rolle. Dabei haben Volkswirte des Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) längst einen Weg aufgezeigt, die Belastung für Geringverdiener zu begrenzen: Mit gezielten Zuschüssen für die Finanzierung einer Wärmedämmung und einer sparsamen Heizung zum Beispiel. Oder einer gezielten Ausgleichszahlung.

Hier zu Lande wäre eine weitere Variante, die EEG-Umlage, mit der Netzeinspeiser von Grünstrom vergütet werden, zu streichen, um den Preisanstieg für Watt und Volt zu bremsen. Dafür macht sich etwa die Berliner Denkfabrik Agora Energiewende stark. Auch das ruft Stirnrunzeln hervor. Denn in diesem Jahr stammte der Strom teils wieder vermehrt aus schmutzigen Kohlemeilern.

Vorrang für Verbote

Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge kritisiert alle die Marktkorrekturen als nicht wirklich zielführend. Der Preismechanismus sei nicht anderes als “Klimarettung auf dem Rücken der kleinen Leute”. Sein Gegenrezept: Ordnungspolitische Maßnahmen seien gerechter. „Verbote treffen alle gleich, Preiserhöhungen nicht“, so der Professor.

Mehr: ntv

Von Dieter Dürand

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