„Alles beginnt damit, kein Leid mehr anzurichten“

Der österreichische Gemeinwirtschaftsexperte Christian Felber über die Schwierigkeiten, Unternehmen auf umweltgerechtes und soziales Verhalten zu verpflichten, die Ursachen für Verstöße und Beispiele, wie es anders gehen könnte – auch im Kapitalismus.

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Christian Felber, 49, ist weder Ökonom, noch ein Umweltaktivist. Aber der Österreicher, der eigentlich Philologe und Politologe ist, hat es geschafft, sich in den vergangenen Jahren Gehör zu schaffen mit seiner „Gemeinwohl-Ökonomie“. Es geht dabei um einfache Dinge wie Nachhaltigkeit durch Kreislaufwirtschaft und vor allem dem Fördern von lokaler Produktion. Als Felber vor elf Jahren sein gleichnamiges Buch schrieb, war er noch ein Exot. Als Gründungsmitglied von Attac Österreich war er schon immer ein System-Kritiker und einigen Ökonomen und Politikern ein Dorn im Auge. Vor seinem ersten Bestseller schrieb er viele andere Bücher über die Welthandelsrorganisation WTO und Europa. Schon 1998 hat er Spanien als Umwelt-Desaster ausgemacht und hier auch besonders viel Erfolg mit seiner Theorie gehabt.
Inzwischen hat sich dort dank seines Einflusses einiges verändert, aber noch nicht genug. Vor allem die autonome Region Valencia hat viele seiner Grundlagen übernommen. Besonders sein alternatives Bilanzierungsverfahren für Firmen aus der Gemeinwohl-Ökonomie, das von ihm mitentwickelt wurde, findet Anklang bei Unternehmen, für die es wichtig ist, sich als nachhaltig und ethisch zu präsentieren.
Seine Gemeinwohl-Ideen scheinen vielen wirtschaftlichen Hardlinern, die auf Wachstum und Spekulation bauen, naiv. Aber seine Ideen nähern sich aufgrund des spürbaren Wandels in der Natur immer mehr den Positionen von bislang bürgerlichen Parteien an und stimmt mit denen der Grünen, die immerhin in Deutschland inzwischen den Wirtschaftsminister stellen, fast überein. Der derzeitige weltweite Energie- und Ressourcen-Kollaps gibt ihm Recht, dass eine Umstellung des aktuellen auf billigem Sprit basierenden Wachstumssystems dringend notwendig ist (Foto: Norbert Kopf)

Herr Felber, weshalb herrscht mittlerweile Übereinstimmung darüber, dass Unternehmen sich auf die Umwelt und das Gemeinwohl ausrichten sollen, ist es gleichzeitig aber so schwierig, dies in die Praxis umzusetzen?

Weil es die Narrative sind, also die Erzählungen, die von Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftlern verbreitet werden. Dabei sagen alle Menschen auf der ganzen Welt: Ja, das ist es, was wir wollen: Weshalb sollten wir uns nicht auch in der Wirtschaft wie Menschen verhalten? Von Anfang an gibt es im ökonomischen Denken von den alten Griechen bis zu dem Briten Adam Smith und den heutigen Staatsverfassungen den großen Konsens: Wirtschaft ist für das Gemeinwohl da. Und nur Wirtschaftswissenschaftler und ökonomische Lehrbücher erzählen uns etwas anderes. Sie schreiben in ihren Texten, dass Unternehmen nach dem maximalen finanziellen Gewinn streben sollten und Staaten nach dem höchsten Bruttoinlandsprodukt. Im Gegensatz dazu sagte schon der griechische Philosoph Aristoteles: Ökonomie ist da für alle Mitglieder und für die Wohlfahrt eines Haushaltes. Und wenn Menschen in erster Linie nach Geld und Kapital und materiellen Gütern streben würden, wäre das nicht alles, sondern würde in Zerstörung enden. Dies nennen wir heute Kapitalismus. Das ist der Unterschied zwischen einer Ökonomie für das Gemeinwohl und Kapitalismus, der das Gegenteil wahrer Ökomomie ist.

Ich bin Volkswirtin und mag die antikapitalistischen Bewegungen nicht. Es braucht doch Kapital, um die Wirtschaft zum Laufen zu bringen. Das bedeutet doch nicht automatisch, jedes Wachstum auf höherem Profit aufzubauen. In Deutschland haben wir die Soziale Marktwirtschaft. Es gibt diese beiden gegensätzlichen Bewegungen: auf der einen Seite Geld bewegt die Welt und auf der anderen Seite der Wunsch, dass die Politiker mehr für die Gesellschaft tun.

Es geht nicht gegen Geld, gegen Kapital und gegen den Markt. Wir müssen sehr klar unterscheiden und dürfen kein sprachliches Durcheinander anrichten. Die Definition von Kapitalismus als Begriff befördert Kapital zum Ziel des Wirtschaftens als Selbstzweck. Wenn man Kapital aber als Mittel einer Gesellschaft versteht, die ihr Kapital, ihr Geld und ihren Markt nicht als Ziel und Endzweck sondern für das Gemeinwohl verwendet, dann ist es das, was Aristoteles meinte: Benutzt diese Mittel und materiellen Ressourcen immer mit dem großen Ziel vor Augen, und das ist das Gemeinmwohl, das Wohlbefinden aller Haushaltsmitglieder oder ein gutes Leben für jeden.

Der große Unterschied, und warum wir unterscheiden sollten zwischen Kapitalismus und Ökonomie, besteht darin, dass wir Erfolg anders messen würden. Wir würden diesen auf allen Ebenen, von der staatlichen über die unternehmensbezogene bis zur finanziellen und investiven Ebene man anderen Zielen messen. Im Kapitalismus streben wir nach dem monetärem Bruttoinlandsprodukt, weil wir glauben, wenn dieses steigt, dann verbessert sich auch alles andere. Das gilt ebenso für die Unternehmen und die Investitionen. Aber das Ziel unserer demokratischen Gesellschaften und unserer Verfassung ist ein anderes, nämlich das Gemeinwohl, die Wirtschaft dient dem Gemeinwohl. Deshalb ist logisch richtig, den Erfolg der Wirtschaft an diesem Ziel zu messen, also Kapital, Geld und Markt nicht als eigenes Ziel zu messen, sondern inwiefern damit das Ziel des Gemeinwohls erreicht wird.

Es gibt schon die ersten Unternehmen, die in diese Richtung gehen, zum Beispiel Genossenschaften, deren Zweck die Förderung des Wohlergehens ihrer Mitglieder ist. In Spanien ist das zum Beispiel die Mondragón Corporación Cooperativa in Mondragón im Baskenland, die größte Genossenschaft und das siebtgrößte Unternehmen des Landes. Es ist die größte Produktivgenossenschaft der Welt und stellt Industriegüter her. Sie haben andere Wert und arbeiten auf andere Weise und eine Gewinnbeteiligung. Ist das eine Benchmark für Sie, an der Sie sich orientieren, oder wollen Sie eine ganz neue Art von Unternehmen schaffen, weil die gegenwärtigen Rechtsformen das nicht zulassen?

Nicht notwendigerweise. Es gibt aktuell sehr viele unterschiedliche Rechtsformen. Es gibt Genossenschaften beziehungsweise Kooperativen, Partnerschaften sowie Non-Profit- und öffentliche Unternehmen. Und es gibt Kapitalgesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften. Wir finden, das ist schon eine schöne Vielfalt an Rechtsformen. Sie alle können zum Gemeinwohl beitragen. Das ist keine Frage der Rechtsform sondern als allererstes des Unternehmenszwecks, des Purpose, der Visionen, der Positionierung und der Strategie. Es ist absolut vorstellbar, dass eine Aktionsgesellschaft, der Chef oder das Management sich darauf festlegt, an erster Stelle soziale und ökologische Ziele zu erreichen und diese ihre Anforderungen aufzunehmen. Das ist absolut möglich. Die Vorbedinungen ist jedoch, dass uns die ökonomischen Lehrbücher diese Wahlmöglichkeit überhaupt anbieten. Diese lassen uns heute überhaupt keine Wahl. Sie bieten keine Alternativen. Sie sagen nur, ein Unternehmen ist eine Organisation, die die Maximierung des finanziellen Gewinns anstrebt, Ende. Dazu gibt es keine Alternative. Aber sie sollten uns wenigsten darüber informieren, dass es auch andere Unternehmen gibt – Unternehmen, die gleichermaßen das gemeinsame Wohlergehen anstreben. Entsprechend mehr Bedeutung hat das für die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens. Wenn Politiker und Gesetzgeber das gefällt, können sie diesen Unternehmen Vorrang geben.

Lassen Sie uns das ein wenig verdeutlichen und Ihre Meinung dazu erfahren. Alle Welt spricht vom Klimawandel und was dagegen zu tun ist. Es gibt auch schon gewisse Einstellungsänderungen bei den Konsumenten. Schauen wir in die Gegend von Murcia im Südosten Spaniens, wo es viele kleine Unternehmen gibt, die sich an keine der von Ihnen propagierten Regeln halten. Wie würden Sie das speziell in der Landwirtschaft organisieren, dass dies geschieht? Die Landwirtschaft ist ein riesiger Faktor beim Klimawandel. Sie müsste doch ein guter Wirtschaftszweig sein für veränderte Unternehmensziele in Richtung Gemeinwohl. Sind die Unternehmen offen dafür?

Einige von ihnen. Es gibt immer ein verschiedenartiges Publikum. Einige Pioniere sind schon gestartet. Wir haben mehrere Landwirte, sogar aus Andalusien, der Hochburg des Obst- und Gemüseanbaus, die sich am Gemeinwohl orientieren, zum Beispiel die Partnerschaft Subetica Ecologica bei Cordoba, das ist ein Beispiel aus Andalusien. Es gibt noch mehr spolche Gärtner und Landwirte, der natürlich Bio-Anbau betreiben, was keine formale, wohl aber eine logische Vorbedindung für Gemeinwohlorientierung darstellt. Denn wer für das Gemeinwohl produzieren will, muss damit anfangen, niemandem einen Schaden zuzufügen.

Danach könnten die riesigen Tierfarmen natürlich nicht dabei sein. Einige von ihnen sagen allerdings, sie würden die Tiere artgerecht halten…

… wenn sie Leid anrichten, und von Experten wie Tierärzten wissen wir, dass Schweine sich nur wohl fühlen in einer Gruppe bis zu sieben Tieren, dann können Ställe mit tausend Tieren nicht die Benchmark sein. Wenn eine Farm weiter Leid anrichtet, erfüllt sie unsere sogenannten negative Kriterien. Dann verliert sie bei der Gemeinwohlbeurteilung eine große Menge Pluspunkte, die nicht anderweitig aufgewogen werden kann. Also alles beginnt damit, kein Leid mehr anzurichten. Das bedeutete, kleine Gruppen von Tieren, keine Pestizide, keine chemischen Dünger, Verbesserung der Grundwasser- und der Luftqualität, Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Dies sind die Rahmenbedingungen. Je mehr Punkte die Bauern auf diesem Gebiet erfüllen, desto mehr staatliche Hilfen bekommen sie, nur dann bekommen sie öffentliche Aufträge, nur dann zahlen sie weniger Steuern. Ja, man sollte sogar in die Eigentumrechte eingreifen. So sollte es eine maximale Grundstücksgröße für Betriebe geben, je besser die Gemeinwohlbilanz ist, desto mehr Hektar sollten ihnen zugestanden werden, natürlich bis zu einer bestimmten Grenze. Es gibt so viele Instrumente und mögliche Anreize, um die Landwirte zu fördern und zu zwingen, nicht nur kein Leid anzurichten, sondern Gutes zu verbringen. Es geht um Erholung der Natur, Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit, negativen CO2-Ausstoß, nicht nur um die Stabilisierung sondern die Erhöhung der Biodiversität. Dies sind die neuen Benchmarks für die Landwirtschaft, die die finanziellen Kennziffern auf den zweiten Rang verweisen. Diese haben in der ersten Reihe nichts zu suchen, sie sind nur Mittel. Sie müssen von den Unternehmen nur erfüllt werden, um ihre Ziele zu erreichen. Die wichtigsten Ziele sind jedoch die ethischen.

Sie waren schon ganz erfolgreich mit Ihren Ideen in Spanien. Ich finde das überraschend, weil ich nicht sehe, dass in der spanischen Gesellschaft das Umweltbewusstsein so weit entwickelt ist wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg mit so konkreten Beispielen wie der Universität und einigen Unternehmen in Valencia so wie anderen Universitäten in Spanien. Können Sie sich diesen Widerspruch erklären?

Ich kann eigentlich nur raten, weshalb es nicht nur den ersten Lehrstuhl für Gemeinwohlwirtschaft in Spanien in Valencia gibt, sondern wir im März 2022 dort auch unsere zweite wissenschaftliche Konferenz haben. Es wurde ein Netzwerk über das ganze Land aufgebaut und es gibt reinen großen Enthusiamus. Meine Vemutung, wieso dieser Enthusiasmus, ist, dass es einfach ist in Spanien, Enthusiasmus zu erzeugen, das ist einer von mehreren Gründen. Der zweite Grund ist, dass es in Spanien die Finanzkrise gab, die das Land härter traf als andere Länder. Das wäre eine zweite Erklärung. Eine dritte könnte darin bestehen, dass in der Geschichte in Spanien Zusammenarbeit und solidarische Wirtschaftsformen eine stärkere Rolle spielten, sodass derlei nicht ganz so neu ist, was den zweiten Sektor angeht. Und vielleicht ein letzter Grund könnte sein, dass sozialer Zusammenhalt und starke Beziehungen, die das Fundament der Gemeinwohlwirtschaft bilden, starke menschliche Beziehungen und Gemeinschaften, dass dies etwas ist, was die Spanier ein kleines bisschen besser kennen als zum Beispiel die Deutschen, die sich von so etwas nicht so leicht anstecken lassen.

Gibt es ein großes Unternehmen, das sich auf die Ziele der Gemeinwirtschaft einlassen will? Denn das wäre ja so etwas wie ein Durchbruch.

Das wäre tatsächlich ein Durchbruch. Wir wünschten uns eine Zeit lang, dass SAP der erste internationale Konzern sein würde, der sich uns anschließen würde, aber sie haben diese Entscheidung dann doch nicht getroffen. Wir sind in Kontakt mit fünf bis sieben Unternehmen aus dem Deutschen Aktienindex Dax, und mehrere von ihnen nahmen schon teil an wissenschaftlichen Studien der Universitäten von Kiel und Flensburg, wie es wäre, wenn sie ihre Bilanzen an Gemeinwohlkriterien ausrichten würden. Aber keines von ihnen wagt, den Schritt zu tun. Warum? Weil es alternative Instrumente ohne negative Aspekte gibt, wo sie nur positiv da stehen können. Ich würde diese Instrumente als Greenwashing-Instrumente bezeichnen. Aber so lange Politiker die Unternehmen nicht verpflichten, einen bestimmten Standard zu erfüllen, wie dies im finanziellen Bereich der Fall ist, wo die Unternehmen nicht wählen können, ob sie diesen oder jenen Standard wählen, der strenger oder nicht so streng ist, so lange sie also noch wählen können, ist das ein Problem. Alle größeren Unternehmen haben irgendwelche Mechanismen für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung, aber die Gemeinwohlbilanz ist wohl die Benchmark, vielleicht gibt es noch zwei, drei weitere, die gleichermaßen streng sind. Wie gesagt, wir haben einen Kriterienkatalog mit entsprechenden Punkten und der Aussicht, je nach Erfüllung höhere oder niedrigerer Steuern bezahlen zu müssen. Das ist Regulierung. Ich kenne kein anderes Instrument, das so streng ist. Das einzige Unternehmen, das wir bisher haben, ist der Staatsforst von Baden-Württemberg mit 8000 Beschäftigten. Und dann haben wir noch so fünf Unternehmen mit 1000 bis 5000 Beschäftigten, sowohl vom Gesundheits- und Sozialbereich, aber auch eines aus einem anderen passsenden Bereich.

Wie steht es mit Ringana aus Österreich, ein Hersteller von Wellness-Produkten, der die Nachhaltigkeit propagiert?

Wir bieten das Ringana an, aber es ist ihre Entscheidung. Ich würde hier noch gern Grüne Erde ebenfalls aus Österreich erwähnen, ein Unternehmen mit 400 Beschäftigten. Sie sind ein ziemlich typisches Beispiel für unser Netzwerk. Wir haben kleinere und mittelgroße Unternehmen, familiengeführte. Grüne Erde hat entschieden, auf alle Flüge zu verzichten, die vom Unternehmen bezahlt werden. Sie sagten, okay, wir fliegen nicht sehr viel, wenn, dann zu unseren Filialen in Deutschland, und das entsprach zweimal um die Erde, was uns zu viel ist. Also reduzierten sie ihr Budget für Flüge auf null und investierten in Videokonferenz-Technologie, um hier einen nachhaltigeren Pfad einzuschlagen.

Verfügen Sie über Zertifizierungsunternehmen, jemand muss die Einhaltung der Kriterien ja kontrollieren?

Natürlich. Es gibt ja schon Unternehmen, die die Einhaltung von Umweltkriterien auditieren, zum Beispiel Emas, das Eco-Management and Audit Scheme, auch bekannt als EU-Öko-Audit, ein Gemeinschaftssystem aus Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung für Organisationen, die ihre Umweltleistung verbessern wollen. Wir haben Gemeinwohl-Auditoren geschaffen…

... die auch Verstöße wie Korruption überprüfen? Ich kann mir vorstellen, dass Unternehmen deswegen Angst haben vor weiteren Kontrollen, vor allem börsennotierte, für die das Risiko, negativ aufzufallen, dann noch größer wird.

Das Risiko, wegen Manipulation und Korruption aufzufliegen, ist niedriger in der Finanzrechnungslegung. Warum? Weil finanzielle Bilanzen in ihrer Tiefe nur von Finanzcontrolleuren verstanden werden. Und sie sind rechtlich dafür verantwortlich, dass alles korrekt ist. Das ist keine 100-prozentige Garantie, dass die gesamte öffentlich verfügbare Finanzberichterstattung korrekt ist. Aber es ist eine gewisse, ausreichende Versicherung. Bei der ethischen Berichterstattung – über Menschenrechte, innere Demokratie, Betroffenheit der Verbraucher – handelt es sich um Informationen, die fast jeder versteht. Wenn hier irgendetwas irritiert oder falsch ist, kann das viel leichter revidiert werden als bei der Finanzberichterstattung. Das Risiko, nicht entlarvt zu werden, erfordert hier, dass ein Unternehmen zwei Dinge tun: es muss die Informationen manipulieren und die Gemeinwohl-Gutachter bestechen. Und dabei nicht erwischt zu werden!? Ich denke, es ist schwieriger, ethische Informationen zu manipulieren als Finanzinformationen.

Aber steht gegen alle Ihre Ideen nicht die Gier, die so typisch für den Menschen ist und die es vielleicht unmöglich macht, Ihre Ideen in großem Maßstab umzusetzen?

Gier ist nur eine Option, zu handeln. Auch Töten ist eine Option, zu handeln. Aber unsere Gene zwingen uns weder, jemanden zu töten, noch gierig zu sein. Das sind nur Optionen. Alles hängt von kollektiven Entscheidungen ab, ob man Gier promotet oder Töten, wodurch es viel mehr Tötungen gäbe. Wir bestrafen Töten. Und wir sollten zumindest keine Anreize für Gier bieten. Es gibt keine Begrenzung für die Ungleichheit beim Wohlergehen und beim Einkommen. Wenn wir aber keine Anreize für Gier bieten oder die Ungleichheit sogar kappen würden, wie wir es vorschlagen, also den Anreiz, nach immer mehr zu streben, wäre schon viel gewonnen. Ein gutes Anwendungsbeispiel dafür ist Portland im US-Bundesstaat Oregon. Dort bestrafen sie Unternehmen mit einer zusätzlichen Gewinnsteuer von zehn Prozent, die ein Ungleichheitsniveau zulassen, bei dem das Spitzeneinkommen mehr als hundertmal so groß ist wie das niedrigste Einkommen. Und wenn es mehr als 250-mal so hoch ist, kostet das 25 Prozent mehr Gewinnsteuern. Das ist ein klarer und starker Anreiz gegen Gier und extreme Einkommensungleichheit. Das ist eine intelligentere und gerechtere Konstruktion der Wirtschaft. Dann werden sich Unternehmen auch anders verhalten – und Gier wird eine kleinere Rolle spielen als heute.

Das Interview führte Stefanie Müller

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