Der globale Bauboom setzt massenhaft Klimagase frei. Forscher wollen das ändern – mit CO2-freiem Zement und Beton. Eine Revolution bahnt sich an.
Die Bilanz fällt katastrophal aus – bisher. Allein die Herstellung von Zement, unverzichtbar als Bindemittel in Beton, ist für acht Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Doch nun keimt die Hoffnung, dass Bauen sogar zum wichtigen Komplizen bei der Klimarettung werden könnte. Denn gleich mehrere aktuelle Material-Innovationen zeigen Wege auf, wie Gebäude bei der Speicherung von CO2 helfen und sogar gänzlich klimaschonend gebaut werden könnten. Das wäre nicht weniger als eine Revolution am Bau.
CO2-Nanofasern stabilisieren den Beton
Eine der spektakulären Entwicklungen stellten jüngst Forscher der schweizerischen Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) vor. Der viel versprechende Ansatz von Mateusz Wyrzykowski und Nikolajs Toropovs: In ihrem Beton ersetzt Pflanzenkohle die übliche Gesteinskörnung. Der Effekt: Das in der Kohle gebundene CO2 gleicht in etwa die Menge der Emissionen aus, die bei der Zementproduktion entstehen. Unter dem Strich ist der Beton also klimaneutral.
Zwar ist die Idee mit der Pflanzenkohle nicht ganz neu. Es gibt sogar schon welche auf dem Markt zu kaufen. Doch die weist nach Ansicht von Wyrzykowski gravierende Schwächen auf. Weil sie sehr porös ist, saugt sie viel Wasser und überdies teure Zusatzstoffe auf.
Beimischung in Form stabiler Pellets
Die Empa-Forscher umgehen das Problem, indem sie ihre Bio-Kohle zu leichten und stabilen Pellets weiterverarbeiten. Auf diese Weise könne auch kein für die Atemwege gefährlicher Kohlenstaub umher schwirren, betont Wyrzykowski. Eine Beimischung von 20 Prozent der Pellets reicht seinen Berechnungen zufolge aus, um Beton künftig klimaneutral zu produzieren.
Bereits im vergangenen Juli vermeldeten Wissenschaftler der Washington State University einen Durchbruch. Ihr CO2-armer Ersatzzement hatte allerdings einen Makel. Er war, so ihr Eingeständnis, nur „fast so stark“ wie regulärer Zement. Das kann bei hoch beanspruchten Bauteilen schnell zum Problem werden.
Wertvoller Wasserstoff als Nebenprodukt
Doch inzwischen haben Forscher des nationalen US-Forschungsinstituts Brookhaven National Laboratory dafür eine Lösung gefunden: Sie verstärken den Ersatzzement mit Nanofasern auf CO2-Basis. Sie verleihen dem Material nicht bloß die notwendige Stabilität. Besser noch. Laut Entwicklungsleiter Jingguang Chen könnten sie der Atmosphäre sogar mehr Kohlendioxid entziehen als bei der Zementherstellung entsteht. Als Nebenprodukt fällt auch noch wertvoller Wasserstoff ab.
Momentan sind die Ersatz-Baustoffe gegen die Erderhitzung dennoch teurer, auch weil sie noch nicht im großen Maßstab produziert werden. Doch steigen die Preise im Handel mit CO2-Zertifikaten weiter zügig an, wovon Marktbeobachter ausgehen, könnte der Bio-Beton in nicht allzu ferner Zukunft sogar preiswerter sein.
Beton-Werk mit Abscheideanlage
Wegen der Bepreisung entwickelt sich CO2 für Unternehmen immer öfter vom Abfallprodukt zum Wertstoff. Ein Vorreiter ist der Zementhersteller Rohrdorfer. Das bayrische Unternehmen nahm vor anderthalb Jahren Deutschlands erste CO2-Abscheideanlage in einem Zementwerk in Betrieb. Die aus Kohlemeilern bekannte Technologie soll Rohrdorfer dabei helfen, das Bindemittel bis 2038 klimaneutral herzustellen. Zudem untersucht das Unternehmen, wie sich durch den Austausch von Materialien zusätzlich Emissionen reduzieren lassen.
Rohrdorfer verarbeitet das zurück gehaltene CO2 zu Ameisensäure weiter. Der Verkauf an die Industrie lohnt sich ganz offenbar: Jedenfalls plant das Unternehmen, weitere Standorte mit Abscheideanlagen nachzurüsten.
Fortschreitende Dekarbonisierung einer ganzen Branche
Und nicht nur das: Gerade erst startete es mit CryoCEM in Österreich ein eigenes Forschungsprojekt zur Dekarbonisierung der Zementproduktion. Es ist nicht das einzige. Allein in Deutschland treiben Kooperationen aus Forschung und Industrie unter den Namen CO2-Syn, AC²OCem und URBAN weitere Vorhaben voran. Das ambitionierte Ziel: Den überdimensionalen CO2-Fußabdruck des viel gescholtenen Gebäudesektors massiv reduzieren.
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