Mit ihrer Ankündigung, eine Untersuchung gegen chinesische Elektroautos wegen möglicher Dumpingpreise einzuleiten, handelt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heuchlerisch, unterwürfig und liebedienerisch. Ein Kommentar von Reinhold Böhmer.
Wenn ein mächtiger Industrieverband Zustimmung zu einem einschneidenden politischen Vorhaben signalisiert, empfiehlt sich, alle Alarmanlagen einzuschalten. So ist das auch nach der Rede von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in der sie eine “Antisubventionsuntersuchung” gegen chinesische Elektroautos ankündigte, weil der Preis dieser Autos angeblich “durch riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt” werde. “Das verzerrt unseren Markt”, so die frühere CDU-Politikerin. Die wohlwollende Reaktion des europäischen Autoherstellerverbande ACEA folgte auf dem Fuß. Von der Leyens Ankündigung zeige, dass “die Europäische Kommission die zunehmend asymmetrische Situation, mit der unsere Industrie konfrontiert ist, anerkennt und sich dringend mit den Wettbewerbsverzerrungen in unserem Sektor befasst”, freute sich Verbandsdirektorin Sigrid de Vries.
Mischung aus heuchlerisch, unterwürfig und liebedienerisch
Bei näherer Betrachtung erweist sich die verbale Mobilmachung der ehemaligen (gescheiterten) deutschen Verteidigungsministerin keineswegs als anerkennenswert, sondern als eine Mischung aus Heuchelei, Unterwürfigkeit und Liebedienerei, ganz zu schweigen von der Verkennung wirtschaftlicher Zusammenhänge auf dem weltweiten Automobilmarkt.
Heuchlerisch ist von der Leyen, weil sie in ihrer Ankündigung zwei entscheidende Fakten ausblendet, die für die Erfolge der chinesischen Elektroautobauer wie Weltmarktführer BYD und spiegelbildlich für die Probleme der hiesigen Herstellern stehen. Zum ersten sind die Rückstände von VW, BMW und Mercedes beim Absatz von Elektroautos gegenüber den Konkurrenten aus dem Reich der Mitte hausgemacht. Die Ursünde geschah am 3. Mai 2010, als die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) anstelle einer beherzten Industriepolitik pro Elektroauto eine Nationale Plattform Elektromobilität gründete, in der sich in regelmäßigen Abständen zehn Vertreter der Autoindustrie, sechs Politiker, drei Wissenschaftler, drei Verbandsverteter und ein Gewerkschafter zusammenanfanden. Während andere Länder, darunter China und Norwegen, alsbald mit Kaufprämien und sonstigen staatlichen Förderungen die Entwicklung behiehungsweise den Absatz stromgetriebener Fahrzeuge anschoben, verweigerten die damals regierenden Christdemokraten und Freidemokraten solche Anreize. Stattdessen schufen Unionisten und Liberale ein Mammutgremium mit fast metaphysischem Titel, das vor allem einem Zweck diente: den Bau von Elektroautos hinauszuzögern, um VW, Mercedes und BMW möglichst lang die wirtschaftliche Verwertung ihrer zig Milliarden Euro schweren Produktionsanlagen für die Verbrennertechnik zu ermöglichen.
Bundesregierung verzögerte Jahre lang die Elektromobilität
Damit nicht genug: Nach erfolgreicher Verhinderungsarbeit führte die nachfolgende schwarz-rote Bundesregierung ebenfalls unter Kanlzerin Merkel den monströsen Zirkel aus dem Jahr 2010 in einen neuen Palaverkreis über, die sogenannte Nationale Plattform Zukunft der Mobilität. Das Thema “Elektromobilität” wurde aus der Überschrift der umfirmierten Veranstaltung getilgt – ein Schelm, wer den Sieg der riesigen Verbrennerfraktion der deutschen Autoindustrie dahinter vermutet. EU-Komissionspräsidentin von der Leyen kennt diese Hintergründe genau. Als ihre Parteifreundin Kanzlerin Merkel vor 13 Jahren die Aktion zur Verzögerung der Elektromobilität in Deutschland startete, saß sie als Arbeits- und Sozialministerin mit am Bundeskabinettstisch.
Milliarden an US-Subventionen für US-Elektroauto-Pionier Tesla
Von der Leyen muss sich aber noch aus einem weiteren Grund den Vorwurf der Heuchelei gefallen lassen, wenn sie die chinesische Förderung der Elektromobilität als Marktverzerrung branntmarkt. Denn sie verschweigt, wie es der US-Elektroauto-Pionier Tesla von null an die Weltspitze geschafft sowie VW, Mercedes und BMW bei den strombetriebenen Fahrzeugen auf die hinteren Plätze verwiesen hat: nämlich mit Hilfe dicker Subventionen durch den US-Steuerzahler. Als Tesla 2009 der Bankrott drohte, erhielt Firmengründer Elon Musk beispielsweise vom US-Energieministerium kurzerhand einen günstigen Kredit in Höhe von 350 Millionen Dollar, ohne den er die Fertigung seines Model S nicht hätte starten können.
Tesla basiert auf Subventionen und Staatshilfen
Doch das waren Peanuts im Verleich zu den Steuernachlässen, die der US-Bundesstaat Nevada Musk für den Bau seiner ersten Gigafactory in Reno gewährte. Die Fabrik, in der Tesla mit dem japanischen Elektronikkonzern Panasonic Batterien herstellt, wurde mit Steuernachlässen von 1,29 Milliarden Dollar subventioniert. Und vom US-Staat Kalifornien erhielt Tesla Zertifikate für den vermiedenen Ausstoß von CO2 durch die Elektrofahrzeuge, die das Unternehmen an Konkurrenten verkaufen konnte. “Elon Musks riesiges Vermögen ist auf Staatshilfen und Subventionen gebaut”, titelte die Neue Züricher Zeitung. Wenn die USA einem US-Autobauer mit US-Steuergelder zum Sprung an die Weltspitze und zu Wettbewerbsvorteilen gegenüber deutschen Herstellern verhelfen, schweigt sich EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen darüber aus, fördert die chinesische Regierung die eigenen Hersteller, schadroniert sie von Wettbewerbsverzerrungen.
Existentielle Interessen deutscher Autobauer ignoriert
Dass die höchste Repräsentatin der EU sich einer solchen Doppelzüngigkeit befleißigt, hat einen einfachen Grund. Es ist der Kotau, wie Chinesen zu Kaiserzeiten den ehrerbietenden Kniefall jeglicher Untergebener und den Kuss auf den Boden vor dem Herrscher nannten, den von der Leyen mit ihrer Ankündigung nun gegenüber der US-Regierung und ihrer Anti-China-Politik vollführt. Man mag diese Unterwürfigkeit als raffinierte Taktik oder als beschämende Botschaft empinden. Sicher ist jedoch, dass von der Leyen damit die existenziellen Geschäftsinteressen allen voran der deutschen Autoindustrie gefährdet. Da hilft auch die Liebedienerei gegenüber den europäischen Automobil-Lobbyisten, denen sie offenkundig mit möglichen Strafzöllen auf Autos made in China einen Gefallen zu tun glaubt.
Bruch mit China würde deutsche Hersteller äuerst stark verletzen
In Wirklichkeit schätzt von der Leyen die Macht- und Marktverhältnisse auf dem Automarkt und die Position der deutschen Hersteller falsch ein. So warnt der Direktor des Center Automotive Research in Duisburg, Ferdinand Dudenhöffer, vor möglichen Strafzöllen auf chinesische Autos. “Sollten Maßnahmen gegen chinesische Importe in Europa ergriffen werden, können wir mit absoluter Sicherheit erwarten, dass China reagiert”, so der Grandseigneur der hiesigen Autoszene. “Ein Bruch mit China würde die deutsche Autoindustrie äußerst stark verletzen.“ Allein die Ankündigung aus Brüssel werde bei den Chinesen für Verärgerung sorgen.
Mehr als jedes dritte Fahrzeug in China verkauft
Was für die hiesigen Hersteller dabei auf dem Spiel steht, zeigt der Blick auf die Verkaufsstatistik der Unternehmen. Ihr zufolge setzte der Volkswagen-Konzern im vergangenen Jahr 39 Prozent, BMW 33 Prozent und Mercedes 32 Prozent der Fahrzeuge im Reich der Mitte ab. Im Schnitt verkauften die drei deutschen Hersteller 2022 rund 36,6 ihrer Fahrzeuge in China, also mehr als jedes dritte. Da es sich dabei vielfach um die teureren Modelle handelte, dürfte der Anteil an den Einnahmen und erst recht am Gewinn deutlich höher liegen.
Überreif für die Rente
Von der Leyen machte ihre Ankündigungen auf ihrer letzten Rede in dieser Legislaturperiode vor dem EU-Parlament. Im Juni kommenden Jahres werden dessen Mitglieder neu gewählt. Bis dahin kann die 65-Jährige hoffentlich keinen allzugroßen Schaden mehr anrichten. Danach werden die Posten in der EU-Kommission neu vergeben. Jemand, der heuchelt, mit zwei Zungen spricht, vor den USA buckelt und der Kernbranche Deutschlands mit Millionen Arbeitnehmern schadet, ist überreif für die Rente.
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