Betrunkene Wildschweine, Biber und Waschbären in Wohnhäusern, Füchse in Gärten: Die Wildtiere haben die Stadt entdeckt. Immer wieder kommt es zu Zusammenstößen zwischen Mensch und Natur, doch es überwiegt die friedliche Koexistenz. In vielen Städten begleiten öffentliche Projekte das Zusammenleben.

Das Land ist vielen Tiere kein idealer Lebensraum mehr. Das ist das Ergebnis einer Langzeitbeobachtung der Initiative StadtWildTiere, die seit 2013 in inzwischen sieben Städten Österreichs, der Schweiz und Deutschlands betrieben wird. Die Vetrinärmedizinische Universität Wien begleitet das Projekt, bei dem jeder als Beobachter und Zähler eine aktive Rolle spielen kann. „Mit Hilfe der Bevölkerung wollen wir ein möglichst vollständiges Bild zu Vorkommen und Verbreitung von Wildtieren im Siedlungsraum erhalten“, sagt Richard Zink, Wildtierökologe und Initiator des Projekts der Wiener Zeitung. Inzwischen gibt es allein in Wien über 11 000 Eintragungen auf dem Portal der Initiative – zum großen Teil mit Fotos.
Berlin: Wohnungsnot für Mensch und Biber
Genauere Zahlen über die animalische Einwanderung in die Städte gibt es nicht. Doch allein das Tierschutzhaus im Wiener Vorort Vösendorf betreute im vergangenen Jahr etwa 3 500 verletzte und aufgegriffene Wildtiere. Inzwischen sah sich die Stadtverwaltung der Zwei-Millionen-Stadt veranlasst, eigens einen Wildtierservice einzurichten. Auch in Deutschlands Hauptstadt gibt es vergleichbare Einrichtungen. Immerhin gibt es, laut Schätzung des Wildtierexperten des Berliner Senats, Derk Ehlert, allein rund 120 Biber in der wasser- und inselreichen Stadt. Das Angebot an Biber-gerechtem Lebensraum in der deutschen Hauptstadt stoße bereits an seine Grenze.
In Wien weiß Stadtökologe Zink von Füchsen zu berichten, die seit je her im Zentrum der Stadt leben, ohne je im Leben offenes Land oder die städtische Grünoase Prater gesehen zu haben. Vor allem das Vorkommen von großen Säugetieren in Städten erregt immer wieder Aufsehen. Berühmtheit erlangte die Brache, die einem Berliner FKKler die Tasche samt Laptop stahl, jedoch nach Verfolgung durch den Nackten die Beute schließlich fallen ließ. Aber auch der torkelnde Keiler im Wiener Stadtteil Grinzing, der beseelt vom Genuss vergorener Äpfel in einem Garten seinen Rausch ausschlief, die Rehe, die seelenruhig durch den Berliner Stadtbezirk Lichtenberg spazierten oder der Jungwolf auf Pirschgang durch die Innenstadt des niedersächsischen Lohne verursachten ein gewaltiges Medienecho.
Der fehlende Jagddruck in der Stadt ist nur ein Grund für die Landflucht von Wildsau, Wolf & Co. Auch die industrialisierte Landwirtschaft treibt die Fauna in die Stadt. Die überreichliche Düngung geht zu Lasten der Pflanzenvielfalt. Waren früher mehrere Dutzend Pflanzenarten auf einer Wiese vertreten, dominieren heute artenarme Wiesen. Damit fällt für viele Tiere der Lebensraum fort. Anders in der Stadt: Essenreste im Komposthaufen, Katzen- und Vogelfutter, weggeworfenen Lebensmittel auf der Straße schaffen nicht nur für Tauben, Mäuse und Ratten ideale Lebensbedingungen. Das Gedeihen der Nager beispielsweise bereitet auch Füchsen, Mardern oder Dachsen einen reichgedeckten Tisch. Vor allem die Generalisten, also Tiere, die sowohl Frischfleisch, Aas wie Pflanzen fressen, profitieren von urbanen Leben. Dazu gehören Krähen, Dachse, Füchse.
Zu gutes Leben in der Stadt
Nicht zuletzt zieht die Erwärmung der Städte die Tiere an. Viele Tiere, die früher im Winter nach Süden zogen, wie Amseln, Stockenten oder Zaunkönige, überwintern heute gern in der warmen Stadt. Hinzu kommt, dass urbane Gegenden einfach vielfältiger sind als das großräumig gegliederte Land. In Städten wie Berlin oder Wien lösen sich Parkanlagen mit Kanälen oder Büschen im Gleisdreieck ab. Es gibt Industrieruinen für Fledermäuse, Friedhöfe für Eichhörnchen, Rasenflächen für Rehe und Gartenverstecke für Igel.
Oft geht es den Tieren in den Städten zu gut. Unzählige Wildschweine zerpflügen Friedhöfe und Parkanalgen. Ungeklärt ist die Frage der Bejagung. Eine französische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass zum Beispiel der Abschuss von Wildschweinen wenig bringt. Die Schweine füllten die so entstandenen Leerräume ganz schnell mit Nachwuchs.
Mehr: Wiener Zeitung
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