Die Vorwahlen in der Partei Europe Ecologie-Les Verts (EELV) zur Präsidentschaftskandidatur haben der feministisch-radikalen Bewerberin Sandrine Rousseau ein unerwartet gutes Ergebnis beschert. Die Hochschullehrerin aus Lille erhielt nur knapp 3 000 Stimmen weniger als der Favorit Yannick Jadot. Kenner der französischen Grünen schließen für die Stichwahl einen Sieg Rousseaus nicht aus.
Yadot, Europa-Abgeordneter und Vertreter eines moderaten Kurses erhielt 27,7 Prozent der insgesamt 106 000 grünen Stimmen, Rousseau 25,14 Prozent. Die beiden folgenden Kandidaten, Delphine Batho und Eric Piolle, folgten mit je rund 22 Prozent dichtauf. Umfragen wenige Tage zuvor hatten jedoch einen eindeutigen Sieg des Favoriten vorausgesagt.
Batho und Piolle wollen zwar keine Wahlempfehlungen für die Online-Stichwahl in den Tagen vom 25. bis zum 28. September abgeben. Dennoch rechnet das Lager um Rousseau fest damit, dass die promovierte Ökonomin den Großteil der Stimmen der Batho- und Piolle-Anhänger für sich vereinnahmen wird. “Piolle, Rousseau, Batho verkörpern mit 75 Prozent (der Stimmen) die neue radikale Linie”, zitiert die links-liberale Tageszeitung Le Monde einen Anhänger des Rousseau-Flügels.
Sandrine Rousseau hatte in der Vergangenheit wegen ihrer dezidiert feministischen Positionen immer wieder in der Schusslinie nicht nur konservativer Politiker gestanden. Als sie ihre Kandidatur für die Vorwahlen ankündigte, galt sie als Nischenbewerberin mit nur wenig Chancen auf Sieg. Mit der eigenen Partei hatte sie sich 2017 vorübergehend überworfen. Ein Jahr zuvor hatte sie mit ihrer Aussage dazu beigetragen, dass der langjährige Pateichef Denis Baupin wegen vorgeworfener sexueller Übergriffe seine Ämter, darunter die Vizepräsidentschaft der französischen Nationalversammlung, aufgab.
Wegen ihrer Neigung zu Alleingängen gilt sie im Führungszirkel der EELV als “unkalkulierbar”. Als sie sich Anfang des Jahres um die Präsidentschaftskandidatur bewarb, baten Freunde aus der Parteispitze sie darum, künftig zumindest “weniger Betroffenheit” zu zeigen. An der Basis, besonders bei den jungen Mitgliedern, ist sie hingegen wegen ihrer emotionalen Auftritte und ihrer Unbeugsamkeit beliebt.
Schwenk nach links
Die grüne Pariser Stadträtin und Rousseau-Unterstützerin Alice Coffin erwartet nach dem Votum einen Schwenk der Partei nach links. Ihrer Einschätzung nach ist Yadot nun gezwungen, radikalere Positionen einzunehmen, wenn er Präsidentschaftskandidat werden will.
Politiker anderer französischer Parteien warnen nun vor einer Radikalisierung der Grünen. So twitterte der Parlamentsabgeordnete der Regierungspartei La République en marche, François Jolivet, dass die Wahl zeige, wie weit sich die Woke-Ideologie bei den Grünen durchgesetzt habe. Der Begriff Woke bezeichnet die entschlossene Parteinahme für benachteiligte Gruppen.
Jean-Luc Mélenchon, Gründer von La France insoumise, hingegen stellte erfreut fest, dass die Grünen sich mit der starken Unterstützung von Sandrine Rousseau seiner Linksgruppierung näherten.
Mehr: Le Monde
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