Lange war sie mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Jetzt entdecken Trendsetter die Fermentation nicht nur für die häusliche Küche. Für angesagte Restaurants ist sie ein Mittel, eingeschliffene Genussmuster zu überwinden.
Mehr Nachhaltigkeit und ein wirtschaftlicher Einkauf ist der eine Grund. Neue Wege in der Zubereitung der andere: Spitzenköche verwenden nicht mehr ausschließlich frische Produkte. Sondern sie setzen auf Fermentation – die alte, in den vergangenen Jahren aber in Vergessenheit geratene Methode, Nahrungsmittel zu konservieren.
Der Fernsehkoch Alexander Herrmann etwa nutzte die Corona-Lockdown-Zeit, um in seinem Hermanns Posthotel im fränkischen Wirsberg ein Fermentations-Lab aufzubauen. Das offizielle Ziel ist die Veredelung regionaler Saisonware. Der betriebswirtschaftlich gern genutzte Nebeneffekt: Das im Sommer und Herbst günstig eingekaufte heimische Obst und Gemüse wird konserviert. Das senkt die Kosten. Denn in den Wintermonaten muss weniger teure Importware hinzugekauft werden.
Neue Dimension mit altem Verfahren
Fermentation ist in der Gastronomie zwar beileibe kein neues Thema. Aber die Dimension, die sie in Herrmanns Zwei-Sterne-Küche erreicht, ist ungewöhnlich: In seinem Kühlhaus stapeln sich Tausende Einmachgläser mit Salzkirschen, Perlzwiebeln oder Holunderkapern. Frische Knoblauchzehen werden im Backofen fermentiert, bis sie eine tiefschwarze Farbe und einen süßlichen Geschmack angenommen haben. In Salz eingelegte Leber wird getrocknet und später als Gewürz auf Gerichte gehobelt. Gegrilltes Störfilet wird mit Senfgurken und pikanter Fischsoße kombiniert, Kürbis kommt in mehreren Varianten auf den Tisch. Dazu kommen Schmorpaprika-Miso und Garnelen aus Aquakultur.
Auch Soßen, die Königsdisziplin der Köche, werden bei Herrmann mit fermentierten Zutaten angerührt. Grundlage sind vergorene Linsen, Weizen oder Soja. Der Gärprozess wird mit Koji-Pilz-Kulturen in Gang gebracht, der fränkischen Version der traditionellen, japanischen Shoyu-Sojasoße.
Amerikaner Vorreiter
Fermentation war früher selbstverständlich. Fast jeder hatte Gläser mit Eingemachtem im Kellerregal oder einen Steintopf mit Sauerkraut stehen. Mit dem Einzug des Kühlschranks in jede Küche geriet die Technik in Vergessenheit. Bis sie zu Beginn des Jahrtausends neu entdeckt wurde, zunächst in den USA, dann in den skandinavischen Ländern. Inzwischen können Hobbyköche im Internet sogar Pilzkulturen erwerben, um selbstgemachte Wurst haltbar zu machen und ihnen ein besonderes Aroma zu geben. Milchsäure, Essigsäure oder Alkohol, die bei einer Fermentation entstehen, sind nicht nur Konservierungsmittel. Sie sind auch Geschmacksträger. Auch durch Temperatur und Zeit lässt sich der Geschmack beeinflussen.
Auch zu Hause
Mittlerweile ist das Angebot an fermentierten Lebensmitteln kaum noch überschaubar. Der deutsche Koch Heiko Antoniewicz spricht sogar von einem Metatrend: „Legt man den Fokus auf Regionalität, auf kurze Transportwege, auf perfekte Erntezeiten, alles Schwerpunkte also, die für viele Gastronomen eine kulinarische Zukunft haben, ist Fermentation eine Stilistik, diese Themen in die Küche zu übersetzen.“ Was für die mehr oder weniger ambitionierte Alltagsküche natürlich genauso gilt.
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