Nachhaltige Geldanlage: Finanzdienstleister Ökoworld kämpft mit harten Kriterien gegen Vertrauensverlust durch Greenwashing

Im Exklusiv-Interview mit Reinhold Böhmer erklären ein Vorstand und eine Managerin des Finanzdienstleisters Ökoworld in Hilden bei Düsseldorf, wie sie mit der Beibehaltung harter Kriterien den Ruf nachhaltiger Geldanlagen retten wollen, der durch Greenwashing in letzter Zeit arg ramponiert wurde.

Torsten Müller, 47, studierte Bankbetriebswirtschaft und war bis 2018 bei verschiedenen Banken leitend tätig. Seit 2018 ist er Vorstand bei Ökoworld und zuständig für die Bereiche Nachhaltigkeitsresearch, Marketing & Presse/Öffentlichkeitsarbeit, Banken- & Vermittlervertrieb sowie IT. Ökoworld  gilt als Pionier der umweltgerechten und sozialen Geldanlage in Deutschland.
Torsten Müller, 47, studierte Bankbetriebswirtschaft und war bis 2018 bei verschiedenen Banken leitend tätig. Seit 2018 ist er Vorstand bei Ökoworld und zuständig für die Bereiche Nachhaltigkeitsresearch, Marketing & Presse/Öffentlichkeitsarbeit, Banken- & Vermittlervertrieb sowie IT. Ökoworld gilt als Pionier der umweltgerechten und sozialen Geldanlage in Deutschland. Das Unternehmen wurde 1975 von dem heute 77-jährigen Kaufmann und ehemaligen Umweltaktivisten Alfred Platow sowie dem Mathematiker Klaus Odenthal in Hilden bei Düsseldorf gegründet, ging 1999 als Versiko (für “Versicherungskollektiv”) an die Börse und heißt seit 2003 Ökoworld (Foto: Ökoworld).
Verena Kienel, 43, studierte Internationale Wirtschaftswissenschaften in Großbritannien und Sustainability Management an der Leuphana Universität in Lüneburg. Seit 2017 arbeitet sie bei Ökoworld und leitet seit Anfang 2023 zusammen mit Mathias Pianowski die Abteilung Nachhaltigkeitsresearch, in der Unternehmen auf die Einhaltung ökologischer, sozialer und ethischer Kriterien überprüft werden (Foto: Ökoworld)
 

Frau Kienel, Herr Müller, nachhaltige Geldanlagen sind in Verruf geraten. Untersuchungen zeigen, dass mindestens 40 Prozent angeblich umweltgerechter und sozialer Investments Greenwashing sind. Die Deutsche-Bank-Fonds-Tochter DWS musste deswegen in den USA sogar 19 Millionen Euro Strafe bezahlen. Wieso sollte man als nachhaltiger Sparer oder Investor da sein Geld bei Ökoworld anlegen?

Müller: Das ist vom Grundsatz her genau die Frage, die wir täglich beantworten müssen: Wovon heben wir uns von unsauberen Anbietern ab? Wir sind seit vier Jahren mit einer Entwicklung konfrontiert, die mit der Regulierung auf EU-Ebene unter der Überschrift „Umweltgerechte und Soziale Unternehmensführung“, auf Englisch abgekürzt: ESG, begann. Das heißt, Unternehmen müssen berichten, inwiefern sie sich an ökologische und soziale Standards halten. Das tun sie jetzt zwar zunehmend.  Leider haben Fondsgesellschaften dies aber vor allem als Marketinginstrument entdeckt, um nachhaltigen Sparern und Investoren vermeintlich die gewünschte nachhaltige Geldanlage zu verkaufen.

Macht genau das nicht auch Ökoworld?

Müller: Nein, wir unterscheiden uns in einem entscheidenden Punkt. Mit der ESG-Regulierung auf EU-Ebene beriefen sich viele Fondsanbieter auf Artikel 9 der sogenannten Offenlegungsverordnung, derzufolge Unternehmen explizit erklären müssen, welche Nachhaltigkeitsziele sie anstreben. Das löste einen regelrechten Hype aus, indem Fondsgesellschaften Finanzprodukte als dunkelgrün verkauften, obwohl deren Emittenten lediglich konkrete Nachhaltigkeitsziele veröffentlichen. Dazu gibt es Artikel 8 mit noch schwächeren Vorgaben. Prompt machten Wettbewerber damit auf ökologisch und sozial, indem sie zum Beispiel einen Beirat oder Anlageausschuss installierten und so die Einhaltung von Nachhaltigkeitstandards suggerierten. Ökoworld hingegen macht damit ernst, und zwar seit 1975. Wir wurden von zwei Überzeugungstätern aus der Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegung gegründet, die eigene viel schärfere Kriterien festlegten und deren kompromisslose Anwendung umsetzten.

Was geht bei Ihnen nicht, was andere Fondsanbieter durchwinken?

Kienel: Zunächst einmal prüfen die Analystinnen und Analysten der hausinternen Nachhaltigkeitsresearch-Abteilung jedes Unternehmen einzeln und unter Berücksichtigung unserer umfassenden Ausschluss- sowie Positivkriterien. Hier haben wir sicherlich mehr Kriterien als andere Anbieter. Wir lassen uns auch nicht von Ratings externer Ratingagenturen beeinflussen oder kaufen solche einfach ein. Darüber hinaus haben wir seit 1992 einen unabhängigen Anlageausschuss, der für den Fonds Ökovision Classic darüber entscheidet, ob ein Unternehmen in das Anlageuniversum aufgenommen werden darf oder nicht.

Wie häufig passiert das?

Kienel: Unser Anlageausschuss umfasst zehn Mitglieder, die breites Expertenwissen mitbringen auf Gebieten wie Verbraucherschutz, fairem Handel, Klima, Umwelt, Energieeffizienz und Ethik. Die Runde tagt dreimal im Jahr zwei bis drei Tage lang, in denen 50 bis 60 Unternehmen behandelt werden…

… was sehr viel ist. Bleibt es dadurch nicht bei mehr oder weniger oberflächlichen Checks?

Kienel: Nein, im Gegenteil: Der Anlageausschuss erhält von den Analystinnen und Analysten der Nachhaltigkeitsresearch-Abteilung erstellte mehrseitige Dossiers über Unternehmen vorgelegt, deren Aktien wir kaufen wollen, einschließlich Informationen zu deren Lieferkette –  alles auf unsere Kriterien heruntergebrochen plus unsere Einschätzung. Dabei werden mindestens zehn Ausschlusskriterien überprüft, vom Geschäft mit fossilen Brennstoffen und Waffen über Chlorchemie und Atomkraft bis zu Massentierhaltung und Menschenrechten. Hinzukommen positive Kriterien, zum Beispiel ob ein Unternehmen einen positiven Beitrag zu einer nachhaltigen ethisch einwandfreien gesellschaftlichen Entwicklung leistet und wie dies geschieht. Gemeint ist damit die Berücksichtigung von Kreislaufwirtschaft, Umwelt- und Klimazielen, Ressourcenschonung, Menschen- und Arbeitnehmerrechten und guter Unternehmensführung.

Hand aufs Herz, wie viele der von Ihnen vorgelegten Empfehlungen lehnt der Anlageausschuss im Schnitt tatsächlich ab?

Kienel: Das ist unterschiedlich. Von den 50 bis 60 Vorlagen pro Sitzung sind rund zwei Drittel Wiedervorlagen, also Updates über Unternehmen, die bereits in unserem Anlageuniversum enthalten sind. Von den neu vorgelegten Unternehmen lehnt der Anlageausschuss schätzungsweise ein Drittel ab. Das ist für uns natürlich manchmal bitter, weil wir meist mit viel Arbeit und Herzblut zu unserer Empfehlung gelangt sind.  

Welches Unternehmen ist zuletzt durchgefallen?

Kienel: Zum Beispiel der taiwanische Fahrradhersteller Giant. Der wurde allerdings nicht wegen seiner Produkte abgelehnt, sondern weil dem Anlageausschuss die Informationen nicht ausreichten, die das Unternehmen bezogen auf unsere Kriterien zur Verfügung stellte. Wir versuchen, den Mangel nun zu heilen, haben das Unternehmen in Taiwan besucht und hoffen, dass der Anlageausschuss beim nächsten Mal positiv entscheidet – so wie er das zum Beispiel auch beim japanischen Fahrradkomponenten-Hersteller Shimano getan hat.

Hat das Greenwashing Ihrer Konkurrenten in der jüngsten Vergangenheit dem Geschäft mit nachhaltigen Geldanlagen geschadet?

Müller: Es ist definitiv ein genereller Vertrauensverlust festzustellen, unter anderem durch das Greenwashing. Das hat die Verbraucher und auch die Berater vielfach ratlos hinterlassen, wie man sich jetzt noch auf Nachhaltigkeitsversprechen verlassen kann, sei es auf Basis der ESG-Artikel, von Quoten und Ratings, sei es aufgrund von Siegeln. Trotzdem glaube ich, dass der Trend zur Nachfrage nach echten nachhaltigen Geldanlagen weiter intakt ist.

Welche Auswirkungen hatten die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg auf das Geschäft von Ökoworld?

Müller: In der Zeit vor und während der Pandemie hatten wir eine hervorragende Wertentwicklung. Das änderte sich mit Beginn des Ukraine-Kriegs Anfang 2022, durch den Fonds und Geldanlageprodukte zulegten, in denen auch Aktien von Unternehmen stecken, die an dem Krieg verdienen…

… also zum Beispiel Aktien des Düsseldorfer Rüstungskonzerns Rheinmetall und des Luftfahrtriesen Airbus, die den Deutschen Aktienindex, den Dax, angetrieben haben.

Müller: Dies hat so manchen Anbieter nachhaltiger, nunmehr weniger profitabler Geldanlagen von seinen hehren Zielen abrücken lassen. Das heißt, da haben Anbieter von Fonds mit Nachhaltigkeitstouch auf einmal wegen der Kursentwicklung in Aktien investiert, die für uns nicht in Frage kommen, und Anleger sind ihnen dabei leider gefolgt. Das ist uns, die wir bei unseren Kriterien geblieben sind, voll in die Parade gefahren.

Wie äußerte sich das konkret?

Müller:  Wir hatten im vergangenen Jahr sehr hohe Rückflüsse…

… sprich: die Anleger haben viel Geld aus Ihren Fonds abgezogen.

Müller: Ja, glücklicherweise hat sich das aber inzwischen stabilisiert. Die Rückflüsse bewegen sich wieder ihm üblichen Rahmen. Wir hatten vor dem Ukraine-Krieg eine ganz hervorragende Wertentwicklung und versuchen nun, durch vertrauensbildende Maßnahmen Anleger zu überzeugen, wieder mehr in unsere Fonds zu investieren. Dazu zählt, noch mehr Transparenz zu schaffen bei dem, was wir tun, damit die Leute merken, was wir anders machen als die Konkurrenz.

Woran sollen die Anleger das erkennen?

Kienel: Erst einmal sind wir schon immer die Einzigen, die ausschließlich nachhaltige Fonds anbieten. Dabei bleibt es. Wir haben fünf Fonds aufgelegt und für alle fünf galten und gelten die gleichen harten Kriterien. Die haben wir vor mehr als 20 Jahren entwickelt, die leben wir weiter und die weichen wir nicht auf.  

Worin unterscheiden sich die fünf Fonds?

Kienel: Das sind vier Aktienfonds und ein Fonds mit Aktien und Anleihen. Das heißt, wir kaufen Anleihen und vor allem Aktien von Unternehmen und bilden daraus dann unterschiedliche Körbe, aus denen Anleger Anteile kaufen können. Unseren ältesten und mit zwei Milliarden Euro Anlagevolumen größten Fonds, den Ökoworld Ökovision Classic, gibt es seit 1996. Hier investieren wir in Aktien von Unternehmen weltweit, die Vorreiter bei der Nachhaltigkeit sind. Darüber hinaus gibt es seit 2007 den Klima- und seit 2008 den Wasserfonds, die Aktien nachhaltiger Unternehmen rund um den Klimaschutz und die Wasserversorgung kaufen.  Unser jüngster Fonds datiert aus dem Jahr 2012 und umfasst Aktien nachhaltiger Unternehmen aus Schwellenländern, die nicht die verlängerte Werkbank des globalen Nordens darstellen, sondern auf vorbildliche ökologische und soziale Weise die Binnenkonjunktur dieser Länder stärken.

Für Aufsehen in der Anleger-Community haben Sie jedoch mit einem anderen Fonds gesorgt, nämlich mit Ihrem Rock’n-Roll-Fonds.  Sponti-Spaß oder seriöse Geldanlage?

Müller: Der Spaßeindruck täuscht ein wenig. Rock’n Roll oder Rockmusik stand in den 1960ern für Protest und Aufbruch, denken Sie nur an das legendäre Woodstock-Musikfestival 1969 in den USA unter dem Motto “Love and Peace”. Man war damals in den USA entweder gegen den Vietnam-Krieg, gegen die Diskriminierung der Schwarzen oder dafür. Diesem Aufstand gegen das Unethische soll man unserer Ansicht nach auch mit seiner Geldanlage Ausdruck verleihen können – deshalb der provokative Fondsname.

Worin soll sich der Aufstand gegen das Unethische denn in der Geldanlage ausdrücken?

Kienel: Im Rock’n-Roll-Fonds liegen die Anlageschwerpunkte auf Unternehmen- und Staatsanleihen sowie auf Aktien von Unternehmen im Bildungs-, im Gesundheits- und im Ernährungssektor. Dazu zählen Anteile an einem Fonds, der den Ausbau von Kindertagesstätten in finanziert, sowie Aktien aus den Bereichen schulische und universitäre Bildung. Die Firma Bright Horizons zum Beispiel, deren Aktien im Rock’n- Roll-Fonds liegen, betreibt Betriebskindergärten in den USA, ein anderes Unternehmen, dessen Akien mit von der Partie sind, Kindergärten in Indien, wieder ein anderes in Brasilien produziert Lehrmittel für Lehrer.

Die Nato und der Westen unterstützen die Ukraine mit milliardenschweren Waffenlieferungen gegen den Angriff aus Russland. Bleiben Aktien von Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall und Airbus für Ökoworld trotzdem ein Tabu?

Kienel: Eindeutig ja.

Wie ist das mit Zulieferern der Rüstungsindustrie? Es gibt Banken, die sich Ethik und Nachhaltigkeit zu Gute halten, aber einen bestimmten Prozentsatz des Umsatzes mit Rüstungsfirmen zulassen. Drücken Sie bei Ökoworld da auch ein Auge zu?

Kienel: Nein, auch Aktien solcher Unternehmen würden wir nie kaufen. Hier ist unsere Linie klar: Null Prozent Rüstung. Die Nutzung ziviler Produkte für den Militärbereich, den sogenannten Dual Use, können wird dabei allerdings nicht ausschließen.

Lassen Sie uns ein paar weitere prominente Unternehmen danach durchgehen, ob deren Aktien für Ökoworld in Frage kommen. Wie ist das mit Alphabet, dem Mutterkonzern von Google?

Kienel: Nein, auch Meta, den Dachkonzern von Facebook, und den iPhone-Hersteller Apple schließen wir aus.

Amazon?

Kienel: Nein. Wegen der Missachtung von Arbeitnehmerrechten und der Konsumbeschleunigung.

Der Pharmariese Johnson & Johnson?

Kienel: Nein, auch Bayer, wegen des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat, und BASF, wegen der Chlorchemie, kommen nicht in Frage.

Nestlé?

Kienel: Nein! Wegen zu vieler Widersprüche zu unseren Kriterien, allein beim Thema Trinkwasser in Plastikflaschen.

Der Wohnungskonzern Vonovia?

Kienel: Nein.

Rohstoffkonzerne?

Kienel: Für Ökoworld ist die Förderung von Rohstoffen ein Aussschlusskriterium – wegen der bekannten Schäden für Umwelt und Klima sowie der nicht selten untragbaren Arbeitsbedingungen.

Gibt es auch Unternehmen, die Sie im Nachhinein ausgeschlossen haben?

Kienel: Ja, wir prüfen alle Unternehmen aus unseren Anlageuniversen mindestens alle drei Jahre komplett neu. Da kommt es öfter mal zu Ausschlüssen. Das ist der Fall, etwa wenn ein Unternehmen durch Firmenübernahmen neue Geschäftsfelder betritt. Das britische Unternehmen Aptiv mit einem Standort in Wuppertal zum Beispiel, das neben Kabelbäumen auch Anwendungen durch Künstliche Intelligenz für das autonome Autofahren entwickelt, übernahm zwei Firmen in Großbritannien, die sich mit elektronischer Kriegsführung beschäftigen. Der Anteil des neuen Geschäfts ist zwar sehr gering, er reichte jedoch für uns, um das Unternehmen aus unserem Anlageuniversum auszuschließen.

Welche Staaten erfüllen Ihre Ansprüche in einem Umfang, der Sie deren Anleihen kaufen lässt?

Kienel: Das sind nur wenigen Staaten. Wir kaufen Anleihen von westeuropäischen Staaten, auch von Neuseeland, dann hört der Spaß aber auch schon ziemlich auf. Anleihen von den USA, von China, von Russland oder Saudi-Arabien kommen für uns nicht in Betracht. Der Vollzug der Todesstrafe ist für uns zum Beispiel ein Ausschlusskriterium, ebenso der Besitz von Atomwaffen.

Der Volksmund sagt, der Hehler sei so schlimm wie der Stehler. Auf ihr Geschäft übertragen könnte das heißen: Wer bringt ihre Fondsanteile eigentlich an den Mann oder die Frau? Ist Ihnen das egal oder dürfen das nur Institutionen, die ihrerseits als ethisch korrekt oder nachhaltig gelten?

Müller: Zunächst ist für uns wichtig, dass wir zwei Vertriebswege haben. Der eine ist Ökoworld selbst, wir verkaufen also mit Hilfe eigener zehn bis zwölf Leute hier am Firmensitz in Hilden bei Düsseldorf unsere Geldanlagen, und zwar direkt an den Sparer oder Investor. Das macht allerdings nur rund fünf Prozent unseres Geschäfts aus. Die anderen 95 Prozent unserer Geldanlagen verkaufen wir über externe Vermittler. Das sind im Wesentlichen Sparkassen sowie Genossenschafts- wie Geschäftsbanken, jedoch auch Versicherungen, deren Kunden eine fondsgebundene grüne Alterssicherung wünschen. Vertriebsorganisationen, die für uns nicht in Frage kommen, sind zwar nur ein sehr kleiner Kreis, aber sie gibt es.

Wer gehört dazu?

Müller: Es gab katholische Kirchenbanken, die unsere Fonds vertrieben haben, weil sie zutiefst davon überzeugt waren, dass wir die richtigen Geldanlagen haben. Trotzdem haben wir mit diesen Banken vor vier, fünf Jahren die Vertriebsvereinbarung gekündigt, weil wir die verhinderte oder verzögerte Aufklärung der zigtausend Sexualmissbrauchsfälle in der Katholischen Kirche als moralisch und ethisch nicht tragbar empfanden. Das hat uns Geld gekostet, war uns aber egal, denn hier galt es, Rückgrat zu zeigen.

Dass die französische Bank PNB Paribas, Europas größter Atomkraftfinanzierer, Ihre Fonds durch übernommene Tochterinstitute wie Consors oder DAB in Deutschland verkauft, stört Sie nicht?

Müller: Wir haben mit PNB Paribas verhandelt und erreicht, dass die Tochterinstitute keine Provisionen für den Verkauf unserer Geldanlagen kassieren, sondern diese den Käufern unseren Geldanlagen überlassen.

Auch nachhaltig orientierte Menschen legen ihr Geld nicht so gern in Fonds an, mit denen sie Geld verlieren oder ihr Vermögen kaum vermehren können. Können Sie überhaupt noch genügend Rendite bieten, um solche Anleger zu überzeugen?

Müller: Die Wertentwicklung unserer Fonds schwankt natürlich. Unser Klimafonds etwa hatte 2020 eine Wertsteigerung von über 46 Prozent nach Abzug der Verwaltungskosten hingelegt. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges gab es Rückgänge von über 20 Prozent. Da hätte man sich durchaus fragen können, ob wir für eine höhere Rendite unsere Kriterien aufweichen sollten. Wir haben das aber ausdrücklich nicht gemacht. Es zeigt sich nämlich, dass nachhaltige Fonds nur ganz selten signifikant schlechter laufen als Geldanlagen, die sich nicht darum scheren. Aber solche schwachen Jahre gibt es und damit muss man leben, wenn man bei Ökoworld investiert.

Der Deutsche Aktienindex, der Dax, hat in den vergangenen fünf Jahre um rund 50 Prozent zugelegt. Wie war das mit den Fonds von Ökoworld?

Müller: Immerhin zwei unserer Fonds konnten in dieser Zeit den Dax schlagen. Der Ökoworld Klima hat in diesem Zeitraum um 53 Prozent zugelegt und der Ökoworld Growing Markets sogar um 67 Prozent. Der Ökovision Classic hat in dieser Zeit allerdings nur um 25 Prozent zugelegt. Der Grund hierfür ist jedoch einfach. Wir haben weder Rüstungsfirmen, Unkrautvernichtungshersteller und Chemiekonzerne, noch Automobilhersteller und Versorger im Programm, die weiterhin mit fossilen Brennstoffen Geld verdienen. Einige dieser Unternehmen waren zuletzt die Treiber in den Aktkenindizes. Deutsche Unternehmen, also auch aus dem Dax, sind in unseren Fonds ohnehin sehr wenig vertreten, gleiches gilt für den US-Aktienindex S&P 100, der die 100 größten börsennotierten amerikanischen Unternehmen umfasst. Eine Ausnahme stellen der Bonner Logistikkonzern DHL oder der Hamburger Flurförderfahrzeughersteller Jungheinrich dar.

Verbraucherschützer raten tendenziell von Geldanlagen in Fonds ab, die immer wieder umgeschichtet, also aktiv verwaltet werden. Denn derlei lassen sich die Fondsbetreiber natürlich bezahlen. Viel günstiger sind Fonds mit Papieren, die lediglich bestimmte Börsenindizes abbilden, sogenannte ETF-Fonds. Was verlangt Ökoworld für seine Fonds?

Müller: Wir berechnen 1,76 Prozent Verwaltungsvergütung zuzüglicher einiger Fremdkosten, was zu einer Gesamtkostenquote führt, die zum Beispiel bei unserem Fonds Ökovision Classic im vergangenen Jahr bei 2,13 Prozent lag. Damit sind wir ein bisschen teurer als andere Fondsanbieter. Ja, das ist so. Das liegt aber auch an dem Aufwand, den wir betreiben, um wirklich nachhaltige Geldanlageprodukte bieten zu können. So beschäftigen sich elf unserer insgesamt rund 70 Mitarbeiter ausschließlich mit dem Nachhaltigkeitsresearch, also der Überprüfung von Unternehmen, ob sie unseren Kriterien genügen.

Geht Ökoworld mit den strengen Anlagekriterien nicht die Gefahr ein, Aktien zu erwerben, von denen es nur vergleichsweise wenig gibt? Dadurch könnte es passieren, dass Anleger aussteigen, also gewissermaßen Kasse machen wollen, und Ökoworld auf einen Schlag so viele Aktien verkaufen muss, dass der Aktienkurs dadurch sinkt.

Müller: Wir kaufen und verkaufen 99 Prozent der Aktien ganz normal über die Börse. Das schränkt uns zugegeben schon ein wenig ein. Denn unser Erfolg, also dass wir viele Geldanlagen verkaufen und dafür viele Aktien kaufen, kann uns Probleme bereiten, insbesondere wenn es sich um Aktien kleiner Unternehmen handelt. Mit unserem Fondsvermögen von 3,2 Milliarden Euro, das wir inzwischen verwalten, können wir in bestimmten Fällen durchaus den Kurs einer Aktie drücken, wenn wir hohe Stückzahlen verkaufen. Das heißt, wir müssen sehr darauf achten, aus Aktien herauszukommen, ohne den Kurs kaputt zu machen.

Wer ist es, der oder die sich in dieser ganzen Gemengelage von dem sozialen und ökologischen Gewissen leiten lässt und Anteile an einem Ihrer Fonds kauft?

Müller: Wir können natürlich nur etwas über die Kunden sagen, die Fondsanteile direkt bei uns und nicht bei einer Volksbank oder Sparkasse kaufen. Von denen wissen wir ziemlich genau, dass es sich um Überzeugungstäter handelt. Das heißt, von denen kauft niemand unsere Produkte ausschließlich unter Rentabilitätsgesichtspunkten. Diese Kunden suchen einen kompromisslosen Ansatz wie den unsrigen. Wir wurden sogar schon mal von einem dieser Kunden gefragt, ob wir einen Wertzuwachs von 46 Prozent wie im Jahr 2021 ethisch in Ordnung fänden.

Sind das Jüngere oder eher Ältere, die zu Ihnen kommen?

Müller: Unser Kundenstamm besteht zumeist aus Leuten über 60 und Vermögenden. Bei den Neukunden fällt jedoch auf, dass es vorzugsweise jüngere Menschen sind, entweder Erben oder Menschen sind, die bisher mit uns noch nichts zu tun hatten, zum Beispiel Anhänger der Friday-for-Future-Bewegung. Das sind vielfach Leute, die nicht nur mit nachhaltiger Kleidung, Ernährung und Freizeitgestaltung gegen die Klima- und Umweltschädigung protestieren, sondern dies jetzt auch mit ihrer Geldanlage tun wollen. Da spüren wir sowohl im Bereich der Altersvorsorge, als auch im Bereich der Einmal-Anlage und Sparpläne wachsendes Interesse bei Jüngeren. Das geht über alle Einkommensklassen. Da gibt es auch welche, die sagen, ich habe nicht viel, aber das Wenige, das ich anlegen kann, will ich in etwas Gutes stecken.

Und wo würden Sie Ihre Kundschaft politisch verorten?

Müller: Nachhaltigkeit ist enorm vielen Menschen wichtig – egal ob sie politisch eher links oder rechts ticken. Aber ist es sicherlich richtig, dass unsere Kundschaft tendenziell stärker im grünen und linken Spektrum angesiedelt ist. Unsere Investoren haben alle eines gemeinsam: Sie wollen die Welt für die junge und nachfolgende Generation nachhaltig gestalten. Dazu gehört auch die wachsende Zahl derer, die sich die Frage stellen, wofür sie leben und welchen Sinn ihr Tun hat. Um diese vermehrt als Kunden zu gewinnen, veranstalten wir Schulungen mit Vertriebsmitarbeitern der Banken, damit sie den Unterschied unsere Geldanlageprodukte gegenüber den vermeintlich grünen Angeboten von Fondsanbieter wie Blackrock und DWS besser herausarbeiten können. Denn wichtig für Ökoworld ist: Wir wollen unsere Kunden überzeugen, nicht überreden.

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