Der opake Blick der Münchner Staatsanwaltschaft auf die Letzte Generation

Opak bedeutet lichtundurchlässig. Mit einer solchen zynischen Geisteshaltung, die sich jeder tieferen rechtlichen Einsicht verschließt, zieht die Münchner Staatsanwaltschaft gegen die Letzte Generation und ihre Klebeaktionen auf Autostraßen zu Felde. Ein Gastbeitrag von Heinrich Comes.

Heinrich Comes, 76, ist Strafverteidiger in Köln und Kopf der Gruppe von Anwälten, die namentlich nicht genannte leitende Mitarbeiter des Essener Energiekonzerns RWE wegen angeblicher Tötung Tausender Menschen durch die Folgen der Braunkohleverstromung angezeigt haben. RWE bestreitet die Vorwürfe.

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Die Münchner Staatsanwältinnen und Staatsanwälte wollen also diese Republik und diese Gesellschaft gegen die von der Letzten Generation ausgehenden Gefahren schützen. Nach öffentlicher Aufforderung durch einzelne Stimmen aus der Politik – etwa die des früheren Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU) – entlarvt die Strafverfolgungsbehörde der bayrischen Landeshauptstadt diese Gruppierung als kriminelle Vereinigung im Sinne des Paragraphen 129 Strafgesetzbuch und nutzt flugs das mit der Vorschrift zur Verfügung gestellte Besteck, um zahlreiche Wohnungen durchsuchen oder auch die Website  sperren zu lassen. Ja, die Gesellschaft – besser gesagt: ein Teil von ihr – ist genervt, insbesondere von den wiederkehrenden Verkehrsblockaden, die sich dadurch in die Länge ziehen, dass die Aktivisten sich auf die Straße kleben, um ihre Entfernung und Räumung des Ortes zu erschweren. Endlich, endlich! denkt bestimmt so mancher Autofahrer über die brachiale Aktion der freistaatlichen Ermittler, der vielleicht schon einmal erwogen hat, eigenhändig Abhilfe zu schaffen.

Doch was heißt hier endlich, endlich? Ist der Zugriff der Behörden jenseits des Bauchgefühls mancher Autorfahrer überhaupt rechtens? Der genauere Blick ins Gesetz lehrt etwas anderes.

Fundamentales Missverständnis oder böse politische Absicht

Erstens: Eine kriminelle Vereinigung im Sinne des Gesetzes ist eine solche, deren Zwecke oder Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen. Eine derartige Zweckrichtung einer Gruppe zuzuschreiben, der es darum geht, deutlich zu machen, dass die von Politik und Gesellschaft bislang ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen, den Klimawandel in einem für Menschen lebbaren Rahmen zu halten, lässt entweder auf ein fundamentales Missverständnis oder auf böse politische Absichten schließen. Ob einzelne Mitglieder oder Sympathisanten dabei entweder mit Sabotagehandlungen oder Sachbeschädigungen an einer Pipeline die Grenzen überschritten haben oder zu überschreiten drohten, mag den Ermittlungen überlassen bleiben, kann aber als untypischer Sonderfall nicht der Gruppe als prägender Organisationszweck zugeschrieben werden.

Wie aber sind die Verkehrsblockaden als typische Aktionsformen zu bewerten? Selbst wenn man sie grundsätzlich als strafbare Nötigungen verstehen wollte, so empfiehlt sich doch die genauere Lektüre des Paragraphen 129 gegen kriminelle Vereinigungen, nämlich seines zweiten Absatzes. Danach ist der ganze Pagraph nicht anzuwenden, „wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“. Genau das ist aber bei der Letzten Generation der Fall, weshalb sie durchaus zugibt, Straftaten zu begehen, jedoch nicht als Endziel, sondern als Mittel zum Zweck, sprich: um mehr Kliamschutz zu erzwingen. Schon daran, dass die Bayrische Staatsanwaltschaft sich über diese wesentliche Einschränkung des Paragraphen 129 Strafgesetzbuch hinweggesetzt hat, wird deutlich, wes Geistes Kind sie ist.

Nötigung und Rechtswidrikeit fraglich

Zweitens ist fraglich, ob eine Verkehrsblockade der Letzten Generation mit der bekannten Zielrichtungen wirklich eine strafbare Nötigung im Sinne des Paragraphen 240 StGB darstellt. Dass es bei den Aktionen um solche „Nötigungen“ handelt, setzt voraus, dass es dabei um Anwendung von Gewalt oder um Drohungen mit einem empfindlichen Übel handelt. Darüber lässt sich trefflich streiten und kann nur anhand der konkreten Situation geklärt werden. Mindestens so wichtig ist jedoch, dass sich die Aktionen als rechtswidrig erweisen. Rechtswidrig, sagt wiederum das Gesetz, ist eine Tat, wenn die ergriffenen Mittel im Verhältnis zu dem angestrebten Zweck sich als verwerflich darstellen.  Das Gesetz fordert mithin eine umfassende Abwägung unter Einbeziehung sämtlicher relevanten Elemente, also der benutzten Mittel auf der einen Seite, der ins Auge gefassten Zwecke auf der anderen.

Zynische Gesetzesamputation

Hier kommt den Strafverfolgsungsbehörden leider die Rechtsprechung entgegen. Denn diese hat in den vergangenen Jahren die sogenannten Fernziele von Aktionen aus der Abwägung sukzessive ausgeklammert und den Zweck von Aktionen auf das abgenötigte Verhalten reduziert, zum Beispiel das Anhalten von Fahrzeugen. Die eigentlichen Ziele werden von den Gerichten heute als bloße Tatmotive, Beweggründe oder “politische Ziele“ aus dem Sinngehalt der Aktionen herausgefiltert. Damit haben die Gerichte, um den Tatbestand ohne umfassendere Überprüfungen und Abwägungsprozesse handhabbarer zu gestalten, die Aktionen von der intendierten Zweckrichtung abgeschnitten.  Dass eine derartige Amputation dem Sinn des Gesetzes kaum entsprechen kann, ist offensichtlich. Den Menschen, die in ihrer Verzweiflung über die mangelnde Aktivität unserer Gesellschaft und Politik gegen die zunehmende Veränderung des Klimas und ihre tödlichen Folgen sich auf die Straße setzen, zu unterstellen, sie täten dies lediglich, um Autofahrer in ihrem Bewegungsdrang zu hindern, vielleicht sogar deren Irritationen und Aggressionen zu genießen, ist zynisch.

Notwehr offenkundig

Drittens ist zu fragen, ob die Aktionen der Letzten Generation nicht schon deshalb gerechfertigt sind, weil es sich dabei um eine Tätigkeit der Notwehr oder Nothilfe handelt. Dies wäre dann der Fall, wenn die Täter, also die Mitglieder der Letzten Generation, sich mit ihren Aktionen vor einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff schützen. Natürlich wehren sich die Aktivisten nicht gegen jemanden, der einem oder mehreren von ihnen ein Messer vor die Brust hält, gewiss nicht. In Wirklichkeit wehren sie sich aber gegen noch viel schlimmeres Unmittelbares und Gegenwärtiges, nämlich gegen fortlaufende Verletzungshandlungen: unaufhörliche Emissionen von Treibhausgasen, zu denen neben der fossilen Energiewirtschaft, dem Gebäudesektor und der Landwirtschaft auch der Verkehr mit einem erheblichen Anteil  beiträgt. Diese Emissionen töten ganz gegenwärtig und täglich, ja stündlich Menschen. Sofern man der Klima- und Zuschreibungswissenschaft glaubt, sind bereits unzählige Menschen an Hitze oder anderen Folgen des Klimawandels verstorben, sprich: von den Emittenten des CO2 umgebracht worden. Durch sie haben  weitere zahlreiche Menschen ihre Lebensgrundlagen infolge von Überschwemmungen oder Dürren verloren. Das bedeutet: Was heute aus den Auspüffen und Schornsteinen aufsteigt, birgt den unaufhaltsamen Tod in absehbarer Zeit in sich. Unmittelbarer, gegenwärtiger ist kaum denkbar. Nur dass es eben kein sichtbarer, sich aufdrängender Gegenstand unserer Wahrnehmung ist, weil es schleichend passiert, verdeckt, zunächst und primär in anderen verletzlicheren Weltregionen. Dass die Ursachen hierfür aber auf der Hand liegen, hat nicht zuletzt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 unter Hinweis auf einen nicht zu übersehenden wissenschaftlichen Forschungsstand geklärt. Nur die Generalstaatsanwaltschaft München bewahrt sich hier eine Opazität, deren Sicht nur bis zu den Stoßstangen der angehaltenen Fahrzeuge reicht.

Strafverfolger verschonen Politiker und Unternehmen

Welche Folgen ergeben sich daraus? Zum einen ermitteln die Staatsanwälte, welche die Letzte Generation in den Blick nehmen, gegen die Falschen. Die Haupttäter, die insbesondere viel zu lange an der fossilen Energiegewinnung und an fossilen Treibstoffen festgehalten haben, die Unternehmen, die damit Milliardengewinne gemacht haben, sind nicht Gegenstand gebotener strafrechtlicher Ermittlungen. Gleiches gilt für die Verkehrspolitiker, die seit Jahrzehnten die Umstellung auf klimafreundliche, emissionsvermeidende Strukturen und Techniken hintertrieben haben. Auch und gerade sie wären eine strafrechtliche Überprüfung wert. Ja, auch Sie Herr Dobrindt sowie Ihre beiden Parteifreunde, Ihr Nachfolger Andreas Scheuer und Ihr Vorgänger Peter Ramsauer!

US-Rechtswissenschaftler machen Druck

Bereits im Jahr 2018 und erneut 2022 wurden Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen aus dem RWE-Konzern wegen entsprechender Tötungsdelikte aufgrund von aus deren Kraftwerken ausgehenden Emissionen erstattet. Die zuständigen Staatsanwaltschaften in Aachen, Köln, Mönchengladbach, Essen und Hamm zeigen diesbezüglich ihre kalte Schulter. Zwei amerikanische Rechtswissenschaftler fordern nunmehr in einer umfangreichen Ausarbeitung für die angesehene Harvard Law Review die US-amerikanischen Staatsanwälte auf, endlich gegen die entsprechenden klimazerstörerischen Machenschaften der  dortigen fossilen Industrie Ermittlungen aufzunehmen.

Thema für künftige Juristengeneration

Wo verstecken sich die wirklichen kriminellen Vereinigungen, die für zigtausende Opfer des Klimawandels durch fossile Energieträger verantwortlich sind? Dies zu erkennen, verhindert opakes Denken, wie es in er Münchener Staatsanwaltschaft vorherrscht. Stattdessen verfolgen die Bayern, wie vorauseilend auch schon die Kollegenschaft in Brandenburg, Kassandra und ignorieren die eigentlichen Täter. Aus strafrechtlicher Sicht gibt es dafür sogar einen Begriff: Beihilfe. Diesem Thema wagt sich vermutlich erst die künftige Generation der Juristen und Rechtshistoriker anzunähern, wenn es die Folgen des Klimawandels strafrechtlich aufzuarbeiten gilt und die Verantwortlichen nicht mehr unter uns weilen – mithin nicht mehr belangt werden können.

1 Kommentar

  1. Bevor man solche polit-juristischen Texte schreibt oder veröffentlicht, ist wohl ein Prüfung angemessen, ob die exaltierte Metapher der -..Moment…ich muss hochscrollen…- “opaken” Argumentation nicht auf die eigenen Texte zutrifft. Das Bild des Autors wäre nicht nötig gewesen. Dass es einer dieser 68er-hab-Recht-Menschen ist, wird schon aus dem Text heraus klar.

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