Killt Corona, schont das Klima

Ein Start-up aus der Nähe von Berlin hat ein Gerät entwickelt, das das Corona-Virus in der Raumluft unschädlich macht. Nebeneffekt für die Umwelt: Die Methode erspart ständiges Lüften und somit übermäßiges Heizen.

Desinfektionsdunst gegen Corona-Viren: Neuartiges Gerät zur Bekämpfung von Covid-19 in der Raumluft (Foto: Oji)
Von Reinhold Böhmer

Das Prinzip klingt einleuchtend: Ein gängiges Desinfektionsmittel, aufgelöst in Wasser, mit einer Düse fein zerstäubt – und schon sind alle Keime in der Atemluft, allen voran das Corona-Virus Covid-19, vernichtet. Es bräuchte kein ständiges Lüften, in der Hoffnung, die Erreger würden sich dadurch verdünnisieren. Niemand müsste entweder dick eingepackt am Schreibtisch und an der Schulbank sitzen oder die Heizung auf groß stellen, um sich nicht zu erkälten.

Die Idee haben ein Ex-Investmentbanker aus der Nähe von Berlin, ein Physiko-Chemiker und Arzt aus Deutschland und den USA sowie ein in Indien geborener Ingenieur aus Dubai in den vergangenen neun Monaten in die Praxis umgesetzt – und ein Verfahren zur Desinfektion von Raumluft entwickelt. Das Gerät namens Aerosolis kommt jetzt in großem Stil auf den Markt. Erste Modelle gibt es bereits bei Media-Markt. In Bälde sollen die Anlagen auch bei Amazon erhältlich sein. “Damit kann man sich in Räumen nicht mehr anstecken”, sagt Thomas Bone-Winkel, Chef der Oji Europe Gmbh in Warchow westlich von Berlin, die die Geräte bauen lässt und vertreibt. Und nebenbei wird auch noch das Klima durch weniger Heizen geschont.

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Von der Ski-Gondel bis zum Großraumbüro

Sollte sich das Verfahren im Dauereinsatz unter realen Bedingungen als wirksam und praktikabel erweisen, könnte es den Schutz vor Corona und anderen Pandemien in Zukunft extrem erleichtern. Menschen etwa in Büros, Klassenräumen oder Restaurants müssten keine Atemmasken tragen. Das Desinfektionsmittel stünde, weil massenhaft produziert, immer in gegügender Menge zur Verfügung. Abstandsregeln entfielen. Der technische Aufwand wäre gering, die Geräte funktionieren teilweise sowohl mit Stromanschluss als auch mit Akkus. Die Technik ist für unterschiedlich große Räume ausgelegt, von der Ski-Gondel übers Wohnzimmer bis zum Großraumbüro.

Und die Kosten sind überschaubar. Die Preise der Geräte bewegen sich im Rahmen der Ausgaben für Klimanlagen. Der kleinste Zerstäuber etwa für Aufzüge oder Autos kostet kostet laut Oji-Website 149 Euro, das Gerät für Räume bis 25 Quadratmeter 249 Euro und die Anlage für Flächen bis 75 Quadratmeter 649 Euro. Hinzu kommt Desinfektionsmittel für rund sieben bis zehn Euro pro Liter.

Beim Tee in der Wüstenmetropole

Der technische Kopf hinter der Entwicklung ist der indische Ingenieur Gundeep Singh, 55, der seit Jahren im arabischen Emirat Dubai wohnt und unter anderem für die dortige Scheichfamilie arbeitete. Mit ihm zusammen hatte Oji-Gründer und Ex-Investmentbanker Bone-Winkel, 55, vor gut einem Jahr zu Beginn der Corona-Pandemie bei einer Tasse Tee in Dubai den Einfall: Wer die Handläufe der Rolltreppen in den Shopping-Centern der Wüstenmetropole desinfiziert, könnte dies doch auch mit der Raumluft versuchen. Gesagt, beschlossen – in den Folgemonaten machten sich die zwei an die Entwicklungsarbeiten, an ihrer Seite der Mediziner und Physiko-Chemiker Dirk Boecker, Partner unter anderem einer Gesundheitsfirma in den USA.

Altbekanntes Desinfektionsmittel

Als Viruskiller verwendete das Trio einen altbekannten Stoff, der weltweit als klassisches Desinfektionsmittel eingetzt wird: Hypochlorige Säure, eine Verbindung aus Chlor, Sauer- und Wasserstoff, kurz: HOCl. Die Substanz wird in der Natur von den weißen Blutkörperchen aller Säugetiere, also auch des Menschen, produziert und spielt eine wichtige in Rolle in deren Immunsystem bei der Abwehr von Infektionen. HOCl zersetzt die Zellwände einzelliger Mikroorganismen wie Bakterien und Viren und macht sie dadurch unschädlich. Menschliches Gewebe wird dabei nicht beeinträchtigt, weswegen die Substanz in geringer Konzentration auch in einigen Nasensprays enthalten ist.

Schädlicher Dunst gegen Viren

Für die Drei war dies der Schlüssel, das Corona-Virus dort zu bekämpfen, wo es für die größten Einschränkungen seit Beginn der Pandemie sorgte, nämlich in Räumen wegen der dortigen Atemluft. Denn schon nach kurzer Zeit hatten Epidemiologen herausgefunden, dass sich Menschen über feinste Feuchtigkeitspartikel in der Luft, sogenannte Aersole, mit dem Virus infizieren, weshalb Restaurants, Kinos, Theater, Musikhallen und Hotels Wochen und Monate lang dichtmachen mussten. Also galt es, ein Verfahren zu ersinnen, das Hypochlorige Säure in der richtigen Verdünnung auf einfache Weise als feinsten Dunst in die Luft bläst, um dort die Viren unschädlich zu machen.

Zusammenarbeit mit Henkel und Fraunhofer

Um sicher zu gehen, dass die Idee funktioniert, schalteten die Tüftler einschlägige Experten ein. Dazu zählte der Düsseldorfer Waschmittel-, Kosmetik- und Klebstoffhersteller Henkel. Dessen Chef-Mikrobiologe Roland Breves bestätigte in aufwändigen Test die Wirksamkeit des Verfahrens. Dabei zeigte sich, dass die Wirkung des unsichtbaren Viruskillers über viele, im Extremfall acht bis zehn Stunden anhält. Mit Hilfe des Fraunhofer Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover gingen die Erfinder zudem sicher, dass ihre Geräte die gültigen Schadstoffgrenzwerte einhalten. Das Verfahren ist inzwischen patentiert. Montiert werden die Anlagen in China.

Auf einen Kuss

Oji-Chef Bone-Winkel ist überzeugt, mit den Geräten die Ansteckungsgefahr durch das Corona-Virus auch auf Gebieten zu verhindern, für die sie nicht unmittelbar gedacht sind. Denn der feine unsichtbare Dunst aus den Düsen legt sich auch auf die Haut des Menschen und tötet dort die Keime. “Selbst wenn mir jemand einen Kuss gibt,” so Bone-Winkel, “bleibe ich gesund.”

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