Wie können die Bewohner einer Großstadt mit nachhaltigen Lebensmitteln aus dem Umland versorgt werden? Wissenschaftler haben das am Beispiel von Berlin durchgespielt. Denn Logistik und Verteilung machen beim ökologischen Fußabdruck den Unterschied.
Die Erfahrungen aus der Coronapandemie und dem aktuellen Ukrainekrieg zeigen, wie wichtig eine zuverlässige Lebensmittelversorgung aus der Umgebung ist. Denn wenn die Versorgungsketten gestört sind, steigen die Preise. Oder die Regale bleiben ganz leer. Seit der Klima- und Landwirtschaftskrise wissen wir, dass die Versorgung durch eine globale, produktivistische Landwirtschaft für die Gesellschaft kostspielig ist. Doch Anpassungen der agrarischen Praxis allein genügen nicht. Denn ein Großteil der ökologischen Schäden kommt durch Lagerung, Transport und in der Verteilung zustande.
Die Autoren einer kürzlich erschienenen Studie des Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) schlagen daher eine radikale Veränderung der Nahrungsmittelversorgung in den Städten vor. Kern des neu entworfenen Systems sind sogenannte Lebensmittelpunkte. Dort sollen neben Lebensmitteln auch Informationen über deren Ursprung und Herstellung angeboten werden. Das System, so die Forscher, eröffne regionalen Anbietern neue Märkte. Es verbessere sowohl die Ernährung wie auch das Wissen darüber.
Kurze Wege braucht die Stadt
Die ZALF-Wissenschaftler stützen ihre Studie auf das Konzept der 15-Minuten-Stadt, das im Jahr 2016 erstmals für Paris entwickelt wurde. Die Grundidee: Die urbane Lebensqualität hängt in hohem Maße von dem Zeitaufwand ab, den die Stadtbevölkerung aufbringen muss, um Bedürfnisse wie Lebensmittel, Kultur, Gesundheit und öffentliche Dienstleistungen zu befriedigen. Maximal innerhalb einer guten Viertelstunde sollten die Bürger zu Fuß alles erreichen, was sie im Alltag brauchen.
In der Studie entwerfen die Forscher ein Netz von Lebensmittelpunkten für Berlin, die Markträume und Begegnungsstätten zwischen Herstellern und Konsumenten bieten. Ein bereits erprobtes Beispiel sei Das Baumhaus in Berlin-Wedding. Das Zentrum ist eine Mischung zwischen Biomarkt, Bildungsstätte und Veranstaltungsort. Dort werden wöchentlich ökologisch produzierte Lebensmittel von Bauernhöfen aus der Region vertrieben. Neben dem Lebensmittelhandel finden im dem Zentrum Workshops über Nahrungsmittel und Kochtreffen statt.
Stadt und Land – Hand in Hand
Für Berlin haben die Agrar- und Urbanexperten die “ideale” Anzahl und Lage solcher Lebensmittelpunkte errechnet. Mit 231 Zentren dieser Art könnten 91 Prozent der Berliner Bevölkerung ihren Bedarf an nachhaltig produzierter Nahrung innerhalb eines Kilometers abdecken, sagen die Forscher. Das Konzept ließe sich auch auf andere Städte übertragen. Beatrice Walthall, Co-Autorin der Studie: „Lebensmittelpunkte könnten direkt dazu beitragen, ein sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltiges und gegenüber Krisen robusteres regionales Nahrungsversorgungssystem gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung zu schaffen.”
Das Land Berlin solle dazu einen engeren Schulterschluss mit Akteuren in Brandenburg suchen, wo die Mehrheit der regionalen Produzenten ansässig sei. Zusammen könne man nicht nur neue Absatzmärkte für regionale Produkte schaffen, sondern die Nahrungsmittelversorgung in der gesamten Hauptstadtregion nachhaltiger und gerechter aufstellen – und damit bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen.
Mehr: Leibnitz-Zentrum für Agrarlandforschung (ZALF)
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