Ein Fünftel der Früchte und des Gemüses kommt wieder unter den Pflug oder in den Abfall

Obst und Gemüse gelangt oft nicht in die Regale, weil die Schönheitskriterien des Handels zu streng sind. Zum Teil lassen es die Bauern auf den Feldern. Oder es wird zu Tierfutter verarbeitet. Und manche Produkte müssen aufwendig entsorgt werden. Diese Verschwendung belastet Klima und Umwelt.

Saubere Früchtchen Hoher ökologischer Preis (Michael Rittmeier/Pixelio.de)

Nach einer Veröffentlichung des Thünen-Instituts bleiben bis zu 30 Prozent des Gemüses auf den Feldern. Eine Untersuchung des Landesamtes für Umwelt und Verbraucherschutz NRW geht von aus, dass die durchschnittlichen Lebensmittelverluste von der Ernte bis zur Lieferung an den Handel rund 20 Prozent betragen. Und europaweiten Forschungen zufolge gelangen je nach Produkt bis zu 37 Prozent der Ernte nicht in den Handel.

An den vielgescholtenen EU-Richtlinien liegt das nicht. Die Brüsseler Behörden haben in den vergangenen Jahren die Messlatte für die Einheitlichkeit von Lebensmitteln Schritt für Schritt abgesenkt. Eine Regelung wie die oft zitierte Verordnung Nr. 1677/88 zur Gurkenkrümmung wäre heute kaum denkbar. Sie wurde auf Druck des Handels eingeführt und 2009 gegen den entschiedenen Widerstand der Bauern- und Handelslobby von der EU-Kommission außer Kraft gesetzt. Der Handel benutzt die abgeschaffte Normung als interne Maßgabe jedoch weiterhin.

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Grund für die Liebe des Handels zur Normung von Obst und Gemüse sind zwar vor allem ästhetische Gesichtspunkte. Aber auch alles, was nicht in die gängige Verpackungs- oder Vermarktungsstrategie passt, fällt durch das Raster. So müssen Äpfel oder Blumenkohlköpfe gleich groß sein, damit sie als Stückware durchgehen. Einige Handelsunternehmen fordern zum Beispiel bei Kohlrabi einen Mindestdurchmesser von zehn oder zwölf Zentimeter. Brokkoli soll ein Mindestgewicht von 500 Gramm haben. Bei Blumenkohl nimmt der Handel oft nur Kisten mit sechs gleich großen Köpfen ab.

Pestizide für frischen Blattschmuck

Doch wenn es der Vermarktung dient, schert sich der Handel wenig um kostengünstige Logistik. Blätter von Kohlrabi, Möhren oder Porree bleiben nicht auf den Feldern zur Düngung. Sie werden zu den Märkten transportiert. Weil sie im Supermarkt Frische suggerieren, nehmen die Handelsriesen die Sperrigkeit in Kauf. Und damit die Blätter so richtig frisch aussehen, kommt es gelegentlich auch zum zusätzlichen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Auch weitere Düngemittel kurz vor der Ernte können nötig sein, um den Blättern zu etwas mehr vermeintlicher Frische zu verhelfen. Für Verbraucher ist das Blattschmuck-Marketing von Nachteil. Denn wegen der Verdunstung über die Blätter wird das Gemüse schneller welk. Haltbarkeit und Qualität leiden.

Zwar gibt es Verbraucher (wie der Autor), die im Sinne der Vom-Blatt-bis-zur-Wurzel-Philosophie aus Kohlrabi-Blättern Suppen oder aus Möhren-Grün Pesto kreieren. Das ist durchaus umweltfreundlich. Allerdings ist diese Gruppe von zu vernachlässigender Kleinheit. Es wäre für die agro-alimentäre Industrie umweltschonender und kostengünstiger, Blätter und Grün auf den Feldern zu lassen oder zu kompostieren.

Mehr Dünger

Nach Meinung des Bundesumweltamtes stellt die Allgemeinen Vermarktungsnorm der EU für frisches Obst und Gemüse und das deutsche Lebensmittelrecht hinreichend sicher, dass die Ware gesundheitskonform ist. Die zusätzlichen Normen des Handels sichern lediglich makelloses Aussehen, gleiche Größe oder Gewicht. Diese außergesetzlichen Vorgaben zwingen die Landwirte häufig dazu, mehr Dünger, Wasser oder Pestizide einzusetzen und verwandeln wertvolle Lebensmittel in Abfall. Sonderaktionen wie Aldis “Krumme Dinger”, “Die etwas Anderen” von Kaufland oder die “Naturgut Bio Helden” von Penny sind lobenswerte Anstrengungen. Sie lösen das Problem aber auf Dauer nicht.

Mehr: Umweltbundesamt

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