Licht aus! Wie Frankreichs tollkühne Fassadenkletterer die Umwelt retten

In französischen Großstädten hangeln sich Extremsportler blitzschnell an Hausmauern hoch, um der Lichtverschwendung ein Ende zu setzen. Oder sie springen katzengleich aus dem Stand zum Notschalter und drehen Schaufenster-Beleuchtungen und Neon-Reklamen den Strom ab.

Kletterkünstler bei der Übung Tagsüber trainieren, nachts die Welt retten (S. Hermann & F. Richter/Pixabay)

Die Ordnungshüter schauen gern weg, wenn die sogenannten Parkour-Athleten in Spiderman-Manier an den Fassaden hochklettern und für Dunkelheit sorgen. Denn in Frankreich müssen Schaufenster und Reklameleuchten zwischen ein Uhr nachts und sechs Uhr morgens ausgeschaltet bleiben. So bestimmt es ein Gesetz aus dem Jahre 2013. Aber viele Geschäftsinhaber halten sich nicht daran. Anzeigen sind selten. Und besonders in Paris schrecken die Strafzahlungen von 150 Euro bei Erstverstößen und von 750 Euro bei Wiederholung die Betreiber von Luxusboutiquen kaum ab.

Wie Catwoman oder Spider-Man

Daran stießen sich die meist jugendlichen Anhänger der Trendsportart Parkour. Die Traceurs, wie sie in Frankreich auch genannt werden, durchqueren die Stadtlandschaft nach Möglichkeit auf kürzestem Weg. Sie überwinden dabei auf akrobatische Weise Mauern, springen von Dach zu Dach über Höfe und Gassen. Spider-Man, Catwoman und James Bond lassen grüßen. Sekundenschnell hangeln sie sich von Stockwerk zu Stockwerk, halten sich an kleinsten Vorsprüngen fest. Vorgegebene Wege und Hindernisse sind für sie Herausforderungen, die es zu ignorieren und zu überwinden gilt. Die Bewegung gibt es in Frankreich seit Ende der Achtzigerjahre. Wettkämpfe lehnen die Parkour-Läufer ab. Sie war ursprünglich unpolitisch, blieb aber stets in Distanz zum Verbandssport.

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Umwelt-Ninjas Kühner Sprung an den Schalter macht der Lichtverschmutzung ein Ende (Quelle: Le Parisien)

Doch seit etwa zwei Jahren engagieren sich die Traceurs zunehmend in Umweltfragen. Sie nennen sich Wizzy Gang, Rallumez les Etoiles (Macht die Sterne wieder an), Le Clan de Neon oder Les Veilleurs de Nuit (Wächter der Nacht). Meist treffen sie sich gegen Mitternacht und ziehen durch die Einkaufszentren von Rennes, Marseille, Montpelliers, Lyon und natürlich auch Paris. Technisch ist das Ausschalten für die Sportler kein Problem. Denn die Beleuchtungen haben Notschalter an den Außenfassaden, damit die Feuerwehr den Strom unterbrechen kann, wenn es brennt.

Militanz? Nein, danke!

Für Kevin Ha, einer der Wortführer der Pariser Gruppe On the Spot, bieten die Aktionen Gelegenheit „zur Tat zu schreiten, statt nur zu reden.“ Bei ihrem Vorgehen halten sich die Okö-Akrobaten an strenge Regeln. Nichts darf zu Schaden kommen, weder die Vitrinen noch die Technik. „Beleuchtungen, die Straßenbeleuchtung ersetzen oder unterstützen lassen wir Ruhe“, sagt Ha. Auch Beleuchtungen, die einem öffentlichen Interesse dienen, wie die für Apotheken, sind tabu. Die Traceurs sehen sich als besorgte Bürger, nicht als militante Kämpfer gegen Staat und Kapitalismus.

Weil sich das behutsame Vorgehen der Öko-Ninjas herum gesprochen hat, erhalten die Aktivisten immer wieder spontanen Beifall von Passanten. Anwohner fragen, ob sie helfen können. Und so mancher Polizist schaut nicht diskret weg, sondern fasziniert zu. In Paris bat ein Streifenpolizist – statt dem Treiben Einhalt zu gebieten – einen der Öko-Artisten, doch mal einen Salto rückwärts vorzuführen. In Marseille weigerte sich eine herbeigerufene Streife einzugreifen. Strafzettel oder gar Festnahmen gab es bislang keine.

Die Ordnungskräfte wissen, dass viele Politiker den Aktionen wohlwollend gegenüberstehen. So machte die Beigeordnete für Umweltfragen der Stadt Paris, Anne Souyris, im Gespräch mit Journalisten der Linkspostille Liberation keinen Hehl aus ihren Sympathien zu den Aktionen von On the Spot. Die Politikerin stört sich an der enormen Verschwendung von Energie. Verständlich: Schon 30 Prozent Verminderung der Straßen- und Werbebeleuchtung würde eine Einsparung von mindestens 175 000 Tonnen CO2 bringen, errechnete die staatliche Umweltagentur Agence de l’environnement et de la maîtrise de l’énergie (Ademe). Der eingesparte Strom von 1,6 Terawattstunden entspräche dem Jahresverbrauch von 400 000 Haushalten.

Lichtverschutzung tötet Insekten

Auch Anne Souyris‘ Kollege Christophe Najdovski, Beigeordneter für Grünflächen und biologische Vielfalt, findet die militanten Aktionen „begrüßenswert“. Die Leser von Liberation ließ er wissen, dass die Aktionen letztlich die „Schwäche der Umweltpolizei in Frankreich“ zeigten. Für Najdovski ist die Lichtverschmutzung ohnehin alles andere als ein ökologisches Nebenthema. Immerhin sei die visuelle Verschmutzung die zweitgrößte Ursache für Insektentod nach den Pestiziden der Landwirtschaft. Der Beigeordnete kämpft deshalb für die Einrichtung von Dunkelkorridoren quer durch Paris – bislang vergebens. Parkour-Ökölogen wie Kevin Ha sind für ihn daher keine halbkriminellen Störenfriede, sondern Unterstützer seiner Politik.

Die tatsächlichen Licht- und Stromeinsparungen durch die Aktionen dürften allerdings gering sein. So schaffen die Parkour-Läufer von On the Spot selbst in Paris pro Nacht höchstens 60 Ausschaltungen. Doch davon lassen sich die Parkourer nicht stören. „Wir wissen, dass unsere Aktionen nur symbolische Wirkung haben“, sagte dazu Öko-Ninja Ha dem Video-Magazin Brut., „aber wir wissen auch, dass sie Reaktionen auslösen – und das tut gut.“

Mehr: Liberation

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