Philips nimmt Millionen Atemgeräte wegen möglicher Krebsgefahr zurück – aber nur recht zögerlich

Sie sollen Kranken helfen, sind aber möglicherweise krebsgefährdend: Atemgeräte von Philips. In den USA, den Niederlanden und Frankreich ist der Skandal in der Massenpresse angelangt. Hierzulande ist er eher ein Thema unter Eingeweihten.

Atemgeräte von Philips Gefährlich für Leib und Leben?
Atemgeräte von Philips Gefährlich für Leib und Leben? (Foto: Greenspotting)

Einen Rückruf gab es in Deutschland nicht. Nur eine Sicherheitsmitteilung vor knapp zwei Jahren. Damals im Juli 2021 bekamen Patienten beunruhigende Schreiben von Philips. Von “lebensbedrohlichen Verletzungen” und “bleibenden Schäden”, von “schwarzen Ablagerungen in der Lunge” und “karzinogenen Auswirkungen” war die Rede. Die Patienten sollten ihrem Arzt aufsuchen, um weitere Optionen zu beraten. Die Therapie, also die Nutzung der umstrittenden Geräte, sollte aber nicht eigenständig beendet werden. Da Philips Millionen von Geräte nicht über Nacht auswechseln konnte oder wollte, ließ der niederländische Konzern Filter verteilen. Die allerdings bremsten den Luftstrom erheblich ab. Und erschwerten somit die Atmung. Wo das Gerät ursprünglich doch dem gegenteiligen Zweck dienen sollte.

ANZEIGE

Wie viele der (für die Philips-Anwälte: möglicherweise) gefährlichen Geräte in Deutschland noch in Gebrauch sind, ist wahrscheinlich selbst den Verantwortlichen bei Philips nicht bekannt. In Deutschland ist die Diskussion über den Rückruf und die (s.o.: möglichen) Gesundheitsschäden auffallend zurückhaltend. Ein paar Anwälte bieten im Netz den Opfern ihre Dienste an; medizinische Dienstleister warnen ihre Kunden. Wirtschaftsblätter wiesen seinerzeit ihre Leser die profitschmälernde Wirkung des Rückrufs hin; in den großen Tageszeitungen gab es auf den Finanzseiten Hinweise auf die Kosten für Philips. Von einer öffentlichen Affäre kann hierzulande keine Rede sein.

Gifte direkt in die Lunge

Dabei hat der Vorgang alle Zutaten für einen Skandal. Immerhin geht es um mehrere Millionen Patienten, die wegen Atembeschwerden vertrauensvoll Philips-Geräte nutzen. Die meisten dieser Geräte sind für Apnoe-Patienten bestimmt. Davon gibt es allein in Deutschland immerhin vier Millionen. Apnoe-Kranke hören während des Schlafs gelegentlich mit dem Atmen auf – bis zu einer Minute oder länger. Die Atemgeräte verhindern dies, indem sie einen – am Atemrhythmus des Patienten angepassten – Luftstrom einblasen. Damit die Geräusche der Maschine nicht den Schlaf der Nutzer stören, kleiden die Hersteller die Geräte mit einem schalldämpfenden Kunststoffschaum aus. Philips verwendete dafür einen “Schaumstoff aus Polyester-basierten Polyuretan (PE-PUR)”. Nun soll dieser Schaumstoff sich in einigen Fällen gelöst haben.

Teile des PE-PUR-Schaums seien über den Atemschlauch möglicherweise in die Luftwege von Patienten gelangt. Sie könnten zu Asthma, Kopfschmerzen, Schwindel, Reizungen von Augen, Nase, Haut und Atemwegen führen. Auch die Funktion von Niere oder Leber könne beeinträchtigt werden. Selbst Krebs schließt die Sicherheitsmitteilung von Phillips vom Juli 2021 nicht aus.

Alter Skandal

Inzwischen jedoch spielt Philips die Schäden herunter und schiebt die Ursache unsachgemäßer Reinigung – mit dafür nicht zugelassenem Ozon oder Ultraschall – zu. Tatsächlich gab es jedoch schon lange vor dem Rückruf Beschwerden. Laut der österreichischen Tageszeitung Kurier hat es schon ab dem Jahr 2008 tausende Beschwerden über die Beatmungsgeräte gegeben. Es soll in den USA sogar zu 124 Todesfällen gekommen sein. Philips behauptete in seiner Patientenwarnung hingegen, es gäbe “keine Berichte von Todesfällen”.

Anders als in Deutschland sind in den USA, in den Niederlanden, in Italien oder Österreich Presse, Verbraucherschützer und Anwälte eifrig damit beschäftigt, von Philips Rechenschaft einzufordern. In Frankreich haben jetzt über 200 Patienten sich zwecks einer Sammelklage zusammen geschlossen. In Österreich organisiert der Verbraucherschutzverein eine Sammelaktion für Betroffene. Italienische Richter betonten, dass die Geräte “wahrscheinlich zum Tode des Benutzers oder zu einer erheblichen (…) Verschlechterung des Gesundheitszustands führen.” Die Richter wiesen Philips daher im vergangenen April an, alle Geräte innerhalb weniger Wochen auszutauschen. Jeder Tag Verzögerung wurde mit einer Strafe von 20 000 Euro belegt.

Ingenieur warnte Philips

In den USA soll Philips bereits zwischen 2008 und 2017 über 220 000 Beschwerden erhalten haben mit Schlüsselwörtern wie Verunreinigung, Partikel, Schaum und Trümmer. Das ist laut France Info Dokumenten der amerkanischen Arzneimittelbehörde FDA zu entnehmen. Philips soll darüber hinaus von dem Lieferer des Schaumstoffes, dem Chemiekonzern Burnett aus Baltimore, früh vor der Verwendung in medizinischen Geräten gewarnt worden sein, heißt es in dem Bericht der FDA.

So habe ein Burnett-Ingenieur bereits 2016 in einer Mail geschrieben: “Es würde mich nicht überraschen, wenn dieser Schaum in der Hitze und Feuchtigkeit nach einem Jahr anfangen würde, sich aufzulösen.“ Er informierte Philips auch über die Existenz eines alternativen Schaums. Leider vergeblich für Nutzer wie für Philips-Anleger. Letztere verloren übrigens seit dem Bekanntwerden des Skandals Mitte 2021 über die Hälfte ihres Investments.

US-Bürger brachten den Stein ins Rollen

Leztlich war es der frühe Druck der amerikanischen Verbraucher, der zu dem Rückruf in den USA und der Sicherheitsmitteilung in europäischen Ländern führte. Doch selbst zwei Jahre nach der Aktion hat Philips nur 4,3 Millionen Geräte von 5,3 Millionen Geräten ersetzt. Millionen von (möglicherweise) gefährlichen Geräten zirkulieren also noch. Die meisten davon wohl in Europa, da in den USA die Entschädigungen deutlich höher sind. Tausende Menschen hierzulande nutzen wahrscheinlich die Geräte weiter oder leben ohne Atemtherapie.

Philips versucht inzwischen durch Gutachten angeblich unabhängiger Prüflabore die Gefahr herunter zu spielen. Die Institute hätten festgestellt, dass die festgestellten Emissionen wahrscheinlich innerhalb geltender Sicherheitsgrenzen lägen und keine nennenswerten Gesundheitsschäden für Patienten verursachten. Die Namen der Labore wollte der Konzern dem Sender France Info auf Anfrage jedoch nicht mitteilen.

Mehr: France Info Stoll & Sauer Philips

Lothar Schnitzler

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*