Wer denkt schon darüber nach, während er ihm durch die Finger rinnt: Sand ist der zweitmeist gefragte Rohstoff der Welt. Angetrieben vom globalen Bauboom baggern Sandräuber ganze Strände weg, um die begehrte Ware zu liefern. Und schrecken vor Mord nicht zurück.

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Jan Böhmermann, Late-Night-Satiriker im ZDF, drehte das Thema in seinem Magazin Royale kurzzeitig ins Absurde: Alle Sandmännchen-Sendungen zusammengerechnet, die bis heute über deutsche Bildschirme in Ost und West flimmerten, hätten den Kindern 89 000 Tonnen Sand in die Augen gestreut. Um dann gleich wieder ernst zu werden und über Morde der Sandmafia an Umweltschützern und Journalisten zu berichten (siehe Video unten).
Sandkrise ähnlich dramatisch wie Klimawandel und Artensterben
Tatsächlich schreitet der Raubbau an den letzten Sandreserven in einem derart bedrohlichen Tempo voran, dass das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) vor den in vielerlei Hinsicht verheerenden Folgen in einem eigenen Report warnt. An Dramatik für das Überleben der Menschheit steht die Sandkrise dem Klimawandel und dem Artensterben kaum nach,
Ohne Sand keine Photovoltaik, kein Elektronik und kein Wolkenkratzer
Um das Ausmaß zu verstehen, muss man zweierlei wissen. Ob Kosmetik, Glas, Elektronik, Asphalt, Beton oder Solarzellen – in all diesen massenhaft hergestellten Produkten stecken die feinen Körner. Das treibt die Nachfrage nach diesem heute schon nach Wasser meist ausgebeutetem endlichen Rohstoff in immer neue Höhen. Auf 50 Milliarden Tonnen jährlich schätzen Forscher sie inzwischen.
Die Nachfrage wird sich mehr als verdoppeln
Ganz besonders der Bauboom in China und anderen asiatischen Staaten eskaliert ihren Berechnungen zufolge den Bedarf. Er wird sich allein in diesem Sektor bis zum Ende des Jahrhunderts von jährlich zehn auf 25 Milliarden Tonnen mehr als verdoppeln – die jährlichen verfügbaren Reserven liegen aber bei zehn Milliarden Tonnen. Wegen der Knappheit wird sich auch der Sandpreis mehr als verdoppeln: von rund acht auf annähernd 20 US-Dollar je Tonne, so die Prognose (siehe Grafik unten).
Selbst Wüstenländer wie Katar und Saudi-Arabien transportieren für ihre Wolkenkratzer Sand aus Kanada und Australien heran. Denn als Baustoff sind nur kantige Exemplare bestimmter Größe tauglich, nicht jedoch die vom Wind rund geschliffenen Körner aus der Wüste. Das erklärt die eklatante Knappheit.
Inseln versinken im Meer
Der zur Weiterverarbeitung geeignete Sand findet sich vor allem in Flüssen aus Hochgebirgen, in den Flussdeltas und an Stränden. Er wird gnadenlos weggebaggert; der oft unkontrollierte Abbau hinterlässt verwüstete Biotope und Landstriche. Vor Indonesien sind schon ganz Inseln im Meer versunken, nachdem sie ihrer schützenden Sandwälle beraubt wurden. Die Niederlande zerstören weite Flächen des Meeresbodens vor ihrer Küste, weil sie den dortigen Sand für höhere Deiche gegen den steigenden Meeresspiegel infolge des Klimawandels verwenden. Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, nennt man das wohl.
Kriminelle Gangs foltern Aktivisten zu Tode
Der Sandrausch mit seinen märchenhaften Profiten hat vor allem in Ländern mit wenig bis gar keiner staatlichen Kontrolle über die Förderung mafiöse Geschäftsstrukturen hervorgebracht. Mit am skrupellosesten wütet diese Mafia in Indien, wie die Aktivistin Kiran Pereira in ihrem Buch „Sand Stories“ aufzeigt. Die kriminellen Gangs bestechen Politiker und Beamte. Sie lassen Polizisten von Lkws überfahren, foltern Aktivisten zu Tode und verbrannten Journalisten bei lebendigem Leib, recherchierte die Umweltorganisation „South Asia Network on Dams, Rivers and People“ aus Neu Delhi. Sie zählte zudem 193 tödliche Arbeitsunfälle in knapp zwei Jahren.
Maßnahmen gegen den Wahnsinn
Wie lassen sich dem ökologischen Wahnsinn und kriminellen Treiben Einhalt gebieten? Die UN-Experten schlagen dazu vor allem folgende Maßnahmen vor:
- Strenge staatliche Kontrolle und Umweltauflagen,
- Einsatz schonender Abbaumethoden,
- Nutzung recycelter oder alternativer Ersatzstoffe, etwa Flugasche, alter Asphalt, Holz und Mikroplastik,
- Ressourcen schonende Planung von Infrastrukturprojekten.
Ob dies mehr bewirkt, als uns Sand in die Augen zu streuen, muss sich zeigen.
Von Dieter Dürand

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