„Die Deutschen sind Angsthasen in Perfektion. Und die Politik verhält sich opportunistisch.“

Martin Herrenknecht, Vorstandsvorsitzender des Tunnelmaschinenbauers Herrenknecht, über Geothermie als nachhaltige Energie der Zukunft, die Ignoranz vieler Aktivisten und die weitverbreitete Feigheit in Deutschland. Als Mitglied der CDU in Baden-Württemberg plädiert Herrenknecht gegen den Eintritt seiner Partei in die Regierung von Winfried Kretschmann.

Martin Herrenknecht, 78, gründete den Hersteller von Tunnelbohrmaschinen im Jahr 1977. Aus dem mittelständischen Unternehmen wurde schnell ein Weltmarktführer mit über fünftausend Beschäftigten, die in über 30 Ländern aktiv sind. Im jüngsten Berichtsjahr wies der Konzern einen Umsatz von 1,2 Milliarden Euro aus. Die Anlagen von Herrenknecht kamen beim Bau des Gotthard-Basistunnels zum Einsatz ebenso wie bei Bau der vierten Röhre des Elbtunnels oder des Eurasia-Tunnel unter dem Bosporus. Neben Tunnelbohranlagen liefert der Hersteller aus dem badischen Schwanau Anlagen für den bergmännischen Vortrieb und Tiefbohranlagen. (Foto: Herrenknecht)

Herr Dr. Herrenknecht, in Ihrer Region, also in Baden, im Elsass und im Basler Umland, hat nach geothermischen Bohrungen immer wieder mal die Erde gewackelt. Gehört die Geothermie zu den Energiequellen wie die Kernkraft: Tolle Idee, aber zu gefährlich?

Absolut nicht. Wenn es zu Erdbewegungen kam, hing das so gut wie immer mit gravierenden Fehlern bei der Erkundung oder der Durchführung zusammen. In Staufen zum Beispiel, wo am Rathaus und an anderen Bauten Schäden aufgetreten sind, hat man vermeidbare Fehler gemacht. Das fängt an mit der Auswahl des Bohrunternehmens. Die haben einen Brunnenbauer ausgewählt, der mit dem Projekt überfordert war. Man kann doch nicht einfach Gipskeuper anbohren und sich dann wundern, wenn der nach einem Wasserzutritt quillt. Im übrigen handelte es sich dabei nicht um tiefe Geothermie, sondern um eine Bohrung mit geringer Tiefe, wie sie an anderen Orten zur Versorgung einzelner Gebäude häufig gemacht wird.

In Straßburg, gleichsam vor Ihrer Haustür, gab es vor wenigen Monaten größere Schäden, nach Bohrungen bis 5 000 Tiefe.

Das ist bei dem Versuch, die beiden relativ tiefen Bohrlöcher durch kristalline Schichten energetisch zu verbinden, passiert. Das ist in diesen Tiefen in kristallinen Formationen etwas komplexer. Es handelte sich um schwache Erdstöße, die kaum zu spüren waren und auf der Richterskala bei etwa 3,2 lagen. Die Schadensmeldungen schauen sich die Experten an. Als es vor Jahren zu leichten Erdbewegungen im Raum Basel kam, wurden teils auch absurde Schadensfälle gemeldet. Klar ist: wir leben im Oberrheingraben. Hier merken Sie seit jeher von Zeit zu Zeit, dass sich die Erde bewegt, es kommt auch so zu leichten seismischen Ereignissen.

Sind diese Fälle das Ende der Geothermie?

Um Himmels Willen, nein. Die Geothermie ist eine der wenigen nicht-fossilen, regenerativen Energiequellen, die uns Tag und Nacht, bei Windstille und trübem Wetter zur Verfügung steht – im Gegensatz zur Wind und Sonne. Schon wenige Meter unter uns ist die Erde warm und wird mit zunehmender Tiefe heißer. Erdwärme ist unbegrenzt. Erdenergie ist nicht nur für die Stromerzeugung geeignet, sondern liefert gleichzeitig auch enormes Potential zur Wärmenutzung.

Aber sie gilt als gefährlich!

Das ist sie bei professioneller Planung und sachgemäßer Projektdurchführung keinesfalls. Die Münchner heizen seit Jahren ganze Stadtviertel mit Erdwärme aus Tiefen von rund 3 000 Metern und mehr. Dort wird sogar auf dem Stadtgebiet gebohrt. Auch in Norddeutschland gibt es etliche Bohrungen. Und für die oberflächennahe Erdwärmenutzung gibt es hunderttausende erfolgreicher Beispiele in Deutschland.

München und Norddeutschland sind weit weg vom seismisch sensiblen Oberrheingraben.

Gerade die Oberrheinebene bietet sich wegen der geringen geothermischen Tiefenstufe für die Geothermie an. Hier brauchen Sie nicht sehr tief zu bohren, um auf höhere Erdtemperaturen zu stoßen. Wir heizen und kühlen unsere Werksgebäude am Konzernsitz in Schwanau seit Jahren mit Energie aus der Erde. Das Bohrloch ist etwa hundert Meter tief. Auch ein neueres Wohnhaus versorge ich so mit Energie. In der Region gibt es Projekte, die nicht nur vom zuständigen Bergamt, sondern auch vom KIT, also dem Karlsruher Institut für Technologie begleitet werden, die reibungslos funktionieren.

Inzwischen sind fast alle politischen Parteien für die Nutzung der Erdenergie. Trotzdem geht es bei – zumindest bei den Großprojekten – nicht voran. Woran liegt es?

An der Feigheit in Deutschland! Wir haben zum Beispiel in Brühl bei Mannheim an einem Projekt mitgearbeitet, das wissenschaftlich begleitet wurde. Da hätte man aus 3 700 Meter Tiefe pro Sekunde etwa 70 Liter heißes Wasser mit einer Temperatur von 170 Grad fördern können. Das Loch war schon gebohrt und sehr ergiebig. Wir hätten hier jede Menge CO2-freie Energie gewinnen können. Politik und Bürgerinitiativen haben das Projekt kaputt gemacht. Wenn Sie Ahnungslose und Ignoranten zu einer Info-Veranstaltung einladen, sind die für ein vernünftiges Für und Wider gar nicht zugänglich. Die haben ihre ideologischen Vorentscheidungen getroffen und lehnen aus Prinzip die Geothermie kategorisch ab.

Was machen die Politiker falsch?

Viele Politiker sind einfach zu schwach, um das offensichtliche Potential dieser regenerativen Energiequelle der Bevölkerung darzustellen. Die reden den Leuten nach dem Mund, anstatt zu versuchen, die Menschen mit guten Argumenten zu überzeugen – auch wenn es mal Gegenwind gibt. Sie wollen halt wiedergewählt werden. Die Deutschen sind Angsthasen in Perfektion. Und die Politik verhält sich opportunistisch. Sie erklärt auch nicht die Folgen des Verzichts auf Geothermie, dabei ist sie CO2-frei, grundlastfähig und regenerativ.

Die da wären?

Woher sollen wir unsere Energie beziehen, wenn wir fast alle Energiequellen verteufeln? Wir sind in Panik aus der Kernkraft ausgestiegen. Wir wollen ganz aus der Kohle raus. Die Umlage für die Erneuerbaren Energien hat die Strompreise in Deutschland nach oben getrieben. Nirgendwo in Europa ist Strom so teuer wie in Deutschland. Dann sollen wir auch noch auf russisches Erdgas verzichten. Die grünen Ignoranten haben keine Ahnung, was dann passieren wird. Wir werden billigen Atomstrom aus Frankreich kaufen, der unmittelbar hinter unseren Grenzen erzeugt wird. Bringt das mehr Sicherheit? Besser sollten wir unsere eigenen Kernkraftwerke zehn Jahre länger laufen lassen, damit wir die Kohlendioxid-Belastung vermindern.

Wie wichtig ist die Geothermie für das Unternehmen Herrenknecht?

Wir können pro Jahr eine oder zwei Anlagen verkaufen. Je nach Jahr macht das zwanzig bis vierzig Millionen Euro Umsatz, also nicht mehr als zwei oder drei Prozent unseres Konzernumsatzes. Das ist ein Nischengeschäft. Auch wenn eines Tages der Durchbruch der Geothermie kommt, rollt da kein Riesengeschäft für uns an.

Sie sind CDU-Mitglied. Wie bewerten Sie die Lage Ihrer Partei nach dem Debakel der Landtagswahlen und den Skandalfällen?

Ich verdamme diese Masken-Affären. Es ist charakterlich und ethisch keinesfalls vertretbar, dass man als Abgeordneter noch ein Geschäft aus einer Notlage macht. Schwarze Schafe gibt es vermutlich auch in den anderen Parteien. Warten wir mal ab. Und man darf jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wenn der bayrische Ministerpräsident Markus Söder meint, dass Abgeordnete grundsätzlich keinerlei Geschäfte machen dürfen, heißt das letztendlich, dass kein Unternehmer mehr in die Politik gehen kann. Mittelständler mit Mandat müssten ihre Firmen stilllegen. Dann hätten wir nur noch Politiker in den Parlamenten, die in ihrem Leben nie etwas anderes als Politik gemacht haben – so wie die grünen Spitzenkandidaten Baerbock und Habeck.

Was erhoffen Sie sich von den Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und CDU in Ihrem Land?

Die CDU hätte in die Opposition gehen sollen. Auch damit sie wieder mit dem Fahrrad zum Landtag fahren und nicht im Mercedes. Die brauchen eine Pause vom Regieren. Sie sollten aus der Opposition Winfried Kretschmann angreifen. Ich gehe davon aus, dass er nicht vorhat, bis zur nächsten Wahl zu regieren. Möglicherweise wird er vorher einen Nachfolger wählen lassen. Wenn Kretschmann dann weg ist, könnte die CDU einen Landesvater oder eine Landesmutter aufbauen.

Gegen Kretschmann hat die CDU keine Chance?

Kretschmann ist ein verkappter CDU-Mann. Mit den Grünen hat der wenig zu tun. Inhaltlich hat er sich im Wahlkampf ja ziemlich zurückgehalten. Er verkörpert in hohem Maße die Werte und Haltungen, die beim Schwaben oder beim Schwarzwälder ankommen. Vor allem deshalb haben die Grünen 58 Direktmandate gewonnen. Die CDU hat nur in zwölf Wahlkreisen Direktmandate gewinnen können. Der Kretschmann ist somit in einer starken Position. Er kann die CDU in Verhandlungen zu allem zwingen.

Welche Fehler hat die CDU im Wahlkampf gemacht?

Sie hatte die falsche Kandidatin. Die war nicht überzeugend. Sie brauchen hier einen Spitzenkandidaten wie den Kretschmann. Jemand, der nicht richtig Deutsch spricht, sondern den heimischen Slang. Und dem absolut vertraut wird. Kretschmanns Wahlplakat zeigte nur sein Gesicht mit dem Motto: „Sie kennen mich.“ Das sagt doch alles. So einen hatte die CDU nicht zu bieten. Die zwei oder drei starken Leute in der CDU wollten nicht gegen Kretschmann verlieren. Ein Fehler – jeder Politiker von Format hat ein- oder zweimal verloren. Das gilt für Willy Brandt, Helmut Kohl ebenso wie für Gerhard Schröder. Man muss erst einmal eins auf die Schnauze bekommen, um richtig gut zu sein. So lernt man angreifen.

Das Interview führte Lothar Schnitzler

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