Schon in zehn Jahren 100 Prozent Erneuerbare möglich

Kann Deutschland seinen Energiebedarf allein aus erneuerbaren Quellen decken – sicher und bezahlbar? Kritiker bezweifeln das. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat einen Masterplan entwickelt, wie es gehen könnte.

Kombination von Windrad und Photovoltaik
Effiziente Kombination von Sonnen- und Windkraft Versorgung zu jeder Stunde gewährleistet
Foto: seagul on Pixabay

Warme Wohnung, jederzeit Strom, Mobilität nach Lust und Laune – und das ganz ohne Einsatz von Kohle, Gas, Öl und Atomkraft. Nur auf Basis von Wind-, Wasser- und Sonnenenergie, unter Beigabe von Speichern und ein wenig Wasserstoff. Und das in zehn bis 15 Jahren.

Das Ausbautempo bei der Energiewende muss stark steigen

Das Klima würde jubeln, wenn es könnte. Doch was auf den ersten Blick unglaublich klingt – die Vollversorgung Deutschlands aus erneuerbaren Energien -, ließe sich nach den detaillierten Berechnungen der DIW-Experten technisch und ökonomisch problemlos umsetzen. Wenn die Politik nur endlich loslegte und einem klaren Plan folgte. Das wäre allerdings neu.

DIW-Energieökonomin Claudia Kemfert nimmt die Regierenden in die Pflicht. „Das Ausbautempo muss stark gesteigert werden, sowohl bei der Wind- als auch bei der Solarenergie. Dann könnte es sehr schnell gehen.“

Die Bürger müssten mehr Windräder vor der Haustür ertragen

Die kostengünstigste und am wenigsten Abhängigkeiten schaffende Lösung ist dabei laut DIW das Szenario, in dem Windräder und Photovoltaik-Anlagen nah bei den jeweiligen Verbrauchern installiert werden. Und zwar mit einer Kapazität, die die regionale Nachfrage ziemlich genau deckt.

Der Vorteil dieser Dezentralisierung der Energieversorgung: Sie erspart jede Menge Netzausbaukosten. Vor allem Hochspannungsleitungen müssten weit weniger als derzeit geplant von Nord- und Ostsee Richtung Süden gespannt und das Meer vor den Küsten nicht mit Windparks zugepflastert werden. Dafür müssten die Bürger allerdings auch einige Kröten schlucken, zum Beispiel wesentlich mehr Rotoren in ihrem Blickfeld ertragen.

Auch bei anhaltender Dunkelflaute drohen keine Blackouts

Und was passiert, wenn sich Wind und Sonne über längere Zeit rar machen. Stehen Autos und Fließbänder dann still und breitet sich über dem Land nachts tiefste Dunkelheit aus?

Nicht wenn eine gewisse Reserve an Batteriespeichern und Wasserstoff zur Verfügung steht, der sich verstromen lässt, beruhigen die DIW-Fachleute. Und sie nennen eine zweite Voraussetzung für garantierte Versorgungssicherheit: Europa müsse seine Stromnetze so zusammenführen, betont Kemfert, dass sich die Länder bei Knappheit gegenseitig aushelfen können. Auch wenn alle auf Erneuerbare umgestellt haben. Denn irgendwo über dem Kontinent, so die Erwartung, bläst immer genug Wind und scheint die Sonne.

Der Mythos vom sicheren Kohlestrom

Ein Beispiel für solch ein Sicherheitsnetz ist die Gleichstrom-Autobahn Nordlink, die kürzlich freigegeben wurde. Das Seekabel transportiert Überschussstrom aus norddeutschen Windrädern nach Norwegen, das ihn zum Auffüllen seiner Pumpspeicherkraftwerke nutzt. Herrscht hier zu Lande Strommangel, stürzt das Wasser über Turbinen zu Tal und die Norweger schicken Watt und Volt nach Deutschland.,

Zudem haben jüngste Blackouts in den USA und Australien, die Erzählung vom sicheren Kohlestrom als Mythos entlarvt.

Der Endenergiebedarf sinkt um die Hälfte

“Alle Regionen in Deutschland haben genug Potential für Erneuerbare”, nimmt Kemfert möglichen Drückebergern den Wind aus den Segeln. Einfach abwarten gilt also nicht. Das DIW unterstellt überdies eine Halbierung des Endenergiebedarfs als Folge der weitgehenden Elektrifizierung und Kopplung der Sektoren Verkehr, Industrie, Wärme und private Haushalte. Er sinkt demnach von knanpp 2600 auf 1200 Terawattstunden im Jahr (siehe Grafik unten).

Vergleich der heutigen mit einer künftigen grünen Energieversorgung
Für alle ist gesorgt Quelle: DIW

Einen blinden Fleck hat die Studie allerdings: Über die Kosten des Komplettumbaus und die zu erwartenden künftigen Energiepreise gibt sie keine Auskunft. Von den künftigen finanziellen Belastungen wird aber entscheidend abhängen, ob und in welchem Tempo Wirtschaft und Gesellschaft mitziehen.

Mehr: DIW

Von Dieter Dürand

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*