Atlantikküste: Erosion zwingt zu Abriss von Wohnblock

Heute ist es soweit. Signal, ein Wohnblock mit 78 Appartements, wird abgerissen. In Frankreich ist das Mehrfamilienhaus Symbol für die Erosion an der Atlantikküste – und für das Versagen der politischen Klasse.

Das Mehrfamilienhaus Signal ist Symbol für die Erosion von Frankreichs Küsten
Erosion an Frankreichs Westküste Als es gebaut wurde, stand das Haus hunderte Meter weit vom Meer entfernt (Foto: CC BY-SA 4.0)

Dem Abriss war ein jahrelanger Kampf und eine Reihe von Prozessen um Entschädigungen vorausgegangen. Heute beginnen die Arbeiten für den Abriss. Das freigewordene Gelände wird der Natur überlassen. Ein Lehrpfad mit Erläuterungstafeln soll zeigen, was die vom Klimawandel befeuerte Erosion für Frankreichs Atlantikküste bedeutet.

Den Start zum Abriss haben Politiker aus Kommune, Region und der französischen Regierung als Spektakel inszeniert. Christophe Béchu, Minister für ökologischen Wandel und territorialen Zusammenhalt und Bérangère Couillard, Staatssekretärin für Ökologie sind mit dem TGV aus Paris angereist. Béchu legte sogar selbst Hand an das Gebäude und bediente für ein paar Minuten den Abrissbagger.

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Ende eines Umweltdramas Abriss mit Hauptstadt-Prominenz (SudOuest)

Als die Baugenehmigung 1967 vergeben wurde, stand das Gebäude etwa 300 Meter vom Meer weg, geschützt durch Dünen. Heute steht das Gebäude nur noch etwa fünf Meter von der Abbruchkante zum Strand entfernt. Bei jedem mäßigen Hochwasser nagt das Wasser an dem etwa zehn Meter hohen Steilhang.

Politik der Ignoranz

Das Doppelgebäude war Teil eines nationalen Plans. Ursprünglich sollten sogar 14 Gebäude am Ort entstehen. Nur die Pleite des Investors verhinderte die Fertigstellung des pharaonischen Vorhabens. Der kleine Ort Soulac-sur-Mer, der im Winter knapp 3 000 angemeldete Bewohner beherbergt, im Sommer aber über 50 000 Touristen, sollte direkt am Strand ein Kasino, einen Kongresspalast und ein Museum erhalten. Nicht allein den seinerzeitigen Bürgermeister trifft die Schuld an dem Desaster. Das 1967 verabschiedete Projekt Maica (Mission interministérielle d’aménagement de la côte aquitaine) hatte die ausdrückliche Unterstützung des damaligen Premierminister Georges Pompidou. Er begab sich während der Planungsphase, im Mai 1966, sogar eigens an die Aquitaine-Küste, um das Projekt vorzustellen.

Die Politiker hätten es besser wissen können. Denn schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts fraß das Meer an der Aquitaine-Küste. Die Bürgermeister der betroffenen Kommunen reagierten mit Aufschüttungen. Die Bedrohung durch das Meer wurde so verdrängt. Doch ab den späten Siebzigerjahren verdüsterte sich das Bild. In einem Fernsehbeitrag des Regionalsenders France 3 hieß es schon 1984: “Aquitanien ist nicht immun gegen die Erosion seiner Küstenlinie. Jedes Jahr rückt das Meer um mehrere Meter zum Land vor.” In Soulac-sur-Mer holte sich das Meer zu der Zeit sechs bis sieben Meter pro Jahr.

Nur noch wenige Meter

Im Jahr 2010 tobte im Februar der Sturm Xynthia. Der Wohnblock Signal war danach nur noch 50 Meter vom Wasser entfernt. Im folgenden Winter brachte ein weiterer Sturm das Wasser noch näher an das Gebäude. Damals erkannte der Bürgermeister Xavier Pintat, so zitiert Frankreichs größte Tageszeitung Sud-Ouest, dass “Signal niemals hätte genehmigt werden dürfen “.

Xavier Pintat ist “erst” seit 1990 im Amt. Allerdings handelt sich bei seinem Vorgänger, der für das Projekt mitverantwortlich war, um seinen Vater. Jean-François Pintat, der Vater, hatte das Amt 1959 angetreten. Er war alles andere als unbedeutender, von der Aufgabe überforderter Kleinstadtbürgermeister. Wie in Frankreich häufig üblich, versah er mehrere Ämter parallel. Jahrelang war er gleichzeitig Senator in Paris, Europa-Abgeordneter und Bürgermeister. Auch Sohn Xavier Pintat übt, neben dem Bürgermeisteramt mehrere bedeutende Ämter aus.

Als ihm nach dem Sturm Xanthia die Einsicht kam, dass der Bau nie hätte genehmigt werden dürfen, war es ohnehin zu spät. Zumindest für Signal-Bewohner Jean-José Guichet. Als der nach einer weiteren Flut in seine Wohnung kommt, kann er die verzogenen Fenster nicht mehr öffnen. Guichet misst die verbleibende Distanz zum Wasser aus: Das Meer hatte sich auf 23 Meter angenähert. Der Präfekt des Departements Gironde ließ schließlich 2014 das Gebäude räumen.

Parlament und Senat kümmerten sich um Entschädigung

Danach kam es zu Entschädigungsverfahren, die sich jahrelang hinzogen. Der Verfassungsrat war mit dem Fall befasst, sogar Parlament und Senat. Schließlich wurde den Eigentümern eine Entschädigung von 70 Prozent gewährt. Doch die Signal-Bewohner sind nicht einzigen, die von der Erosion an der Atlantikküste betroffen sind. In Lacanau zum Beispiel, einem Surferparadies unweit von Soulac-sur-Mer sind 1 800 Wohnungen und Häuser bedroht. Es geht um hunderte Millionen Euro.

Deutsche Bunker an der Westküste Früher auf der Düne, jetzt Entsorgung ins Meer durch Klimawandel (Tangopaso/public domain)

Inzwischen bezweifeln nur noch eingefleischte Klimaskeptiker, dass der Küstenfraß keine Folge des Klimawandels ist. Das staatliche Umweltinstitut IFEN geht davon aus, dass ein Viertel der französischen Küstenlinie zurück geht. Nur zehn Prozent wachsen. Bei rund 26 Prozent der betroffenen Abschnitte handelt es sich um bebaute Gebiete. 864 Gemeinden sind bedroht. Vor allem die aquitanische Küste, also der Abschnitt zwischen der spanischen Grenze und der Gironde-Mündung, ist betroffen. Nach Einschätzung der Küstenschutzbehörde Conservatoire du littoral war die Aquitaine-Küste noch nie so bedroht wie seit der Jahrtausendende. Vor allem die außergewöhnlichen Stürme der vergangenen Jahre, verbunden mit dem klimabedingten Meeresanstieg, seien verantwortlich.

Mehr: Institut national de l’audiovisuel

Lothar Schnitzler

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