Hühnerkot und Brennstoffzelle – bei Biogasanlagen bahnen sich revolutionäre Entwicklungen an

Das Münchner Startup Reverion katapultiert Biogasanlagen auf ein neues Level. Envitec Biogas ersetzt nachwachsende Rohstoffe durch Hühnerkot.

Prototyp eines Brennstoffzellen-Systems für Biogasanlagen - dreifache Revolution
Brennstoffzellen-System in simplem Container Dreifache Revolution für Biogasanlagen Bild: Reverion

Tief im Süden und hoch im Norden der Republik treiben zwei Unternehmen Innovationen voran, die Biogasanlagen weit wirtschaftlicher und nachhaltiger machen als dies bisher möglich war. Einen revolutionären Weg schlägt dabei vor allem das Startup Reverion ein, ein Spin off der Technischen Universität München (TUM). Dessen Gründer wollen das eingesetzte Biogas zu 80 Prozent in Strom umwandeln. Das würde ganz neue Maßstäbe für Biogasanlagen setzen.

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Biogasanlagen mit nie gekannter Stromausbeute

Denn gegenwärtig werden Biogas-Kraftwerke in der Regel mit Gasmotoren betrieben. Die kommen bestenfalls auf einen elektrischen Wirkungsgrad von 40 Prozent. 60 Prozent fallen als Wärme an. Zudem können sie Strom nicht speichern, und bei der Verbrennung werden viele Millionen Tonnen CO2 frei.

Zwar ließe sich die Stromausbeute mit modernen Brennstoffzellen-Systemen heute schon auf 50 bis 60 Prozent steigern. Weil diese jedoch sehr teuer sind, blieben bisher Gasmotoren wegen ihrer höheren Wirtschaftlichkeit erste Wahl.

Speicherfähiger Wasserstoff als Zusatzprodukt

Mit der patentierten Technologie der Reverion-Gründer könnte sich das jetzt ändern. Sie erhöht nicht nur den Wirkungsgrad auf die besagten 80 Prozent. Das Kraftwerk der Münchner Ingenieure kann auch rückwärts laufen. Heißt: Steht Wind- und Sonnenstrom zweitweise im Überfluss zur Verfügung, wird der genutzt, um per Elektrolyse Wasser in Sauerstoff und speicherfähigen grünen Wasserstoff aufzuspalten. Voraussetzung ist natürlich, dass die Biogasanlage um Solarmodule und Windturbinen erweitert wird.

Zudem fängt das System das CO2 ein. Das Klimagas kann endgelagert oder für industrielle Prozesse verwendet werden. Diese Mehrfachnutzung schaffe ein hohes Maß an Flexibilität und emögliche erstmals eine wirtschaftliche Überlegenheit trotz der höheren Investitionskosten, versichert Stephan Herrmann, CEO und Mitbegründer von Reverion.

Saubere Alternative zu fossilen Kraftwerken

Das bayrische Startup hat Großes vor. Langfristig streben die Gründer an, mit ihrer Technologie fossile Kraftwerke weltweit abzulösen. Erster Zielmarkt jedoch, betont Herrmann, seien bestehende Biogasanlagen.

Nächstes Jahr sollen die ersten 100-Kilowatt-Systeme in die Serienproduktion gehen. Um ein schnelles Hochfahren zu ermöglichen, sammelten die Münchner bei Investoren im April frischer Kapital von 8,5 Millionen Euro ein. Zudem fließen dem Startup zwölf Millionen Euro Forschungsgelder für die Weiterentwicklung seiner Technologie zu. Schließlich besiegelten die Bayern gerade ein Kooperation mit Bilfinger. Der erfahrenen Industriedienstleister soll helfen, die Komplett-Anlagen im Markt zu etablieren und industriell zu skalieren.

Innenleben einer Biogasanlage: Lkw-Sprit aus Hühnerkot
Innenleben einer Biogasanlage Klimaneutraler Kraftstoff für Lkw Bild: Envitec Biogas

Biogasanlagen für klimaneutrale Kraftstoffe

Nicht ganz so spektakulär fällt die Energiewende im Norden aus. Doch auch sie markiert einen Meilenstein. In Güstrow unweit von Rostock startete Envitec Biogas mit Sitz im niedersächsischen Lohne und Saerbeck (NRW) vor wenigen Tagen die deutschlandweit leistungsstärkste Verflüssigungsanlage für Biogas, kurz: Bio-LNG. Das Unternehmen will in der erweiterten Anlage künftig jährlich 9600 Tonnen klimaneutralen Kraftstoff für Lastwagen produzieren. Die kommen damit im Jahr nach Envitec-Angaben 50 Millionen Kilometer weit.

50 Millionen Euro hat Envitec in die Modernisierung der Anlage investiert. Die arbeitet nun wesentlich nachhaltiger. Denn statt vorher 400 000 Tonnen eines Substrats, das vorwiegend aus Mais, anderem Getreide und Grassilage bestand, verarbeitet die Anlage jetzt nurmehr jährlich 40 000 Tonnen nachwachsende Rohstoffe zu Biogas. Als Ersatzstoff vergärt sie 100 000 Tonnen Hühnertrockenkot aus Geflügelanlagen. Der Wechsel entschärft die Frage: Teller oder Tank?

Goldene Zukunft für Bio-LNG

Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbandes Zukunft Gas, prophezeit dem Bio-LNG eine goldene Zukunft. “Gasmobilität ist die einzige verfügbare Technologie, die im Schwerlastverkehr sofortige Einsparung von Treibhausgasemissionen erzielt”, betont Kehler.

Biogas, in welcher Form auch immer, ist aber vor allem für die von der Bundesregierung angestrebte zuverlässige Energieversorgung auf alleiniger Basis der Erneuerbaren unverzichtbar. Der grüne Energieträger kann einspringen, wenn weder ausreichend die Sonne scheint, noch genügend Wind bläst.

Mehr: Reverion Chemie Unternehmertum SZ

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