Industrielle Altlasten: Zeitbombe im Permafrost

Wenn der Permafrost auftaut, löst sich nicht nur das CO2 der abgestorbenen Pflanzen aus dem Boden. Auch tausende wilder Kleinstdeponien aus zwei Jahrhunderten verlieren dann ihren eisigen Schutz. Dazu kommen noch die zusammenbrechenden Industrieanlagen und Ölleitungen.

ergammmelte Fabrikanlage Wenn der Permafrost geht, bricht alles zusammen (Ladislava Vantuchová/Pixabay)
Vergammmelte Fabrikanlage Wenn der Permafrost geht, bricht alles zusammen (Ladislava Vantuchová/Pixabay)

Allein rund um den Nordpol gibt es rund 4 500 Industriestandorte. Darauf weist eine Studie des Alfred-Wegner-Instituts (AWI) hin. Vielfach handelt es sich um verlassene Anlagen. Im Vertrauen darauf, dass der Permafrost sie konserviere und weiterhin stabilen Grund liefere, sind viele Standorte ohne Nachsorge aufgegeben worden. Schätzungen des Instituts gehen von 13 000 bis 20 000 kontaminierten Flächen aus. Jedoch würde eine Erderwärmung von nur zwei Grad Celsius rund 5 000 Flächen in den Bereich des auftauenden Permafrostes versetzen.

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Der vermeintlich ewig tiefgefrorene Boden in der Arktis bildet – solange er kalt bleibt – eine hydrologische Barriere gegen das Eindringen von Schadstoffen in tiefere Schichten. Und er bietet ein sicheres Fundament für Industriebauten oder Chemikalienlager. Den Wissenschaftlern des AWI zufolge enthält das Gift-Portfolio der fraglichen Standorte unter anderem Dieselkraftstoffe und Schwermetalle. Auch radioaktive Abfälle liegen in den Weiten der Arktis herum. Permafrostböden tauen – wenn überhaupt – im Sommer nur oberflächlich auf. Die Schichten darunter bleiben auch in der warmen Jahreszeit hunderte Meter tief gefroren.

Fabriken geraten ins Wanken

Doch im Zuge des menschengemachten Klimawandels sind diese Regionen keine sicheren Aufbewahrungsorte mehr für Gifte aller Art und kein Konservierungs-Eisschränke für verlassene Militäreinrichtungen, aufgegebene Rohleitungen oder Fabriken und Lager. Wird der Boden instabil, geraten die Anlagen in Wanken. Es drohen Schäden an Pipelines und Giftbecken. Noch schlimmere Schäden kommen durch offene Deponien zustande. Umweltgifte könnten sich über größere Regionen verbreiten.

Wie groß dieses Risiko schon heute ist, zeigte sich im Mai des Jahres 2020. Damals lief aus einer destabilisierten Tankanlage in der Nähe der sibirischen Stadt Norilsk rund 17 000 Tonnen Dieselkraftstoff aus. Die ölige Flüssigkeit lief in Flüsse, Seen und in die Tundra. „So etwas könnte künftig durchaus häufiger passieren“, befürchtet der Ko-Autor der Studie, Moritz Langer vom Alfred-Wegner-Institut.

Dunkler Kontinent Sibirien

Zwar gelang es den AWI-Forschern rund 4 500 Industriestandorte zu lokalisieren. Doch sie wussten nicht genau, um welche Anlagen es sich handelt und welche Substanzen dort zur Gefahr werden können. Präzise Informationen gibt es nur für die kanadischen und US-amerikanischen Arktisregionen. Diese umfassen etwa 40 Prozent der weltweiten Permafrostböden. Für die russischen Territorien gibt es keine vergleichbaren Daten. „Wir konnten dort also nur Berichte über Umweltprobleme auswerten, die zwischen 2000 und 2020 in russischen Medien oder anderen frei zugänglichen Quellen veröffentlicht wurden“, sagt Langer. „Aus diesen eher spärlichen Informationen aber kann man schließen, dass es auch in Russlands Permafrost-Regionen einen engen Zusammenhang zwischen Industrieanlagen und belasteten Flächen gibt.“

Mehr: Alfred-Wegner-Institut

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