Atomkraft ade – scheiden tut weh

Am Samstag endete die Ära der Atomkraft mit dem Abschalten der letzten Akw. Auf einmal bedauern das viele Deutsche. Die Nostalgie ist unbegründet.

Kernkraftwerk Emsland im Abendlicht - mit dem Abschalten der letzten drei Meiler ist die Atomkraft in Deutschland Geschichte
Atomkraft-Dämmerung für den Reaktor im Emsland Noch immer kein Endlager für radioaktive Abfälle in Sicht
Bild Günter Ruopp auf Pixabay

Nuklearkatastrophen wie in Fukushima und Tschernobyl, riskante Atomtransporte, radioaktiv strahlender Müll für Jahrtausende – die Bedrohungen machten die Deutschen mehrheitlich zu entschiedenen Gegnern der Atomkraft. Jetzt wo es soweit ist und am vergangenen Samstag die letzten verbliebenen Atomkraftwerke (Akw) Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 vom Netz gingen, überkommt viele Bürger eine Art Wehmut. Nach mehr als 60 Jahren möchten je nach Umfrage 52 oder gar 65 Prozent doch noch ein wenig länger an der Kernenergie festhalten.

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Pro-Atomkraft aus Furcht vor Stromausfällen

Wie konnte es zu dem Sinneswandel kommen?

Es ist die Furcht vor hohen Strompreisen und Stromausfällen, die die Sorge vor einem GAU, einer großen Reaktor-Havarie, in den Hintergrund drängt. Wirtschaftsverbände wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) bemühten im Einklang mit CDU, CSU und dem kleinen Berliner Regierungspartner FDP solche Schreckensszenarien. DIHK-Präsident Peter Adrian warnt vor Engpässen in der Energieversorgung nach einer Abschaltung. „Wir sind noch nicht über den Berg“.

Fakten widerlegen die Angstmache

Die Angstmache folgt einem über Jahrzehnte praktizierten Muster. Da kann Klimaminister Robert Habeck noch so oft versichern: „Wir haben die Lage im Griff.“ Es ist bloß ein Bluff, wie selbst der Energieriese RWE vor geraumer Zeit einräumte. Zuletzt trugen die verbliebenen drei Akw gerade noch rund sechs Prozent zum hiesigen Stromangebot bei. „Sie zu ersetzen, dafür gibt es genügend Reserven“, beruhigt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Und was die Zuverlässigkeit der Atomenergie angeht, ernüchtert allein ein Blick zum Nachbarn Frankreich. Marode Schweißnähte und fehlendes Kühlwasser aus Flüssen wegen anhaltender Trockenheit legten zeitweise fast die Hälfte der 56 altersschwachen Meiler lahm. In größter Not musste Deutschland umfangreich mit Stromexporten aushelfen – eine wesentliche Ursache für steigende Strompreise hier. Das französische Desaster dürfte maßgeblich zum Rückgang von Atomstrom um 16 Prozent in ganz Europa beigetragen haben (siehe Grafik unten).

Die Grafik zeigt die Veränderung des Stromverbrauchs nach Energieträgern in Europa: Solar und Wind legen gefolgt von Kohle kräftig zu - Kernenergie bricht ein
Europa verabschiedet sich vom Atomstrom Grafik: statista

Atomkraft steht der Energiewende im Weg

Auch aus den Preisen lässt sich kaum Honig saugen. Zwar ist der Strom aus den längst abgeschriebenen drei Rest-Akw mit rund drei Eurocent momentan unschlagbar billig. Dafür stehen die Atom-Relikte aber der Energiewende hin zu den Erneuerbaren im Weg. Denn die Meiler produzieren vor allem Grundlast. Sie verstopfen die Stromnetze, wenn Wind- und Sonnenkraftwerke ausreichend preiswerte Elektrizität produzieren. Die müssen dann eine Zwangspause einlegen. Die Effizienz des Strommarkts leidet.

Umgekehrt sind die Atomreaktoren für das schnelle Reagieren auf Nachfragespitzen oder Dunkelflauten ohne Strom aus Wind und Sonne denkbar ungeeignet: Denn ihre Leistung lässt sich nicht einfach mal so hoch oder runter regeln. Dafür müssen Gaskraftwerke ran.

Ungeklärte Entsorgung des radioaktiven Abfalls

Nicht zu vergessen, ist die seit Jahrzehnten ungeklärte, sichere Endlagerung der radioaktiv strahlenden Abfälle. Rechnet man alle Subventionen für die Kerntechnologie und die gesamtgesellschaftlichen Folgekosten wie die extrem teure Entsorgung ein, wandelt sich das Bild: Keine andere Energieform ist auch nur annähernd so teuer wie Atom mit fast 38 Eurocent je Kilowattstunde (kWh). Zum Vergleich: Wind an Land kommt auf 8,8 Eurocent, Solar auf knapp 23 Eurocent (siehe Grafik unten).

Die Grafik zeigt die realen gesamtgesellschaftlichen Kosten der Stromerzeugung unterschiedlicher Energieträger
Bei genauem Hinsehen entpuppt sich die Erzählung vom billigen Atomstrom als Mär

Immer wieder streuen die Atomfans auch die Erzählung, eine neue Generation großer wie extrem winziger Reaktoren erzeugten Watt und Volt sicher, wirtschaftlich und es falle viel weniger Atommüll an.

Kostendesaster beim Bau neuer Atomkraftwerke

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Sämtliche europäische Neubauprojekte von Großmeilern entpuppen sich als Kostendesaster, ob in Olkiluoto (Finnland), Hinkley Point (Großbritannien), Mochovce (Slowakei) oder Flamanville. Dafür steht exemplarisch dieser geplante 1650-Megawatt-Reaktor in der Normandie. Die Baukosten von ursprüngliche 3,3 Milliarden Euro haben sich fast vervierfacht auf 12,4 Milliarden Euro. Obwohl seit 2007 gebaut wird, steht die Inbetriebnahme immer noch aus.

„Mini-Reaktoren sind zu teuer und kein Rezept für den Klimaschutz“

Christoph Pistner, Nuklearexperte Öko-Institut

Der australische Bundesstaat Victoria nahm daher gleich Abstand von einem Revival der Nuklaerenergie. Zu teuer, zu riskant, ohne hohe staatliche Subventionen unrentabel, ergab ein Gutachten für das dortige Parlament.

Lieber Atomkraft statt dreckiger Kohlekraftwerke?

Die Mini-Reaktoren kommen auf eine ähnlich miese Bilanz. Das sagen nicht nur die Experten des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. „Mini-Reaktoren sind zu teuer und kein Rezept für den Klimaschutz“, unterstreicht auch Nukleartechnik-Spezialist Christoph Pistner vom Freiburger Öko-Institut im Exklusiv-Interview mit Greenspotting.

Ist es aber im Rennen gegen die Erderhitzung nicht zumindest vernünftig, bestehende, relativ klimaneutrale Kernkraftwerke noch eine Weile laufen zu lassen, anstatt extrem dreckige Kohlemeiler zu reaktivieren?

Nachdem Klima-Ikonen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer dies zu weniger schmerzhaften, vorübergehenden Alternative erklärten, bröckelte selbst unter grünen Wählern der Widerstand gegen Atom. Energieexpertin Kemfert hält das für eine Scheindiskussion. „Wir müssen die Energiewende voranbringen und nicht an den alten Technologien festhalten“, so ihr Aufruf, nach vorn zu schauen.

Mehr: rnd tagesschau nau

Dieter Dürand

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