Nach Deutschland eingewanderte frei lebende Wölfe werden seit Jahren angefeindet. Nun steht ein einzigartiges Wisent-Projekt im Rothaargebirge auf der Kippe. Warum die Wiederansiedlung von Wildtieren auf so viel Widerstand stößt.
In Europa waren die Wisente schon fast ausgestorben, als engagierte Tierschützer Zuchtprogramme und Auswilderungsprojekte ins Leben riefen, um das zu verhindern. Für eines übernahm im nordrhein-westfälischen Teil des Rothaargebirges der Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein die Verantwortung. Seit 2013 wuchs die Herde in dem waldreichen Gebiet nahe Siegen, in dem die Riesen-Rinder frei umherstreifen, auf 25 Exemplare. In ganz Europa erholte sich die Population auf 8500 Wildtiere.
Ein Urteil gefährdet den Bestand der Wildtiere
In Deutschland gerät der Erfolg jetzt in Gefahr, ist die Zukunft der Wisente ungewiss. Sie ziehen zwar Neugierige in Scharen an, doch schon bald nach der Auswilderung begannen sich örtliche Waldbauern massiv über Fraßschäden an ihren Bäumen zu beschweren. Besonders gerne knabbern die Ur-Viecher die Rinde an Buchen ab. Zwei Waldbauern klagten – und bekamen Recht. Das Oberlandesgericht in Hamm legte dem Trägerverein in einem kürzlichen Urteil auf zu verhindern, dass die Wisente weiter Schäden anrichten.
Wie dessen Mitglieder das bei frei laufenden Tieren bewerkstelligen sollen, verrieten die Richter nicht. Um Zwangsgeldern und Schadensersatzforderungen zu entgehen, gaben die Vereins-Verantwortlichen das formale Eigentum an den Rindern nun auf und stiegen als Vertragspartner für das Projekt aus. Die Kündigung sei die letzte Möglichkeit gewesen, begründet der Verein seinen Schritt, den Wisenten “eine Zukunft in Freiheit” zu geben. Jetzt fielen sie in die Verantwortung des Landes, und gemäß Artenschutzrecht müssten die Waldbauern die streng geschützten Tiere dann weiter dulden.
Schäfer bangen um ihre Lämmer
Der Konflikt wirft ein grelles Licht darauf, dass Artenschutz hier zu Land zwar theoretisch gepriesen wird, aber ganz schnell in Not gerät, sobald er mit wirtschaftlichen Interessen kollidiert. Das gleiche Muster zeigt sich bei der bis in den Bundestag getragenen Diskussion um die Existenzberechtigung eingewanderter Wölfe in deutschen Fluren. Je mehr Regionen sie besiedeln, desto heftiger der Disput. Schäfer bangen um ihre Lämmer; Jäger fürchten unliebsame Konkurrenz.
Entschädigungszahlungen für gerissene Tiere und finanzielle Unterstützung für Schutzzäune konnten die Gemüter bisher ebenso wenig besäünftigen wie Versuche der Naturschutz-Ämter, ein friedfertiges Nebeneinander von Mensch, Nutz- und Wildtieren zu organisieren. Immer wieder sehen sich Landkreise dem Drängen der Gegner ausgesetzt und geben angebliche Problemtiere zum Abschuss frei. Zuletzt in Niedersachsen und Oberbayern.
Fraßschäden sind nichts gegen die Umweltsünden der Menschen
Schnell taucht auch immer wieder das Argument auf, ein Raubtier wie der Wolf, oder ein behörntes Kraftpaket wie Wisente hätten in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland nichts mehr verloren. Warum sollten dann afrikanische Dorfbewohner und Kleinbauern Löwen, Elefanten und Nashörner schützen statt ihrer Felder und Behausungen? Lieb ist nicht wenigen Deutschen augenscheinlich nur, was ihrer Erbauung oder Ernährung dient: Haus-, Zoo- und Nutztiere also. Welche eine Hybris!
Wo der Mensch sich breit macht, müssen viele Arten weichen. So funktioniert Naturschutz nicht. Gegenüber den weltweit in die Billionen Euro gehenden Umweltschäden, die die Krone der Schöpfung dem Planeten zufügt, fallen Entschädigungszahlungen für Schäfer und Waldbauern zudem praktisch nicht ins Gewicht.
Nur ein Beispiel: Allein die Mengen an Gülle, mit der hiesige Landwirte die Felder düngen, hinterließen dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zufolge seit 2010 Umweltkosten von 30 Milliarden Euro. Von dem Geld ließe sich die ganze Republik mit Schutzzäunen zustellen.
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