Die Verwendung von Ackergift wird nicht eingeschränkt. Die Bauern-Lobby erwartet nach der gestrigen Abstimmung weiterhin günstige Lebensmittel. Doch tatsächlich war gestern ein schwarzer Tag für Europas Verbraucher und Ökosysteme.
Sarah Wiener, früher TV-Starköchin, heute Biobäuerin und grüne EU-Abgeordnete für Österreich, brachte es auf den Punkt: Das Abstimmungsergebnis in Straßburg markiert einen schwarzen Tag „für die Natur und für die Landwirtinnen und Landwirte.“ Das EU-Gesetz, das die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln bis zum Ende des Jahrzehnts um die Hälfte senken wollte, ist gestern im EU-Parlament gescheitert. Es gibt auch keine weiteren Verhandlungen. Eine knappe Mehrheit lehnte diese Möglichkeit ab. Wenig erstaunlich, dass die großen Bauernverbände die Ackergift-Abstimmung als Sieg der Vernunft werteten.
Bauernlobby glücklich
Die Vorstizende des europäischen Agrarverband Copa-Copega und des mächtigen französischen Agrarverbandes FNSEA, Christiane Lambert, konstatierte zufrieden: Das Parlament habe mit der Abstimmung anerkannt, dass die geplante Pestizidregulierung “ schlecht angepasst, unrealistisch und ohne Finanzierung“ gewesen sei.
Mit der Ablehnung der Vorlage verhindert das EU-Parlament innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal die Verbesserung der Umweltgesetze. Im Sommer bereits hatten die Abgeordneten eine Direktive zur Renaturierung abgeschwächt. Schon im Vorfeld hatte es heftige Auseinadersetzungen um das Pestizid-Gesetz gegeben. Christdemokraten, Rechtskonservative und Nationalisten hatten zunächst versucht, die sogenannte Sustainable Use Regulation (SUR) überhaupt nicht verhandeln zu lassen.
Als sie damit nicht weiter kamen, starteten die Gegner eine massive Kampagne. Sie diffamierten das Gesetz als bauern- und verbraucherfeindlich und als ungeeignet für den Naturschutz. „Wir müssen Lösungen mit und nicht gegen die Landwirtschaft finden“, hatte der CDU-Abgeordnete Norbert Lins argumentiert. Es gehe auch darum, in Inflationzeiten die Preise für Lebensmittel nicht weiter nach oben zu treiben. Der Entwurf setze die europäische Ernährungssouveränität aufs Spiel. Und das Verbot, in Schutzgebieten Pestizide zu verbieten, empfänden viele Landwirte als Berufsverbot.
Ackergift in der Muttermilch
Sarah Wiener hielt dem entgegen, dass es bei Verbrauchern einen klaren Konsens über die Reduzierung von Pestiziden gibt. Fast 82 Prozent der Befragten aus Dänemark, aus Deutschland, aus Polen, Spanien, Rumänien und Frankreich machten sich Sorgen um den Umwelteinfluss von Pestiziden. Und 76 Prozent machen sich Sorgen um ihre Gesundheit und die ihrer Angehörigen. Pestizidreste, die sich im Hausstaub, der Muttermilch und im Blut der Bürger fänden, sinkende Bestände an Insekten, die Gefährdung der biologischen Vielfalt bedrohten die Existenz der Menschen, nicht aber SUR.
Auch für die Bauern seien Pestizide nicht die Lösung, argumentiert die Biolandwirtin. Sie kosteten mehr als sie einbrächten. Und sie machen Bauern krank. In Frankreich etwa ist Parkinson seit 2012 bei Landwirten als Folge von Pflanzenschutzmitteln und somit als Berufskrankheit anerkannt.
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