Anwälte zeigen Manager und Aufsichtsräte von RWE wegen angeblicher Tötung Tausender Menschen an

Eine Gruppe von 22 Anwälten hat Anzeige bei den Staatsanwaltschaften in Köln, Aachen und Mönchengladbach erstattet. Darin wirft sie leitenden Mitarbeitern und Aufsichtsräten des Essener Energiekonzerns RWE vor, mit ihrer Geschäftspolitik Tausende Menschen getötet zu haben. Das Unternehmen hält die Vorwürfe für haltlos.

Braunkohle-Tagebau einschließlich Verstromung: Anwälte zeigen RWE-Verantwortliche wegen angeblicher Tötung in Folge der Erderwärmung an, Konzern widerspricht (Foto: Siegfried Poepperl / pixabay)

Der Vorwurf könnte kaum härter formuliert sein. “Die Beschuldigten sind verdächtig, zahllose Menschen getötet und zukünftige Tötungen in die Wege geleitet zu haben, ferner die globalen Lebensgrundlagen mittels eines bereits in Gang gesetzten, schleichenden Prozesses zu vernichten.” So steht es in einer Anzeige, die 22 Anwälte bei den Staatsanwaltschaften in Köln, Aachen und Mönchengladbach erstattet haben. Begangen haben sollen die Verbrechen nach Meinung der Anzeigenerstatter nicht namentlich genannte leitende Mitarbeiter und Aufsichtsräte des Essener Konzerns RWE, dessen Energiesparte als RWE Power firmiert. Die 18-seitige Anzeige liegt Greenspotting vor.

Reaktion auf 189 Tote bei Flutkatastrophe

Mit ihrer Anzeige nehmen die Anwälte einen zweiten Anlauf, RWE-Manager und -Kontrolleure persönlich vor Gericht zu bringen, nachdem die Staatsanwaltschaften in Hamm und Essen 2019 eine ähnlich lautende Anzeige zurückgewiesen hatten. Anlass des neuerlichen Versuchs ist die Flutkatastrophe vom 14./15. Juli 2021 in der Eifelregion, bei der in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz 189 Menschen ums Leben kamen. Mitursächlich für diese Toten, argumentieren die Anwälte, sei der Klimawandel, für den RWE durch die Verstromung von Braunkohle mitverantworlich sei. Hinzu kämen jährlich etwa 2 000 Menschen, die aufgrund der Aktivitäten von RWE vorzeitig versterben würden, sowie 690 Menschen, die wegen des Feinstaubs durch die Kohleverstromung chronische Lungen- und Bronchialerkrankungen erleiden würden.

RWE, von Greenspotting mit der Anzeige und den genannten Vorwürfen konfrontiert, bestreitet die Anschuldigungen. “Der Vorgang ist uns bekannt”, so Konzernsprecherin Stephanie Schunck, “er wurde bereits vor einiger Zeit von einer anderen Staatsanwaltschaft als haltlos beurteilt.”

Komplexität kein Hinderungsgrund

Den Anzeigenerstattern ist klar, dass der neuerliche Weg vor Gericht für sie ein höchst unsicherer ist. “Uns ist bewusst, dass die mit der Anzeige verfolgten Straftaten eine komplexe, multikausale Entwicklung zum Gegenstand haben”, schreiben sie, halten jedoch zugleich dagegen: “Komplexität und Schwierigkeiten bei den Ermittlungen dürfen indes nicht der Grund dafür sein, wie die Staatsanwaltschaften in Essen und Hamm es getan haben, vor strafwürdigem Verhalten die Augen zu verschließen und unter Verkennung der Grundprinzipien des Rechts auf alle Aktivitäten zu verzichten und dem mörderischen Geschehen seinen Lauf zu lassen.”

Auch hierzu verweist RWE, von Greenspotting damit konfrontiert, auf die Zurückweisung der vorangegangenen Anzeige 2019 durch die damals zuständigen Staatsanwälte.

Bauer aus Peru klagt bereits gegen RWE

Offenbar haben die Anzeigenerstatter diesmal mehr Hoffnung, die RWE-Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Denn Umweltschützern gelingt es inzwischen immer öfter, Justitia für den Klimaschutz einzuspannen. So sind kürzlich zwei Richter aus dem westfälischen Hamm und zwei Gutachter zu dem Haus eines Bauern in Peru gereist, der von RWE einen Teil der Ausgaben für Schutzmaßnahmen gegen einen See in den Anden verlangt. Dieser drohe durch das Schmelzen eines Gletschers überzulaufen, wozu RWE durch die Verstromung von Braunkohle beitrage, die mit ihren CO2-Emissionen die Erdatmosphäre aufheize. Unterstützt wird der 41-Jährige von der Umweltorganisation Germanwatch. Das Verfahren gegen RWE läuft inzwischen in zweiter Instanz, nachdem ein Gericht in Essen die Klage zunächst abgewiesen hatte. Zwei Jahre später ließ das Oberlandesgericht (OLG) in Hamm die Klage jedoch zu.

Durchbruch vor Bundesverfassungsgericht

Auch der Minerölkonzern Shell musste vor Gericht – und am Ende sogar bezahlen. Im vergangenen Jahr hatten Bauern aus Nigeria nach 13 Jahren Prozessdauer vor einem Gericht in den Niederlanden Recht bekommen, die Shell auf Schadenersatz wegen Umweltschmutzung verklagt hatten. Der Multi akzeptierte schließlich eine Zahlung an die betroffenen Gemeinden in Höhe von 95 Millionen Euro. Ihren größten Erfolg errangen Klimaschützer jedoch im Frühjahr vergangenen Jahres, als das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung dazu verdonnerte, mehr gegen die Erderwärmung zu tun.

Augenmerk auf die Braunkohle

Vor diesem Hintergrund hämmern die Anzeigenerstatter den Strafverfolgern in Köln, Aachen und Mönchengladbach geradezu ein, was Klimaexperten seit Jahren den Politikern vorbeten: Nämlich dass Kohle der klimaschädlichste Brennstoff sei und damit verantwortlich für über 40 Prozent der globalen, energiebedingten CO2-Emissionen sowie für mehr als 25 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen. Dies gelte insbesondere für die Braunkohle. Unzählige Menschen seien bereits an klimabedingten Hitzewellen oder an Kälteeinbrüchen verstorben; diese würden zunehmen, längere und intensivere Formen annehmen. Hinzu kämen Hautkrebserkrankungen nach Sonneneinstrahlung sowie weitere klimabedingte Erkrankungen und Todesursachen aufgrund zunehmender Infektionen durch Mücken und Würmer (Malaria, Denguefieber), Hitzestress und Unterernährung, ganz zu schweigen von den Toten, die der Klimawandel durch Ernteausfälle und Hungerkatastrophen mit sich bringe.

Viele Mitverursacher und Mittäter  

Dass sich RWE hier nicht herausreden könne, steht für die Anzeigenerstatter fest. “An der Kausalität der Braunkohleverbrennung für den Klimawandel im Sinne einer Mitverursachung besteht kein ernsthafter Zweifel. Es handelt sich keineswegs um gänzlich unwahrscheinliche Entstehungszusammenhänge, sondern um seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit diskutierte, längst wissenschaftlich abgesicherte Ursache-Wirkungs-Muster.” Insofern gebe es “Verantwortungszusammenhänge” und die Verantwortlichen sowie Hauptverantwortlichen ließen sich identifizieren, schreiben die Anwälte. “Dass auch andere Akteure an der Verursachung beteiligt sind, ist zwar grundsätzlich richtig, entbindet aber keinen der einzelnen Beteiligten von der Mitverantwortung für das Gesamtgeschehen.” Die “additive, multikausale Gemengelage mit vielen Mitverursachern, vielen Mittätern”, heißt es in der Anzeige, “erlaubt keine Entlastung durch den Verweis auf mögliche andere Mit- oder Hauptverursacher”.

Von Greenspotting damit konfrontiert, verwies RWE ebenfalls auf die Zurückweisung der vorangegangen Anzeige 2019.

Anwälte sehen “Tötungstechnik”, RWE streitet ab

Zu einem geradezu vernichtenden Furioso gegen RWE holen die Anwälte am Ende ihrer Anzeige aus. RWE Power sei weltweit einer der Hauptemittenten des klimaschädlichen CO2. Dass die Opfer des dadurch mitverursachten Klimawandels im Einzelnen nicht namentlich benannt werden könnten, stehe einer strafrechtlichen Verfolgung nicht entgegen. “Es liegt in der Natur derartiger Taten, dass ihre Folgen anonym wirken, jeden und überall und über lange Zeiträume hinweg treffen können”, schreiben die Anwälte und gipfeln in der Bemerkung: “Das Besondere an dieser Tötungstechnik ist darüber hinaus, dass sie auch in die Zukunft hinein wirkt, also mit heute in Gang gesetzten Verfahren in Kürze wie auch in weiter Ferne zahllose Menschen umbringen wird.”

Auch auf diese Vorwürfe, von Greenspotting damit konfrontiert, ging RWE nicht im Detail ein, sondern verwies gleichlautend darauf, dass die vorangegangene Anzeige 2019 “von einer anderen Staatsanwaltschaft als haltlos beurteilt” worden sei.

Kritik an bisherigen Ermittlungen

Große Freude dürften die Staatsanwälte in Köln, Aachen und Mönchengladbach über die neuerliche Anzeige nicht empfinden. Denn die Anzeigenerstatter sparen nicht mit Kritik an den Ermittlern und ihrem bisherigen Umgang mit dem Klimawandel sowie dessen Folgen. So würden die Ermittlungsbehörden bei der Flutkatastrophe in der Eifelregion “erstaunlicherweise” wegen unterlassener rechtzeitiger Warnung der Bevölkerung emitteln, “nicht aber wegen deren Verursachung”. Sollte es den Staatsanwaltschaften im Falle RWE an der persönlichen Verantwortlichkeit einzelner Entscheidungsträger fehlen, so die Anzeigenerstatter vorsorglich, “wäre es ihre ureigene Aufgabe aufgrund des Legalitätsprinzips, diesbezüglich zu ermitteln”. So böte sich an, Sitzungsprotokolle von RWE anzufordern beziehungsweise zu beschlagnahmen sowie Zeugen aus dem Unternehmen zu vernehmen.

Vorwürfe an Staatsanwaltschaft am RWE-Sitz Essen

Zugleich unterstellen die Anzeigenerstatter den Staatsanwaltschaften in Hamm und am RWE-Konzernsitz Essen unterschwellig, wegen zu großer Nähe zu dem Energieriesen vor drei Jahren kein Verfahren gegen RWE eröffnet zu haben. “Wir gehen davon aus, dass die Bearbeitung der Strafanzeige nicht erneut den Staatsanwaltschaften Essen bzw. Hamm überlassen wird”, so die Anwälte, “da diese sich durch einen offensichtlichen Mangel an Überlegungen zu der in der vorherigen Anzeige dargestellten sachlichen und rechtlichen Lage sowie durch fehlende Ermittlungsbereitschaft als nicht unparteiisch erwiesen haben.”

Von Reinhold Böhmer

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