Heizungsbauer Viessmann geht an die Amis

Einer der großen Namen des deutschen Mittelstands, das hessische Familienunternehmen Viessmann, steht vor der Übernahme durch den Klimaanlagen-Hersteller Carrier Global aus Florida. Warum?

Noch wehen Stolz die Fahnen Doch künftig fallen die Entscheidungen in Florida (Viessmann)
Noch wehen stolz die Viessmann-Fahnen Doch künftig fallen die Entscheidungen in Florida (Viessmann)

Da waren’s nur noch zwei. Bosch, Vaillant, Viessmann, so lautete bislang der Dreiklang der großen deutschen Heizungsbauer. Der vertraute Name Viessmann könnte mittelfristig durch den Namen Carrier Global ersetzt werden. Oder als bloße Markenhülse fortdauern. Carrier… was? Selbst vielen Installateuren und Bauplanern hierzulande war die Firma aus dem sonnigen Palm Beach Gardens bislang kein Begriff. Insidern zufolge soll die Übernahme bereits so gut wie besiegelt sein. Laut Wall Street Journal sollen die Amerikaner 13 Milliarden Dollar locker machen. Nicht im Einkaufskorb ist das kleinere Kühltechnik-Geschäft von Viessmann.

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Kerngesunder Laden

Vermutlich wird Viessmann als deutsches Unternehmen ebenso verschwinden wie der Industriegas-Konzern Linde. Bei dem Zusammenschluss mit dem US-Wettbewerber Praxair im Jahr 2018 ging zuerst der rechtliche Unternehmenssitz nach Irland, die Hauptverwaltung nach England. Vor wenigen Wochen schließlich verließ das seinerzeit wertvollste Mitglied des Deutschen Aktienindex das Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse. Immerhin bleibt der Name erhalten. Bei beiden Firmen ging es nicht um Notverkäufe. Linde war wie Viessmann heute ein kerngesundes Unternehmen.

Im vergangenen Jahr hatte das 14 500-Mitarbeiter-Unternehmen den Umsatz um 19 Prozent auf rund vier Milliarden Euro gesteigert. Die Hälfte der Umsätze machte das Familienunternehmen aus der hessischen Provinz im Ausland. So gut wie sicher ist, dass der Allendorfer Heizungsbauer solide Überschüsse erwirtschaftet. Vor allem das Geschäft mit Wärmepumpen war während der vergangenen Jahre geradezu explodiert.

Kulturrevolution

Warum also verkauft Firmenchef Max Viessmann den 1917 vom Urgroßvater gegründeten Betrieb? Sicherlich hat es sich die Familie mit der Entscheidung nicht leicht gemacht. Branchenkenner verweisen auf den enormen Kapitalbedarf, der mit dem schnellen Umstieg von der Gasheizechnik auf Wärmepumpen einhergeht. Ähnlich verhält es sich mit der Digitalisierung der Gebäudeklimatisierung. Auch die Einbeziehung von Photovoltaik und Solarthermie fordert die Heizungsbauer finanziell – und kulturell.

Gerade Max Viessmann, mit 33 Jahren einer der jüngsten Konzernchefs in Deutschland, war der Meinung, dass die Heiztechnik nicht mehr isoliert gesehen werden darf, sondern nur als Kombination von Digitalisierung und erneuerbaren Energien Zukunft hat. Der Vater hatte den Sohn früh an die Verantwortung geführt, weil er sich selbst als zu alt für die Digitalisierung glaubte. „Nicht alle Werte, mit denen ich das Unternehmen weiterentwickelt habe, sind noch zeitgemäß“, sagte Vater Martin Viessmann damals.

Platzhirsche in Bedrängnis?

Hinzu kommt, dass die Zeiten, in der sich die deutschen Platzhirsche das Revier teilten und ausländische Bewerber klein halten konnten, vorbei sind. Immer stärker drängen asiatische und – wie Carrier Global – amerikanische Wettbewerber auf den Markt. Die meisten davon sind deutlich größer als Viessmann. So ist der Umsatz von Carrier Global mit 20,4 Millarden Dollar mehr als viermal so hoch wie der von Viessmann.

Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Viesmann mittelfristig von einem Preis- und Margenverfall im Wärmepumpensegment ausgeht. Wie der Ökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf in einem Interview mit NTV erklärte, könnte sich mittelfristig die Nachfrage nach Wärmepumpen normalisieren. Bei gleichzeitigem Markteintritt großer asiatischer oder amerikanischer Anbieter müssten sich die Heizungsbauer dann mit geringeren Preisen begnügen. Die Unternehmenswerte würden in einer solchen Situation zwangsläufig sinken. Viessmann habe dieser Entwicklung möglicherweise zuvorkommen wollen.

„Ein Unternehmen muss lernen, anders zu sein – oder es wird nicht mehr sein“, hatte Max Viesmann vor Jahren gesagt. Vielleicht ist der Verkauf die bittere Konsequenz aus dieser Erkenntnis. 

Mehr: Wirtschaftswoche

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