Mehrfachstecker für Hochseestrom

Windräder auf See drehen sich fast immer. Sie gelten daher als Rückgrat der Energiewende. Bisher wurde jeder Offshore-Park einzeln ans Landstromnetz angeschlossen. Ein Netzbetreiber hat nun eine bessere Lösung: Mehrfachstecker.

Windpark im Meer Zuverlässiger Stromlieferant mit Anschlussproblemen Foto: Andrew Martin auf Pixabay

Sie stehen oft nicht weit voneinander entfernt. Doch bisher transportiert jeder Windpark in Nord- und Ostsee den erzeugten Strom über eine eigene Leitung zu einem Umspannwerk an der Küste. Vor dort aus wird die Elektrizität bis an Alpen und Bodensee verteilt.

Das Verlegeng der beindicken Kabel frisst nicht nur Zeit und Kosten. Weil sie mitunter in den Schlick sensibler Naturräume wie dem Wattenmeer eingebuddelt werden müssen, sind Proteste dagegen oft groß und die Genehmigungsverfahren lang.

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Gebündelt über eine Trasse ans Land

Ingenieure des Übertragungsnetzbetreibers Tennet umgehen den Ärger nun. Sie verbinden, so der Plan, die Parks zunächst über eine Art Mehrfachsteckdose untereinander und führen den Strom dann gebündelt über eine einzige Trasse an Land (siehe Grafik unten).

Tennet-Deutschlandchef Tim Meyerjürgens sieht in der “Windstrom-Booster” titulierten Übertragungstechnik neben dem Beschleunigungspotential nur Vorteile: “Wir werden effizienter, zuverlässiger, kostengünstiger und verbrauchen weniger Fläche.” Weitere dringend notwendige Windparks ließen sich problemlos in das System integrieren.

Sammeln und bündeln Das Tennet-Konzept für die vereinfachte Anlandung von Hochseestrom Quelle: Tennet

Drei Anschlussstationen an Land fasst das Unternehmen ins Auge: im schleswig-holsteinischen Heide, im niedersächsischen Wilhelmshaven und etwas später bei Bremen. Jedes Kabel soll für 1000 Megawatt ausgelegt werden, etwa der Leistung eines großen Kohlekraftwerks. Bewährt sich das Konzept, wollen es die Tennet-Manager in einem zweiten Schritt über die Grenzen der deutschen Gewässer hinaus ausdehnen und beispielsweise auch dänische und niederländische Offshore-Anlagen anbinden.

Option für grünen Wasserstoff

Die Bündelung des Stroms eröffnet eine zusätzliche Option, ihn wirtschaftlich zu verwerten. Kommen mehr Kilowatt an, als gerade benötigt werden, lassen sich diese an Ort und Stelle für die Produktion von grünem Wasserstoff nutzen. Der kann in Phasen der Unterversorgung zurück in elektrische Energie verwandelt oder für industrielle Prozesse eingesetzt werden. Energieversorger wie EWE und Uniper unterstützen das Tennet-Projekt daher ebenso wie die Stahlhersteller ArcelorMittal und Salzgitter.

Die Tennet-Idee konkurriert mit einem ähnlichen Projekt der Energiekonzerne RWE, Shell und Equinor aus Norwegen. Das Konsortium will den Wasserstoff allerdings direkt draußen auf hoher See produzieren.

Der Netzausbau stockt

Die Fortschritte bei der Windstromgewinnung an den Küsten stoßen allerdings nach wie vor auf Hürden bei der Verteilung im Rest der Republik. Frei nach dem Motto: Stell dir vor, der Wind weht wie blöd, aber niemand im Süden nimmt den Strom ab.

Die zuständige Bundesnetzagentur in Bonn hält 12 239 Kilometer neue oder ertüchtige Stromautobahnen für notwendig, um das ganz Land zuverlässig zu versorgen. Doch der Ausbau gelingt nur im Schneckentempo. Dem aktuellen Monitoring-Bericht zufolge waren zum Stichtag 30. Juni erst 1771 Kilometer fertig gestellt – ein Plus von 74 Kilometern im ersten Halbjahr 2021. 602 Kilometer sind im Bau, aber mehr als 6000 Kilometer stecken noch im Planfeststellungs- oder Anzeigeverfahren.

Klar ist mithin: Wollen die Ampelkoalitionäre den Ausbau der erneuerbaren Energien wie angekündigt massiv beschleunigen, müssen sie das Nadelöhr Netzausbau schleunigst beseitigen.

Mehr: Tennet RND

Von Dieter Dürand

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