Bei den erneuerbaren Energien soll Europa nach dem Willen Brüssels unabhängig sein. Es könnte sich als frommer Wunsch entpuppen. Nach der Solar- droht der Kontinent auch die Windindustrie an China zu verlieren.
Noch Anfang des Jahrtausends verkauften deutsche Firmen wie Solarworld und QCells weltweit mit die meisten Solaranlagen. Die Größe ist längst perdu. Die meisten Produzenten sind pleite oder verkauft. Heute beherrschen chinesische Hersteller das Geschäft. Das gleiche Schicksal drohe nun der Windindustrie, warnen Marktkenner. Und wieder ist es die Konkurrenz aus Fernost, die die wenigen verbliebenen europäischen Unternehmen vom Markt zu fegen droht.
Mit der Windindustrie steht eine weitere Schlüsselbranche auf der Kippe
Das Muster dabei wiederholt sich. Wie die Solar- erklärte die Pekinger Staatsführung auch die Windindustrie vor längerem zu einer Schlüsselbranche. Seither fördert sie deren massives Wachstum mit Subventionen und Riesenaufträgen für das Aufstellen von Windrädern zu Land und zu Wasser.
Kein anderes Land baut die Windkraft in auch nur annähernd gleichem Tempo aus. Jüngstes Projekt: In der Straße von Taiwan ist ein Windpark mit einer Leistung von sagenhaften 43,3 Gigawatt (GW) geplant. Das entspricht rechnerisch der Leistung von etwa 40 Atomkraftwerken. Mit der erwarteten Stromernte ließe sich ganz Polen versorgen.
Kampfpreise, Subventionen und hohe Stückzahlen
Infolge der schnellen Industrialisierung mit hohen Stückzahlen – 50 Prozent jährliches Umsatzwachstum sind seit Jahren die Regel – können chinesische Produzenten zum Beispiel ihre Landmühlen zum halben Preis europäischer Konkurrenten anbieten. Da werden hiesige Projektentwickler neuerdings immer öfters mal schwach und greifen zu den Anlagen aus dem Reich der Mitte. So geschehen in Italien und zuletzt in Belgien und Schottland.
Dem Chef der Kraftwerkssparte Siemens Energy, Christian Bruch, schwant unter dem Eindruck der Kampfpreise Übles. „Wenn alles über den Preis geht, werden die europäische und die US-Windindustrie nicht überleben können.“
Zudem laufen heimische Marktgrößen wie die spanische Siemens-Tochter SiemensGamesa und die dänische Vestas Gefahr, ihren technologischen Vorsprung einzubüßen – ihr letzter verbliebener Trumpf. Dann würde der Damm wohl endgültig brechen.
Auch technologisch ziehen Chinas Windradbauer gleich
Die Chinesen lassen keine Zweifel, den Technologiewettlauf anzunehmen. Jüngst erst präsentierten China Three Gorges and Goldwind stolz die erste 16-Megawatt-Turbine für den Einsatz auf See. Mehr leistet kein Konkurrenzmodell. Außer demnächst ein Windrad der MingYang Smart Energy – ebenfalls aus China.
Um kraftvoll gegensteuern zu können, müsste Europas Windindustrie kräftig in neue Kapazitäten, Produkte sowie in Forschung und Entwicklung investieren. Doch weil derzeit das Rot in den Bilanzen dominiert, fehlen dafür die finanziellen Mittel. SiemensGamesa kündigte jüngst einen Jahresverlust von 940 Millionen Euro und die Streichung von voraussichtlich fast 3000 Jobs an. Das lässt nichts Gutes ahnen.
Europa quält sich mit einem gigantischen Antragsstau
Der anhaltenden Auftragsflaute auf dem alten Kontinent sind allein in Deutschland nach Zahlen des Bundesverbands Windenergie fast 40 000 Stellen zum Opfer gefallen. Die Zahl der Beschäftigten sank von 170 000 auf 130 000.
Der Lobbyverband WindEurope macht schleppende Genehmigungsverfahren für das schwache Geschäft verantwortlich. 90 GW steckten im Antragsstau fest, poltern die Funktionäre. Und erinnern Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an ihre Ansage aus dem August. „Wir brauchen saubere, billige und selbst erzeugte Energie.“
Vestas punktet in Australien und Südkorea
Matthew Donen, Analyst bei der Vermögensberatung Morningstar, teilt die Kritik. „Brüssel muss schneller genehmigen, sodass die Hersteller Geld verdienen können.“
Doch er sieht auch hausgemachte Probleme. So hätten die Branchenriesen SiemensGamesa und Vestas zu ähnliche Produkte, was sie in einen ruinösen Preiswettbewerb gegeneinander treibe. Zudem enthielten ihre mit Kunden abgeschlossenen Verträge keine Klauseln, die enorm gestiegenen Kosten etwa für Kupfer und Stahl nachträglich in Rechnung stellen zu können (siehe Video unten).
Ganz hoffnungslos ist die Lage dennoch nicht. Das zeigt ein aktuelles Projekt von Shell und Hexicon AB. Das Joint Venture hat Vestas zum bevorzugten Lieferanten für eine schwimmende Windfarm vor der Küste Südkoreas ausgewählt. Sie soll einst 1,3 GW leisten. Auch in Australien konnten die Dänen gerade punkten. Sie werden im Bundesstaat Victoria einen 756-MW-Windpark errichten.
Das Zeitfenster schließt sich
Doch allen vereinzelten Erfolgsmeldungen zum Trotz bleibt wahr: Europa muss schleunigst ernst machen mit seinem Anspruch, eine eigene industrielle Basis für eine saubere und verlässliche Energieproduktion zu sichern. Das Zeitfenster dafür schließt sich.
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