Temperaturen wie in der Sahara – Ein Bericht aus der bretonischen Vorhölle

Vierzig Grad Celsius und mehr: In den vergangenen Tagen bewegten sich in Frankreichs Regenloch die Temperaturen um bis zu 10 Grad über dem gewohnten Sommermaximum. Greenspotting-Redakteur Lothar Schnitzler schwitzt am Ort mit und beschreibt die Wandlung der Bretagne zum Glutofen.

Grüne Bretagne Klimawandel bedroht Idylle (Paul Henri Degrande/Pixabay)

Es ist still in Baden am Golf von Morbihan. An den Stränden, wo sonst am frühen Nachmittag sich Familien auf engem Raum tummeln, ist kaum ein Mensch zu sehen. Nur eine Hand voll unentwegter Windsurfer zieht seine Bahnen auf dem Wasser. Die Straßen sind leergefegt. Von der Hochsaison, die ab dem Nationalfeiertag am 14. Juni losbricht, ist so gut wie nichts zu spüren. An normalen Tagen hängt um diese Uhrzeit ein ständiges Verkehrsgeräusch in der Luft. Und Parkplätze in Strandnähe sind Mangelware.

Doch gestern war alles anders: Die Thermometer zeigten 38 Grad an – zum Glück zwei Grad weniger als angekündigt. Erst abends ab neun füllten sich die Strände. Trotz der späten Stunde war es noch über 30 Grad heiß. “Man ist der Bretagne und fühlt sich wie am Mittelmeer”, meinte ein Nachbar. Seit Jahrzehnten verbringt er in seinem Landhaus die heißesten Sommerwochen, nicht zuletzt, um der drückenden Hitze in Paris zu entkommen.

Affenhitze statt Atlantik-Klima

Zunehmend geht diese Rechnung nicht mehr auf. Ich selbst mache seit über dreißig Jahren an der bretonischen Küste Ferien; seit zehn Jahren verbringe ich hier fast den gesamten Sommer. Ähnlich wie der Nachbar wollte ich ursprünglich damit auch den Hitzetagen in der Großstadt entgehen. Ich erinnere mich noch gut an regenreiche Sommerurlaube in den Neunzigern. An unsere ungläubige Überraschung, wenn das Thermometer die 30-Grad-Marke knackte. Und an Wassertemperaturen von 15 Grad.

Das Wetter ähnelte damals dem von Cornwall oder Irland. Oft regnete es dreimal am Tag. Und ebenso oft kam die Sonne wieder hervor. Immer dabei: eine leichte Brise. Und wie im Süden Englands oder Irlands wuchsen am Golf von Morbihan schon vor dem Klimawandel Palmen, Mimosen, Agaven, Feigen und sogar Zitronenbäume. Doch so richtig heiß war es so gut wie nie.

Abschied von gestern

Vorbei, verweht! Seit der Jahrtausendwende ist vom atlantischen Klima wenig zu spüren. Schon die Hitzewelle 2003 bescherte fast zwei Wochen lang Temperaturen von weit über 30 Grad. Zwar starben in der Bretagne nicht wie in Paris tausende Menschen. Doch die Krankenhäuser in Rennes, Brest oder Vannes waren mit der Rettung von – vor allem alten – dehydrierten Patienten gut ausgelastet. Republikweit kamen damals etwa 20 000 Menschen zu Tode. In Paris reichten die Leichenhallen nicht aus. Die Kühlräume des Pariser Großmarktes in Rungis mussten umgewidmet werden. Zur Spitzenzeit kühlten sie 700 Tote.

Hitzerekorde fallen

Von solchen Verhältnissen war der Glutofen Bretagne gestern und während der Vortage weit entfernt. Zwar klagten Freunde aus Montfort-sur-Meu, unweit von Rennes, über Temperaturen von 41 Grad. Wenig erstaunlich: Der bretonische Hitzepol lag im Dörfchen Bléruais, nur 12 Kilometer weiter. Dort hatte die Wetterstation eine Temperatur von 41,6 Grad gemessen.

Nie zuvor wurden die bretonischen Hitzerekorde so zahlreich gebrochen. Im gewöhnlich kühlen Brest an der Nordwest-Spitze der Halbinsel stieg das Thermometer auf 39,4 Grad, vier Grad über dem Rekord von 1949. In unserer Nachbarschaft, in Vannes, ging die Temperatur auf 40,2 Grad hoch. Auf den nordbretonischen Inseln Bréhat und Batz wurden mit 34 Grad und 35 Grad die Rekorde von 1926 und 1932 getoppt.

Doch der große Unterschied zum Katastrophenjahr 2003 besteht in der kurzen Dauer der Hitzewelle. Die Toptemperaturen hielten sich nur einen Tag. Davor hatte es zwar vier warme Tage gegeben, allerdings mit Wärmegraden von lediglich 30 bis 36 Grad. Vergangene Nacht fiel unser Thermometer am Hauseingang dann innerhalb weniger Stunden auf nur 21 Grad. Und seit dem Morgen sorgt eine Brise mit gelegentlichen Böen und etwas Regen für kühlere Wärmegrade um 25 Grad. Zwar halten die 70 Zentimeter dicken Granitmauern noch die Wärme in dem über 250 Jahren alten Haus. Auch die Sonne scheint zwischendurch mal ein Stündchen. Geschwitzt wird also weiterhin. Aber selten zuvor sind die Temperaturen hier so schnell und so tief gefallen. Ein wenig erinnert das heutige Wetter an die Sommer vor der Jahrtausendwende.

Angst vor der Zukunft

Schöne Illusion! Damals war der Klimawandel ein Thema ausschließlich für Experten und Aktivisten. Doch heute weiß – abgesehen von wenigen Ignoranten – jeder Bretone, dass die 25-Grad-Sommer mit zwei, drei leichten Regenfällen am Tag nicht mehr wiederkommen. Die Bretonen wissen auch, dass die Wälder nicht nur in Südfrankreich lichterloh brennen. Allein im westfranzösischen Departement Gironde brennen 17 000 Hektar Wald; 32 000 Menschen mussten evakuiert werden. Zum Glück halten sich die Waldbrände in der Bretagne in Grenzen. Noch!

Mehr: Le Télégramme

Lothar Schnitzler/Frankreich

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