Viessmann – Es ging nicht um die Kohle, sondern um die notwendige Größe

Selten hat ein Firmenverkauf mehr Aufsehen erregt als der Deal zwischen Viessmann und Carrier Global. Jetzt hat Unternehmenschef Max Viessmann erklärt, warum er sich von seinem Stammgeschäft trennt. Denn in der Branche bleibt kein Stein auf dem andern.

Unternehmenschef Max Viessmann Revolution des Wärmemarktes fordert Mindestgröße  (Foto: Viessmann)
Unternehmenschef Max Viessmann Revolution des Wärmemarktes fordert Mindestgröße (Foto: Viessmann)

In einem Gespräch mit dem Handelsblatt erklärte Max Viesmann, dass er davon überzeugt sei, dass sich der Heizungsmarkt radikal verändern werde. „Industrielle Größe wird künftig ein wichtiger Erfolgsfaktor.“ Tatsächlich steht die Branche unter Druck: Bedingt durch die Energiekrise und geplante Gesetze werden inzwischen statt Gasheizungen zunehmend Wärmepumpen verkauft. In Wärmepumpenmarkt aber wiegen die traditionellen Wettbewerbsvorteile – wie Marktnähe oder Markenstärke – der deutschen Anbieter weniger stark.

Asiatische oder amerikanische Wettbewerber arbeiten – anders als die meisten deutschen Wärmepumpenbauer – seit Jahrzehnten mit der Technik. Sie kommen zwar häufig aus der Gebäudekühlung. Eine Wärmepumpe zwecks Heizung nutzt jedoch das gleiche physikalische Prinzip – nur umgekehrt. Statt der Luft im Inneren des Gebäudes entzieht die Heizwärmepumpe der Außenluft die Wärme und führt diese dem Gebäude zu.

Im Vergleich zu den asiatischen oder amerikanischen Herstellern sind die deutschen Klimatechnikbauer allerdings Zwerge. Carrier Global, der 85 Prozent der Viessmann-Aktivitäten übernehmen will, generiert jährlich einen Umsatz von rund 20 Milliarden Dollar. Bei Viessmann sind es nur vier Milliarden Euro. Selbst die Nummer eins in Europa Bosch Thermotechnik kommt nur auf einen Umsatz von 4,5 Milliarden Euro.

Höhere Stückzahlen

Vor dem Verkauf hatte die Familie verschiedene Optionen geprüft, um auf diese Herausforderung zu reagieren, wie zum Beispiel die Schaffung eines großen europäischen Spielers. Auch die Begebung einer Anleihe, der Verkauf nur einer Minderheit wie umgekehrt des ganzen Unternehmens sei durchgespielt worden. Doch der Verkauf der Klimasparte an Carrier Global schien die beste Lösung zu sein. Laut Max Viessmann hätte es finanziell attraktivere Lösungen gegeben. Allerdings sei es der Familie vor allem um die Zukunft der Klimasparte und um die Arbeitsplätze gegangen.

Mit Carrier Global im Rücken ist es für Viesmann deutlich einfacher, auf hohe Stückzahlen zu kommen. Dem Handelsblatt sagt Max Viessmann: „Wir werden mehr Klimalösungen schneller herstellen können.“ So könne man die Dekarbonisierung im Gebäudesektor schneller voranbringen. Das Viessmann-Stammwerk im hessischen Allendorf werde eine tragende Rolle beim Ausbau des Geschäftes in Europa spielen.

Carrier Global hatte 13 Milliarden Dollar für den Klimabereich, das Kerngeschäft von Viessmann, gezahlt. Der Käufer mit Sitz im floridanischen Palm Beach Gardens will drei Jahre lang auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Und er gibt für fünf Jahre Garantien für die wichtigsten Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsstandorte. Für den Hauptsitz in Allendorf beträgt die Bestandsgarantie sogar zehn Jahre.

Lieber jetzt als zu spät

In der Branche hält sich dennoch die Vermutung, Viessmann habe angsichts der massiven überseeischen Konkurrenz dem Verfall des Unternehmenswertes zuvorkommen wollen. Das Handelsblatt zitiert einen Branchenkenner, der nicht ausschließt, dass Viessmann in zwei oder drei Jahren nur noch einen Verkaufspreis von sieben Milliarden Dollar erzielt hätte. Kenner der Industrie gehen davon aus, dass sich der Engpass bei den Wärmepumpen in zwei, drei Jahren auflösen. Auch die Nachfrage werde sich normalisieren. Zurzeit werden erhebliche Kapazitäten in Europa aufgebaut. Zusammen mit den gigantischen Kapazitäten vor allem der asiatischen Anbieter sei ein Preisverfall für Wärmepumpen absehbar.

Für die Branche wird das Klima in den kommenden Jahren rauher. Über Jahrzehnte war es den Heizungsbauern gelungen, ausländische Anbieter weitgehend auszusperren. Die Konsolidierung der Branche ging in kleinen Schritten und extrem sanft voran. Übernahmen vollzogen sich so gut wie immer im nationalen oder europäischen Rahmen. Fast ausschließlich ging es bei den Übernahmefirmen um Unternehmen, die deutlich kleiner als Viessmann waren. Die meisten davon operierten ohnehin unterhalb einer kritischen Größe und sicherten mit dem Verkauf die Zukunft der Marke und der Standorte. So gingen Junkers oder Buderus in Bosch auf. Wolf landete bei Ariston. Die aufgekauften Markennamen und die Vertriebsorganisationen wurden und werden – um die Handwerker nicht zu verwirren – über Jahre fortgeführt.

Ende des Oligopols

Hinzu kam, dass die Branche, in der jeder jeden kannte, es selbst in den Jahren der Bauflaute geschafft hatte, das Preisniveau stetig zu steigern. In einem Greenspotting-Interview im Sommer 2021 sagte dazu der Immobilien-Ökonom Harald Simons, dass es nur wenige Branchen gäbe, „die vergleichbare Preiserhöhungen duchsetzen könnten.“

Inflation am Bau Marktmacht und Oligopole treiben die Preise (Quelle: © Statistisches Bundesamt 2021)

Schlimmer noch: Die Strukturen der Branche ähnelten einem „Oligopol, wie es im Lehrbuch steht“. Der Immobilien-Professor: „Da stimmt doch etwas nicht. Vielleicht trifft tatsächlich das Gerücht zu, dass in dem Moment, in dem eine Veränderung droht, die DIN-Norm geändert wird. So, dass ausländische Anbieter keine Chance haben.“

Jetzt, so scheint es, dreht sich der Wind. Die ruhigen Zeiten, in denen die Spieler der Branche alles vermieden, was den Wettberwerben weh tat, sind offensichtlich vorbei. Neue, ausländische Spieler brechen die tradierten Regeln. Die gewohnten, fetten Margen werden unter Druck geraten. Der Umwelt und den Endkunden soll’s recht sein. Hauptsache ist, dass sich klimafreundliche Heizungen durchsetzen – und die Preise sinken.

Mehr: Handelsblatt

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*