Anfang März kündigte Bundesernährungsminister Cem Özdemir großspurig ein weitgehendes Werbeverbot für Süßes und Salziges an. Jetzt knickt der Grüne vor der FDP ein. Wieder einmal demonstrieren die Liberalen, wer in der Berliner Ampel das Sagen hat.
Der Blick am Strand oder auf dem Spielplatz enthüllt es rasch: Mehr Kinder und Jugendliche denn je plagen sich mit Übergewicht. Schon lange prangern Ärzte und Ernährungsexperten dafür ungesunde Ernährungsgewohnheiten an: zu viel Süßes, zu viel Fettiges, zu viel Salziges. Um die Folgen – Diabetes, Bluthochdruck, kaputte Gelenke – zu mindern, fordert ein breites Bündnis, angeführt von der Verbraucherorganisation Foodwatch, einen radikalen Schnitt: Ein Werbeverbot für Schokoriegel, Chips, Softdrinks & Co. in Fernsehen, Radio und sozialen Medien zwischen sechs und 23 Uhr. Der erhoffte Effekt: Kinder werden weniger in Versuchung geführt.
Liberale entschärfen Werbeverbot für Süßes und Fettes
Ernährungsminister Özdemir sprang auf den Zug. Anfang März legte er einen Gesetzentwurf vor, der vorsah, das Werbeverbot in ganzer Schärfe durchzusetzen. Sogleich meldeten die mitregierenden Liberalen Protest an. Özdemir gab sich unbeeindruckt. “Das halte ich aus.”
Nun ist der Grüne eingeknickt. Hat das Gesetz weitgehend entschärft. Jetzt soll gelten: wochentags keine Werbung von 17 bis 22 Uhr, samstags zwischen acht und elf sowie zwischen 17 und 22 Uhr, sonntags gilt das Verbot von acht bis 22 Uhr. Auch bei der Reklame auf Plakaten ruderte Özdemir zurück: An Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen wären die Tafeln weiter zulässig. Lediglich im Umkreis von 100 Metern um Schulen und Kindertagesstätten darf die Werbung nicht geklebt werden.
Gutachten: Gesundheitsschutz von Kindern hat Vorrang
Klare Kante wie angekündigt. Fehlanzeige. Jetzt gibt Özdemir sich einsichtig. “Wir haben Anregungen und Kritik einfließen lassen”, redet er sein Zurückweichen vor der geballten Lobbyarbeit der Werbe-, Süßwaren- und Lebensmittelindustrie schön.
Dabei kam ein Gutachten der Rechtsanwältin Karoline Borwieck von der Kanzlei Geulen & Klinger im Auftrag von Foodwatch erst vor wenigen Tagen zu einem klaren Ergebnis: Gesundheitsschutz von Kindern geht vor Freiheit der Unternehmen. Mit anderen Worten: Ein Werbeverbot wäre mit der Verfassung vereinbar.
Der kleinste Koalitionspartner gibt den Ton an
Doch Özdemir will offenbar keinen Rechtsstreit riskieren. Vor allem aber beugt auch er sich wie andere rote oder grüne Kabinettskollegen den offen ausgesprochenen Ultimaten des kleinsten Regierungspartners: der FDP. Die Freidemokraten gefallen sich zunehmend in der Rolle der Inner-Regierungsopposition.
Dabei heißt es im Koalitionsvertrag, den auch die Liberalen unterschrieben haben, eindeutig: “An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben.”
Doch ganz offensichtlich fühlen sich die FDP-Granden unter Parteichef und Finanzminister Christian Lindner nicht an ihre Zusagen gebunden. Aus für den Verbrennungsmotor, Einhaltung von Sektorzielen beim Klimaschutz, Wärmewende – in allen Fällen fuhren die Liberalen Rot-Grün in die Parade, lassen deren Minister wie Hampelmänner dastehen. Nicht der SPD-Kanzler, sondern die Freidemokraten bestimmen die Richtlinien der Politk. So hat es jedenfalls den Anschein.
Auch Lauterbach macht den Kotau
Bereits vor Özdemir machte Gesundheitsminister Karl Lauterbach den Kotau vor Lindner. Obwohl im Koalitionsvertrag eine Dynamisierung des Bundeszuschusses zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vereinbart ist, bürdet der SPD-Mann allein den Beitragszahlern die benötigten zusätzlichen Milliarden zur Finanzierung des Systems auf. In Form höhere Beitragssätze.
Lindner habe ihm klar gemacht, dass er die Steuerzuschüsse nicht erhöhen werde, berichtet Lauterbach kleinlaut. Widerstand? Pochen auf Einhaltung des Koalitionsvertrags? Demütiger geht’s kaum.
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