Smart Meter machen Kraftwerke überflüssig und Strom billiger

Datenschützer hassen sie. Klimaschützer lieben sie. Smart Meter messen nicht nur den Strombedarf. Sie lenken ihn auch. Durch flexible Preise. Oder durch Abschaltungen.

Klassischer Stromzähler Die Zukunft gehört dem Smart Meter (Gerd Altmann/Pixabay)
Klassischer Stromzähler Die Zukunft gehört dem Smart Meter (Gerd Altmann/Pixabay)

Frankreich macht es. Großbritannien schon lange. Und Schweden sowie Irland. Die Versorger haben dort schon vor Jahren angefangen, die Haushalte ihrer Bürger mit schlauen Stromzählern, neudeutsch Smart Meter genannt, auszurüsten. Statt der vertrauten Zähler mit der rotierenden Alu-Scheibe, deren rote Markierung mal schneller, mal langsamer den Sichtschlitz passiert, messen dort Chip-bewehrte intelligente Stromzähler den Verbrauch. Deutschland gehört zu den Nachzüglern beim Umstieg aufs intelligente Netz: Von den über 53 Millionen Zählern im Lande sind ganze 133 500 schlau.

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Treiber beim Umbau sind die Erneuerbaren. Denn Sonne und Wind sind launisch. Und je höher ihr Anteil an der Stromzeugung wird, desto stärker wirken sich trübes Wetter oder Windstille auf die Stabilität des Netzes aus. Die neue digitalisierte Stromwelt soll den Verbrauch daran anpassen. Lastenverschiebung heißt das Zauberwort.

Teure Speicherwerke

Zurzeit ist es so: Netzbetreiber und Stromerzeuger müssen stets so viel Kapazitäten bereit halten, wie zu den Spitzenzeiten nachgefragt werden könnte. Um die Verbrauchsspitzen zu entschärfen, bauen die Versorger eine Infrastruktur von Stromspeichern aus. Die springen dann ein, wenn die erneuerbaren, atomaren und fossilen Stromquellen mit den Lieferungen nicht nachkommen. Doch sie sind teuer. Das schweizerische Pumpspeicherwerk Nant de Drance zum Beispiel kostete rund zwei Milliarden Euro. Der Strom aus Pumpspeicherwerken kann bis zu zwölf Cent pro Kilowatt kosten. Steuern, Transport und Vertriebskosten kommen noch dazu. Noch teurer ist das Puffern von Verbrauchspitzen durch die Umwandlung von grünem Wasserstoff in Strom. Er kostet je nach Wetter und Standort zehn bis zwanzig Cent.

Am teuersten ist es jedoch, Kraftwerke für die kurzen Zeiten der Spitzenverbräuche bereit zu halten. Die Hamburger Unternehmensberatung Aurora errechnete, dass der Strom aus diesen Kapazitäten zehn Euro pro Kilowattstunde kostet. Dass der Bau und die Unterhaltung solcher Anlagen mit erheblichen Belastungen für Umwelt und Klima verbunden ist, versteht sich von selbst.

Träge Verbraucher

Wenig erstaunlich also, dass Versorger und Politiker darüber nachdenken, wie Spitzenlasten von vorneherein vermieden werden können. Im Fokus stehen die trägen Stromverbraucher, deren kurz- oder mittelfristige Abschaltung keine negativen Folgen mit sich bringt. Typisches Beispiel sind die Antriebsbatterien von E-Autos. Ob sie zwischen sieben Uhr abends und Mitternacht aufgeladen werden, zwischen vier und acht Uhr morgens oder – gleichsam auf kleiner Flamme – über die ganze Nacht, ist dem Nutzer gleich. Wichtig ist, dass er um halb neun losfahren kann. Ähnlich verhält es sich bei Kühlanlagen. Fast alle können ohne Schäden kurzzeitig ab- oder heruntergeschaltet werden. Kühlung verbraucht rund 14 Prozent des elektrischen Energie. Entsprechend hilfreich ist der potentielle Puffereffekt.

Smart Meter ersetzen AKW

In Frankreich regelten zwei große Versorger zwischen 12 Uhr und 14 Uhr 4,3 Millionen Warmwasserboiler herunter. Die Boiler waren mit einem automatischen Stromzähler versehen. Damit sparten die Versorger zur Spitzenverbrauchszeit 2,4 Gigawatt Leistung ein. Das entspricht der Leistung von zwei Atomkraftwerken. Ein weiteres Beispiel: Im US-Bundesstaat Colorado senkte im vergangenen Sommer ein Netzbetreiber kurzzeitig die Einstellungen der Klimaanlagen von 22 000 Haushalten ab. Damit konnte ein Blackout verhindert werden.

Smart Metern ermöglichen darüber hinaus stundenflexible Preise. In Litauen gibt es sie bereits. Nachts um drei Uhr fallen dort die Preise für die Kilowattstunde auf einen Cent. Zwischen 13 und 14 Uhr hingegen können sie auf 1,25 Euro ansteigen. Das ist ein Vorgeschmack auf die Situation, wie sie sich ab 1925 ergeben könnte, wenn die Versorger dynamische Strompreise anbieten müssen. Viele Verbraucher dürften dann bereit sein, digitale Technik für Einzelgeräte mit hohem Stromverbrauch zu akzeptieren, um die Verbräuche in Tiefpreis-Tageszeiten zu verschieben. Experten gehen davon aus, dass Endverbraucher dank Smart Meter bis zu 15 Prozent Stromkosten sparen.

Datenschützer alarmiert

Robert Habeck, Bundesminister für Klima und Wirtschaft, will nun die verzögerte Einführung des intelligenten Netzes mit einem neuen Gesetzesentwurf beschleunigen. Im Januar stellte die Regierung den Entwurf für das “Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende” vor. Eine erste Beratung im Bundestag fand vor zwei Wochen statt. Zuerst sollen nur Endkunden zum Einbau verpflichtet werden, die über 6 000 Kilowattstunden pro Jahr verbrauchen oder Strom aus einer Solaranlage einspeisen. Bis 2032 sollen dann die Smart Meter sämtliche herkömmlichen Zähler ersetzen.

Für Datenschützer ist das eine Horrorvorstellung. Zwar sollen die schlauen Zähler den Verbrauch zunächst nur in 15-Minuten-Abschnitten messen. Doch wäre die Technik per Software-Aktualisierung auch in der Lage, sekundengenau zu messen. Eine Untersuchung der Fachhochschule Münster zeigt, dass die Daten der Smart Meter präzise Rückschlüsse auf die Verbrauchsprofile einzelner Hausgeräte erlauben. Ob gesetzliche Maßnahmen die Bürger wirksam schützen können, bleibt fraglich.

Doch ohne intelligente Zähler wird die Klimawende kaum gelingen. Die chaotischen Netze der neuen, nachhaltigen Stromwelt mit Tausenden kleinen Stromlieferern und schwankenden Energiezuflüssen je nach Wetter und Tageszeit brauchen den digitalen Ausgleich. So sieht es auch die EU-Kommission. Sie will deshalb bis Ende des Jahrzehnts rund 170 Milliarden Euro in die Digitalisierung der Energienetze stecken.

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Lothar Schnitzler

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