Strompreise verzerren den internationalen Wettbewerb

Ohne Markteingriffe ist die deutsche Industrie wegen der hohen Strompreise zum Scheitern verurteilt. Doch gelten diese in der EU als verbotene Beihilfen. Ein neues Rechtsgutachten der Gewerkschaft IGBCE sieht das anders.

ochspannungsmasten Hohe Strompreise gefährden Überleben der deutschen Industrie (Moerschy/Pixabay)
Hochspannungsmasten Hohe Strompreise gefährden Überleben der deutschen Industrie (Moerschy/Pixabay)

Warum agiert eine Gewerkschaft wie ein industrieller Lobby-Verband? Fordert niedrige Strompreise für die Konzerne. Bestellt Rechtgutachten gegen die EU-Kommission. Die Antwort ist einfach. Die Gewerkschaft IGBCE vertritt über 600 000 Mitarbeiter aus Branchen wie Chemie, Bergbau und Energie, die massenhaft Strom verbrauchen. So benötigt der Kölner Chemiekonzern IENOS ebenso viel Strom wie die gesamte Stadt Aachen. Die TRIMET, ein Familienunternehmen der Aluminiumindustrie aus der Ruhrstadt Essen mit 2 400 Mitarbeitern braucht pro Jahr sechs Terawattstunden Strom. Das entspricht einem Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs. Beide Unternehmen liefern Grundprodukte, die für die deutsche Industrie unabdingbar sind. Ein Großteil der Kosten in diesen Industrien entfallen auf Strom. In der chemischen Industrie macht der Anteil der Energiekosten rund zwölf Prozent der Produktionskosten aus.

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Ohne Markteingriffe können diese Branchen in Deutschland nicht überleben. Ohne die Eingriffe würde der Industriestrom in Deutschland dauerhaft dreimal so teuer wie in Frankreich, viermal so teuer wie in den USA und siebenmal so teuer wie in China. Der Niedergang der deutschen Industrie wäre aber auch für die ICGBE-Gewerkschafter, ihre Familien und Heimatregionen eine Katastrophe.

Frankreichs Strompreise dreimal billiger

Seit Beginn des Ukrainekrieges sind die Strompreise explodiert. Die Bundesregierung hat deshalb die Preise gedeckelt. Energieintensive Unternehmen mit einem Stromverbauch von über 30 000 Kilowattstunden pro Jahr zahlen bis zum April kommenden Jahres 13 Cent Netto-Arbeitspreis pro Kilowattstunde. Allerdings werden nur 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs staatlich unterstützt. Der Restverbrauch wird nach Marktpreisen abgerechnet. Kleinere Verbraucher, ganz gleich ob Haushalte oder Firmen, zahlen allerings 40 Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: In Frankreich beträgt der Preis 4,2 Cent je Kilowattstunde.

Doch der Strompreis im staatswirtschaftlichen Frankreich hatte noch nie viel mit den Gestehungskosten zu tun. Viele Kostenanteile – vor allem des französischen Atomstroms – kamen nie bei Industrie und Verbrauchern an. Doch auch im vorgeblich marktwirtschaftlich organisierten Strommarkt der USA spielen versteckte und offene Subventionen eine preisdämpfende Rolle. Erst recht in China sind die Gestehungskosten für Strom fast gänzlich von den Preisen entkoppelt.

Habeck will Konzernen und Arbeitern helfen

Nun hat Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck ein Papier vorgelegt, dass für eine Übergangszeit bis 2030 einen sogenannten Brückenstrompreis von sechs Cent je Kilowattstunde vorsieht. Dieser Strompreis soll aber nur für 80 Prozent des Verbrauches in einem gegebenen Stichjahr gelten. Der Rest soll zu Marktpreisen abgerechnet werden. Habeck hofft, dass nach 2030 die günstigen, nachhaltigen Energieträger hinreichend ausgebaut sein werden.

In Brüssel haben die Pläne für Unruhe gesorgt. Die EU-Kommission hält sie für verbotene Beihilfen. Eine Regulierung des Strompreises für die Industrie sei, so ließ die zuständige EU-Energiekommissarin Kadri Simson verlauten, nach dem EU-Energierecht ausdrücklich verboten. Das Rechtsgutachten der Gewerkschaft IGECB hält dem entgegen, dass der von Habeck vorgeschlagene Brückenstrompreis zwar de jure zwar eine Beihilfe sein könnte. Diese Beihilfe sei jedoch mit den Grundregeln des Binnenmarktes vereinbar. Denn unter bestimmten Umständen sind Beihilfen genehmigungsfähig.

Erlaubte Beihilfe

Drei Argumente führen die Autoren dazu an:

  • Der Brückenstrompreis verfolge ein konkretes Ziel von gemeinsamen Interesse. Denn es sei davon auzugehen, dass anderenfalls Industrien in Drittländer mit geringeren Klima- und Umweltstandards abwanderten.
  • Der Brückenstrompeis sei erforderlich, geeignet und angemessen, um durch den Erhalt der Industrie die klimapolitischen Ziele zu erreichen. Habecks Pläne gehen langfristig von einem international konkurrenzfähigen Strompreis nach dem erfolgten Ausbau der Erneuerbaren aus. Ohne die Übergangsregelung bis 2030 käme es zu einem Marktversagen, dass massiv Industrien gefährden würde. Nur dank der Planungssicherheit für die Stromkunden blieben diese in der Lage, den klimagerechten Umbau ihrer Anlagen voranzutreiben. Die Maßnahmen seien darüber hinaus angemessen. Denn sie beschränkten sich auf das notwendige Minimum. Der Preis von sechs Cent verschaffe keinen Wettbewerbsvorteil. Die Beschränkung der Deckelung auf 80 Prozent des Stichzeitraum-Verbrauchs setze weiterhin Anreize zum Energiesparen.
  • Der Brückenstrompreis führte zu einer positiven wirtschaftlichen Gesamtbilanz und verändere die Handelsbeziehungen nicht übermäßig. Wegen des vergleichsweise hohen Kilowattstunden-Preises von sechs Cent seien verzerrende Auswirkungen nicht zu befürchten. Nicht zuletzt werde durch Verpflichtungen der Unternehmen der Standorterhalt im Ganzen abgesichert, was einen Beitrag zu legitimen sozial- und industriepolitischen Zielen leiste.

Gewerkschaft kritisiert Kommission

IGBCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis hat seit der Veröffentlichung des Gutachtens noch weniger Verständnis für das Sperrfeuer aus Brüssel: „Das Gutachten zeigt deutlich: Rechtliche Bedenkenträgerei ist Unsinn, juristisch ist der Industriestrompreis für energieintensive Industrien möglich.” Es komme jetzt auf den politischen Willen und auf die Frage an, ob man die energieintensive Industrie in Deutschland halten wolle – oder eben nicht. Der Industriestrompreis biete den energieintensiven Industrien Sicherheit: „Er signalisiert, dass sich der Weg der ((klimapolitischen)) Transformation hier in Deutschland lohnt.“

Mehr: IGBCE-Rechtsgutachten

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