Klimarettung – was geht mich das an

Nie war es in Deutschland wärmer als 2022. Nur wenige Bundesbürger beunruhigt das. Sie böllern, reisen und heizen drauf los. Ist Klimarettung nur noch lästig?

Sylvester-Feuerwerk: Böllern wichtiger als Klimarettung
Sylvester-Feuerwerk Spaß wichtiger als Klimarettung Bild: Gerd Altmann/Pixabay

Seit dem Verkaufsstart am Donnerstag drängelten die Massen an die Wühltische, um ja eine Feuerwerksbatterie für die Sylversternacht zu ergattern. Von Kiel bis Konstanz meldeten Supermärkte und spezielle Vertriebsstellen rekordverdächtige Absatzzahlen. Nicht wenige Kunden ließen mehrere Hundert Euro an den Kassen zurück. Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) hofft auf 120 Millionen Euro Umsatz – so viel wie vor der Corona-Pandemie. Fragen von Reportern nach Klimarettung und Lärm- wie Umweltschutz wimmeln die Käufer meist rigoros ab.

Klimarettung rutscht auf der Prioritätenliste nach unten

Da kann der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, noch so sehr gegen die enorm hohe Belastung durch Feinstaub wettern. Er entsteht beim Abrennen der Raketen und Böller. Umstehende im weiten Kreis saugen ihn in die Lunge. Resch beklagt Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschen mit Atemwegserkrankungen, warnt vor „giftiger Luft“ und fordert, Böller künftig zu verbieten.

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Durchschnittstemperatur auf Rekordkurs

Auf allzu viel Resonanz stößt der Aufruf nicht. Mag das Jahr 2022 nach vorläufigen Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zum wärmsten jemals an Rhein und Elbe gemessenen werden. Der bisherige Temperaturrekord von 2018 mit 10,5 Grad Celsius wird auf jeden Fall eingestellt. Und die Aussichten fürs globale Klima sind düster. Dieses und in den nächsten Jahren wird aller Voraussicht nach mehr Kohle verbrannt als je zuvor. Anstieg der Treibhausgase garantiert!

Wirklich beunruhigen kann die Entwicklung die große Mehrheit indes anscheinend nicht. Im Gegenteil: Auch andere Indikatoren zeigen an, dass den Deutschen die Klimarettung ziemlich schnurzegal geworden ist. Andere Faktoren sind ihnen wichtiger geworden.

Guter Vorsatz Energiesparen – für den Geldbeutel

Eindrücklich belegt das zum Beispiel eine aktuelle Yougov-Umfrage für den Immobiliendienstleister Ista. Demnach gaben 43 Prozent als guten Vorsatz fürs neue Jahr an: Energiesparen. Doch befragt nach ihren Beweggründen, nannten 64 Prozent der Teilnehmer die Schonung ihres Geldbeutels als Hauptmotiv. Quer durch alle Einkommensschichten. Dagegen spielen Umwelt- und Klimaschutz nur für elf Prozent der Befragten eine entscheidende Rolle.

Neue Lust aufs Fliegen

Auch die Lust auf Flugreisen kehrt zurück. Einer Auswertung des Statistischen Bundesamt zufolge kletterten an deutschen Airports diesen Sommer doppelt so viele Reisende in einen Flieger als im Jahr zuvor. 59,1 Millionen Menschen brachen von April bis Oktober zu einer Flugreise auf – allen bekannten schädlichen Auswirkungen auf die Erderwärmung zum Trotz. Der Branchenverband Iata erwartet, dass die Zahl der Passagiere in Europa 2023 fast wieder auf Vorkrisenniveau steigt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geht Energiesicherheit vor Klimarettung
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Energieversorgung derzeit wichtiger als Klimarettung
Bild: BMWK/Dominik Butzmann

Der Stimmungswandel in der Bevölkerung hinterlässt Spuren in der Berliner Politik. Bei niemandem so auffällig wie bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Fast könnte man vergessen, dass der Obergrüne auch für den Klimaschutz zuständig ist. Doch seit Monaten sorgt es sich weit mehr um die Versorgung Deutschlands mit ziemlich schmutzigem Flüssiggas als um den versprochenen zügigen Ausbau der Erneuerbaren.

Vom Klima- zum Flüssiggasminister

Zu Beginn der Legislaturperiode galten Habeck noch deutlich höhere Preise für Kohle, Öl und Gas als wirksamster Hebel, die klimaschädlichen fossilen Brennstoffe nachhaltig vom Markt zu drängen. Davon ist nurmehr wenig zu hören. Jetzt stellt er den Wahlbürgern lieber sinkende Gaspreise in Aussicht. „Ich hoffe, dass es gegen Ende 2023 schon besser ist.“ Wieviel Klimarettung damit übrig bleibt, darüber schweigt er sich derzeit dagegen aus.

Mehr: Stern DUH DWD SZ

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