Wasserstoff – warum der Heilsbringer überschätzt wird

Grüner Wasserstoff soll Kohle, Öl und Erdgas ersetzen und so den Weg in eine klimaneutrale Zukunft ebnen. Doch davor türmen sich enorme Herausforderungen auf.

In Duisburg will Thyssenkrupp von 2026 an Eisenerz klimaneutral mit Wasserstoff statt Kokskohle aufschmelzen
Duisburger Thyssenkrupp-Stahlwerk am Rhein Eisenerzschmelze mit Wasserstoff statt Koks
Bild: Thyssenkrupp

Tief im Westen plant Deutschlands größter Stahlproduzent Thyssenkrupp nichts weniger als die 4. industrielle Revolution. Von 2026 an will der Konzern, heute mit 20 Millionen Tonnen jährlich einer der größten CO2-Emittenten im Land, seinen Stahl am Standort Duisburg klimaneutral herstellen. Schluss mit dem Verbrennen dreckiger Kokskohle im Hochofen. Stattdessen schmilzt entzündeter sauberer Wasserstoff (H2) Eisenerz zur flüssigem Roheisen für die Weiterverarbeitung auf. Sauber ist er, wenn Sonnen- oder Windkraftstrom ihn aus dem Wassermolekül (H2O) abgespalten hat.

Zwei Milliarden Euro fließen in die Wasserstoff-Technologie

“Wir schaffen die Kohle ab, nicht das Stahlwerk”, verkündete Arnd Köfler, Technikvorstand bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKS) bei der Bekanntgabe des Startschusses. Weit mehr als zwei Milliarden Euro investieren die Duisburger in die Technologie. Sie hoffen, dass der Bund und das Land NRW ihnen mit dreistelligen Millionenbeträgen kräftig unter die Arme greifen.

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Gelingt der Coup, wäre er ein Musterbeispiel für die grüne Transformation der Wirtschaft. Bundeskanzler Olaf Scholz adelte Wasserstoff jüngst zum Schlüssel für das Gelingen der Dekarbonisierung, besonders der Stahl- und Chemieindustrie sowie des Flug- und Schiffverkehrs.

Der Bedarf übersteigt bei weitem das Angebot

Doch zugleich wirft das TKS-Projekt ein exemplarisches Schlaglicht auf viele, teils ungelöste Herausforderungen, die sich mit der Wasserstoff-Revolution verbinden. Wie klimaschonend ist der Hoffnungsträger wirklich? Stranguliert sein Preis die abnehmenden Unternehmen? Wird das Angebot überhaupt ausreichen? Und wann werden nenneswerte Menge zur Verfügung stehen? Das sind nur einige der Fragezeichen.

“Wir schaffen die Kohle ab, nicht das Stahlwerk”

Arnd Köfler, Vorstand Thyssenkrupp

Allein die Duisburger Manager melden für die vollständige CO2-freie Produktion ihres Stahl einen gigantischen Bedarf von jährlich rund 720 000 Tonnen Wasserstoff an. 3600 Windräder der höchsten Leisungsklasse müssten ihren Berechnungen zufolge aufgestellt werden, um ihn sauber zu erzeugen. Dass sie den Brennstoff aus heimischen Gefilden beziehen können, halten die TKS-Verantwortlichen selbst für unrealistisch. Woher also dann?

Australien will zu einem der weltgrößten Wasserstoff-Exporteure aufsteigen

Sie schielen zum Beispiel nach Australien. Die dortige neue Labor-Regierung hat die Parole ausgegeben, künftig lieber grünen Wasserstoff statt Kohle in alle Welt zu exportieren. Dafür baut sie einen gigantischen Wind- und Solarpark. Er leistet mehr als zehn Gigawatt (GW) – das entspricht in etwa der Kapazität von 20 mittelgroßen Kohlemeilern. Mit dem Ökostrom wollen die beteiligten Konzerne, darunter der Ölmulti BP, von 2027 an jährlich etwa 1,6 Millionen Tonnen H2 herstellen.

Die Menge würde gerade einmal knapp die Hälfte des Bedarfs der Duisburger abdecken. Das verdeutlicht die Relationen. Doch die Nachfrage wächst derzeit rund um den Globus explosionsartig an. Allein die Europäische Union (EU) strebt bis 2030 die jährliche Produktion von zehn Millionen Tonnen an.

Es klafft eine riesige Produktionslücke

Es klafft also eine riesige Produktionslücke. Um sie zu schließen, müsste das Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren vervielfacht werden. Und das ist nur ein Flaschenhals.

Eine anderer ist die Installation großvolumiger Elektrolyse-Anlagen zur Aufspaltung des Wassers. Um alle angekündigten H2-Projekte umzusetzen, müssten bis 2030 Elektrolyseure mit einer Leistung von 460 GW verfügbar sein. Das prognostiziert die Beratung Roland Berger in ihrem Clean Hydrogen Radar. Tatsächlich würden aber voraussichtlich nur 120 GW angeschlossen sein, dämpfen ihre Experten allzu hohe Erwartungen (siehe Grafik unten).

Für die Produktion von Wasserstoff werden Elektrolyse-Anlagen gebraucht. Die Grafik zeigt, dass das Angebot weit hinter der Nachfrage zurück bleibt
Wunsch und Wirklichkeit Es bahnt sich ein großer Mangel an Elekrolyseuren für die Gewinnung von Wasserstoff an
Quelle: Roland Berger

Auf keinen Fall werden die Produktionskapazitäten ausreichen, um die Erderwärmung auf die in den Klimaabkommen angestrebten 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Darauf weist die Internationale Energieagentur (IEA) hin. Dafür müssten 2030 mindestens 34 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff auf die Märkte kommen. Doch die IEA-Experten rechnen im besten Fall mit 24 Millionen Tonnen. Läuft es schlecht, sind es sogar nur 16 Millionen Tonnen.

Geht das Wasser aus?

Auch die Ankündigungen sonnenreicher Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und Australien, mit Milliarden Dollar eine nachfossile Wasserstoff-Industrie hoch ziehen zu wollen, ändern an dem Knappheitsbefund nichts. Neue Probleme könnten die Entwicklung zusätzlich bremsen. Australische Wissenschaftler warnen beispielsweise bereits vor einem Mangel an geeignetem Wasser.

Patrick Lammers, Vertriebsvorstand beim Düsseldorfer Energiemulti Eon sieht daher viel Wunschdenken am Werk – gerade in Deutschland. Sein Urteil: Mit Blick auf 2030 reiche weder die inländische Erzeugungskapazität aus, noch könne der Importbedarf gedeckt werden. “Wir stehen am Scheideweg”, drängt der Manager die Politik zu entschiedenerem Handeln.

Fragwürdige Energiebilanz und Klimarisiken

Ebenso bedenklich: Neueste Studien zeigen, dass sich auch Wasserstoff in den untersten Schichten der Atmosphäre ansammelt und Risiken fürs Klima birgt. Hinzu kommt, dass die Gewinnung der für die Elektrolyse-Anlagen benötigten Metalle mit erheblichen Umwelteingriffen einher geht. Schließlich verschlingt die Produktion auf allen Stufen enorme Mengen Energie.

Besonders ungünstig fällt die Energiebilanz beim Import aus. Wie Flüssiggas muss auch Wasserstoff auf minus 250 Grad Celsius herunter gekühlt werden, um per Schiff in die Empfängerländer zu gelangen. Zugleich muss er an ein Trägermedium wie Ammoniak angeheftet werden. Im Zielhafen muss das verflüssigte H2 zurück in ein Gas umgewandelt werden.

Die Preise bewegen sich in Richtung Wirtschaftlichkeit

Alle diese Prozesse treiben zudem die Kosten. Frühestens 2030 wird sauberer Wasserstoff nicht mehr teurer sein als schmutziger aus Erdgas gewonnener. Seine Wettbewerbsfähigkeit rückt mithin näher. Das sagen jedenfalls Marktanalysten voraus. Allerdings nur, wenn das Molekül aus Regionen stammt, wo Wind- und Sonnenstrom fast nichts kostet. Dort könnten die Preise den IEA-Experten zufolge auf 1300 US-Dollar pro Tonne fallen. Viel häufiger werden sie sich jedoch noch in Richtung 4500 Dollar bewegen.

Grünes Wachstum nicht garantiert

Alle diese Faktoren machen eines klar. Im Kampf gegen die Klimakrise alles auf die Karte Wasserstoff zu setzen, könnte sich als Irrweg erweisen. Das flüchtige Molekül ist jedenfalls nicht der Heilsbringer, der den Weg zu grünem Wachstum allein ebnet.

Die Duisburger TSK-Manager wischen die Bedenken erst einmal beiseite. Sie halten unbeirrt an ihrer Strategie fest. Was bleibt ihnen angesichts der sich beschleunigenden Klimakatastrophe auch anderes übrig. “Das ist die komplexeste und wichtigste Transformation in unserer 120-jährigen Firmengeschichte”, bekräftigen sie schon fast trotzig ihre Pläne.

Mehr: Thyssenkrupp CNBC Roland Berger IEA reneweconomy

Dieter Dürand

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