Wasserstoff mit zwiespältiger Klimabilanz

Wasserstoff gilt als der Hoffnungsträger für die nachfossile Energieversorgung. Doch selbst mit Ökostrom hergestellt, hat er laut einer aktuellen Studie seine Tücken.

Symbolbild für Wasserstoff
Hoffnungsträger Wasserstoff Gefährliche Spuren in der Stratosphäre Bild: Pixabay

Herausgefunden haben das Wissenschaftler der Münchner Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) im Auftrag des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu). Unterziehe man den grünen Wasserstoff einer vollständigen Klimabilanz, erläutern die Forscher, tauchten bisher unberücksichtigte negative Aspekte auf. Da sei zum einen der hohe Bedarf an Metallen aus der Platingruppe für die Elektrolyse-Anlagen, die das Wasser in Sauer- und Wasserstoff (H2) aufspalten. Die Gewinnung der Metalle geht mit erheblichen Umwelteingriffen und einem beachtlichen Energieverbrauch einher.

Wasserstoff hat ein viel höheres Treibhauspotenzial als angenommen

Bedenklicher aber noch aus Sicht des Nabu: Bisher würden bei der Bewertung der Klimarisiken nur die Veränderungen berücksichtigt, die H2 in den untersten Schichten der Atmosphäre auslösen könne. Inzwischen lägen jedoch Erkenntnisse vor, dass das Molekül auch in der Stratosphäre Spuren hinterlasse. “Damit hat Wasserstoff ein viel höheres Treibhauspotenzial als bisher angenommen”, sorgen sich die Umweltschützer.

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Als Konseqenz fordert Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger, Wasserstoff nur für Prozesse einzusetzen, die sich nicht elektrifizieren lassen. Im Klartext: Zwar zum Beispiel in der Produktion von Rohstahl, nicht jedoch für die Herstellung synthetischer Autokraftstoffe, sogenannter E-Fuels. Klar ist aus Krügers Sicht jetzt schon, dass Deutschland auf große Importmengen angewiesen ist, um seinen Bedarf zu decken. “Deshalb müssen die Wasserstoff-Infrastrukturen im Ausland ökologisch und sozial verträglich gestaltet werden und nicht zum Nachteil dieser Länder gehen”, mahnt er.

“Auch im Ausland müssen die Wasserstoff-Infrastrukturen ökologisch und sozial verträglich gestaltet werden”

Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger

Unabhängig von solchen Bedenken gewinnt der Aufbau einer Wasserstoff-Industrie weltweit und innerhalb Deutschlands an Fahrt. Zu verlockend sind die Geschäftsaussichten.

Sonne und Wind in Hülle und Fülle

Ganz vorn dabei ist Ägyptens Präsident Abdel Fattah El-Sisi. Der Ex-Feldmarshall will den Technologiewechsel nutzen, um das Land am Nil in Konkurrenz etwa zu Marokko zu einem weltweit führenden H2-Lieferanten aufzubauen. Grünen Strom für die Elektrolyse hat das Land potenziell in Hülle und Fülle. Die Sonne strahlt zuverlässig vom Himmel, und am Golf von Suez weht kontinuierlich ein strammes Lüftchen.

Mit dem norwegischen Spezialisten für erneuerbare Energien Scatec vereinbarte El-Sisi bereits im März ein Fünf-Milliarden-Dollar schweres Wasserstoff-Projekt. Der Produktionsstart ist für 2025 geplant. Jetzt sondierte der Präsident mit Andrew Forrest, Chef des weltweit tätigen, auf grüne Technologien spezialierten australischen Konzerns Fortescue Future Industries (FFI) den nächsten Coup: FFI, so der Plan, errichtet Wind- und Solarkraftwerke mit einer Leistung von 9,2 Gigawatt und stellt mit dem Strom von 2030 an jährlich 15 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff her.

“Ägypten entwickelt sich zu einem globalen Kraftzentrum für grüne Energien”

Fortescue-Future-Industries-Chef Andrew Forrest

Ein Teil dürfte nach Deutschland verschifft werden, wo Forrest erst jüngst mit dem Düsseldorfer Energieriesen Eon einen Megadeal über den grünen Energieträger abgeschlossen hat. “Ägypten ist dabei, sich zu einem globalen Kraftzentrum in der Wertschöpfungskette für grüne Energien zu entwickeln”. lobt Forrest die Ambitionen des Nilstaats.

Auch hier zu Lande greift das Wasserstoff-Fieber um sich, möchten viele vom vorhergesagten Boom profitieren. Zum Beispiel Nordrhein-Westfalen. Rund 860 Millionen Euro steckt Ministerpräsident Hendrik Wüst in den nächsten Jahren in den Hoffnungsträger. Unter anderem in ein nagelneues Forschungszentrum in Jülich bei Aachen, das auf einem Rübenacker entstehen wird.

Kommt der Wasserstoff per Güterzug?

Hoch im Norden wollen der Leipziger Gaskonzern VNG und das norwegische Energieunternehmen Equinor Rostock zu einer Wasserstoff-Drehscheibe ausbauen. Das würde nach ersten Schätzungen eine Milliarde Euro verschlingen. Das Projekt steht allerdings auf wackligen Beinen. VNG ist derzeit wegen des ausbleibenden Billiggases aus Russland ziemlich klamm und will sich mit Geld aus der hoch umstrittenen Gas-Umlage retten.

Bei all dem Hype will auch die Deutsche Bahn nicht abseits stehen. Ihre Gütertochter DB Cargo entwickelt nach eigenen Angaben Lösungen, um den begehrten Stoff per Schiene zu den Abnehmern quer durch die Republik zu transportieren.

Wasserstoff aus der Umgebungsluft fürs Beheizen von Häusern

Noch ist die Produktion von Wasserstoff relativ teuer, energieintensiv – und nicht überall finden sich günstige Voraussetzungen. Das stachelt den Ehrgeiz der Forscher an. Wiener Wissenschaftler wollen die Elektrolyse umgehen, indem sie Wasser mit Licht spalten. Einen anderen Ansatz verfolgen Experten der Universitäten in Melbourne und Manchester. In Gegenden, in denen Frischwasser knapp ist, extrahieren sie das Wasser per Direkt-Elektrolyse aus der Feuchtigkeit der Umgebungsluft.

Im Labor hat das bestens funktioniert. Dabei soll es nicht bleiben. Eines nicht allzu fernen Tages, hoffen die Wissenschaftler, könnten die Kleinanlagen genug Wasserstoff gewinnen, um Häuser damit zu beheizen.

Mehr: rnd windmesse reneweconomy pv-magazine ndr heise

Dieter Dürand

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