Stromriesen machen Tempo bei Wasserstoff-Projekten

Die Bereitstellung grünen Wasserstoffs für die Industrie nimmt Fahrt auf. Eon will im Ruhrgebiet ein Netz für den grünen Energieträger aufbauen; RWE errichtet bei Köln eine Pilotanlage, die Haushaltsabfälle in den sauberen Grundstoff umwandelt.

Zurück in den Kreislauf Aus Müll wird Wasserstoff Foto: Bild von Manfred Richter auf Pixabay

Klar ist, dass viele Industriebetriebe auf die baldige Versorgung mit grünem Wasserstoff (H2) angewiesen sind, um ihre Prozesse klimaschonend umzugestalten. Viele technologische Entwicklungen für die Gewinnung von H2 stecken jedoch noch in den Kinderschuhen. Bereits im Sommer legte die noch amtierende Bundesregierung daher ein acht Milliarden Euro schweres nationales Wasserstoffprogramm zum Aufbau einer funktionsfähigen Infrastruktur auf.

Lukrative Geschäftsfelder fürs nachfossile Zeitalter

Beim neuen Megageschäft wittern findige Startups ihre Chance. Etwa das Berliner Techunternehmen Graforce, dass die kostbare Chemikalie aus Schmutzwasser gewinnt. Vor allem aber sehen die etablierten Energiekonzerne im Wasserstoff die Chance, sich neue lukrative Geschäftsfelder fürs nachfossile Zeitalter zu erschließen.

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So kündigte Eon jetzt an, im Ruhrgebiet ein Verteilnetz für Wasserstoff aufzubauen. Steht es komplett, könnte es Unternehmen, zum Beispiel aus der metallverarbeitenden Industrie und dem Fahrzeugbau, von 2032 an mit jährlich 80 000 Tonnen H2 versorgen. Es soll durch umgebaute Erdgasleitungen der Netztochter Westnetz fließen.

Italien und Spanien mit an Bord

Die Essener erwarten, dass die Nachfrage nach dem Rohstoff allein im Ruhrgebiet von heute 17 auf 150 Terawattstunden zur Mitte des Jahrhunderts steigt. Vorstandschef Leonhard Birnbaum hat eine klare Vorstellung von der Zukunft: „Grüner Wasserstoff ist die einzige wirklich nachhaltige Option zur Dekarbonisierung der Industrie. Dafür werden wir in Deutschland langfristig viel mehr Wasserstoff benötigen, als wir selbst produzieren können.”

Auch aus diesem Grund zieht er das H2-Ruhr getaufte Projekt mit den Energiekonzernen Enel aus Italien und Iberdrola aus Spanien auf. Sie sollen im Wesentlichen den für die klimaneutrale Umwandlung notwendigen Strom beisteuern, produziert in neu installierten Solar- und Windkraftanlagen. In Spanien soll zudem grün erzeugtes Ammoniak hergestellt werden, das Tankschiffe an die Ruhr transportieren. Es kann entweder als chemikalischer Grundstoff direkt genutzt werden. Eon prüft aber auch die Option, daraus an Ort und Stelle den Wasserstoff abzuscheiden.

Begehren nach Fördergeldern

Noch steht das H2-Ruhr-Projekt allerdings unter Vorbehalt. Eon-Chef Birnbaum macht das endgültige Go davon abhängig, ob die EU-Kommission Fördergelder zuschießt. Einmal selbst ohne Staatsknete voll ins Risiko gehen. Davon hält der Multi trotz stattlicher Gewinne ganz offensichtlich nichts.

Dagegen ist der Startschuss für die RWE-Pilotanlage, die der Konzern mit dem Anlagenbauer John Cockerill realisiert, bereits gefallen. In einem speziellen Herdofen rösten die Ingenieure zu Pellets gepressten Hausmüll zu Staub, den sie unter Luftabschluss in Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) aufspalten.

CO2-Ausstoß würde um 380 000 Tonnen sinken

Weil etwa die Hälfte des Abfalls organischen Ursprungs ist, zum Beispiel Textilien oder Papier, ist dieser Teil direkt “grün”. Er gibt nur soviel CO2 wieder frei, wie vorher der Atmosphäre entzogen wurde. Die andere Hälfte titulieren die Ingenieure als “zirkulären Wasserstoff”. Er verbleibt im Stoffkreislauf, weil er etwa auf Plastikmüll zurückgewonnen wird.

Eine Art künstliche Kohlenstoffsenke

Bewährt sich die im Niederaußemer RWE-Innovationszentrum erprobte Furec-Technik (siehe Grafik unten), wollen die Essener diese im Industriepark Chemelot im niederländischen Limburg ganz groß einführen. Da die Abfälle Erdgas als Ausgangsstoff ersetzen, kalkulieren die RWE-Ingenieure, dass sie jährlich mehr als 200 Millionen Kubikmeter Erdgas einsparen können. Dadurch würde der CO2-Ausstoß um 380 000 Tonnen sinken.

Aus Abfällen werden neue Rohstoffe Wie die Kreislauftechnologie Furec funktioniert Grafik: RWE

Was aber geschieht mit dem in der Ofenanlage abgespaltenem CO2? Auch dafür haben die RWE-Experten eine Lösung gefunden. Entweder nutzten die rund 80 Unternehmen im Chemiepark Chemelot den Klimakiller direkt für ihre Prozesse. Oder er wird, so der Plan, über Pipelines zur industriellen Verwertung nach Rotterdam oder ins Ruhrgebiet gepumpt.

Die dritte Möglichkeit wäre, das Treibhausgas dauerhaft unterirdisch wegzusperren und es auf diesem Weg der Atmosphäre zu entziehen. Eine Art künstliche Kohlenstoffsenke.

Mehr: Zeit Industrie & Zukunft

Von Dieter Dürand

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