Frankreich: Härtere Gangart gegen Atomgegner und keine Obergrenze für den Ausbau der Kernkraft

Die französische Nationalversammlung hat einen Gesetzentwurf angenommen, um den Ausbau der Kernkraft zu beschleunigen. Die Höchststrafen für Aktionen militanter Atomgegner wurden ebenfalls angehoben. Linke Abgeordnete befürchten die „Kriminalisierung“ von Aktivisten.

Gendarmerie gegen Protestler Strengere Gesetze gegen militante Atomgegner (Hubert de Thé/Pixabay)
Gendarmerie gegen Protestler Strengere Gesetze gegen militante Atomgegner (Hubert de Thé/Pixabay)

Frankreichs Politiker machen Nägel mit Köpfen. Der gestern angenommene Entwurf soll die Genehmigungsprozeduren bei Bau und die Modernisierung von Kernkraftwerken abkürzen. Bei der Errichtung einer Kernkraftanlage braucht Frankreichs Atommonopolist EDF zumindest für Nebenanlagen nicht mehr auf die Baugenehmigung zu warten. Zusätzlich wird für den Bau von Atomanlagen das Küstenschutzgesetz außer Kraft gesetzt. Enteignungen werden vereinfacht. Und für jedes Reaktorprojekt gilt die Unterstellung eines Vorhabens von großem öffentlichen Interesse. Damit können vor allem Umweltschutzauflagen umgangen werden. Darüber hinaus wurde die bisher geltende Obergrenze für den Anteil der Kernenergie im Strommix von 50 Prozent fallen gelassen. Auch das Strafrecht wird der Atompolitik angepasst: Militante Atomgegner, die den Sicherheitsbereich von AKW verletzen, müssen mit doppelt so hohen Strafen wie bisher rechnen.

„Kriminalisierung der Atomgegner“

Ihnen droht künftig eine Strafe von zwei Gefängnis und eine Geldstrafe von 30 000 Euro. Vereine, deren Mitglieder sich an solchen Straftaten beteiligen, werden förderungsrechtlich in Mithaft genommen. Die zuständigen Gerichte können ihnen öffentliche Beihilfen entziehen. Linke und grüne Abgeordnete bezeichneten die Verschärfung als „völlig unverhältnismäßig“ und sprachen von „Kriminalisierung ökologischer Aktivisten“. Schließlich genüge das Anbringen eines Transparentes beispielsweise an einem Kühlturm, um nach dem geplanten Gesetz mehrere Jahre im Gefängnis zu verbringen. Die Abgeordneten spielten damit auf verschiedene Aktionen von Greenpeace an. Deren Aktivisten waren in den vergangenen Jahren mehrfach in AKW-Gelände eingedrungen, um auf die unzureichende Sicherung hinzuweisen.

Schon bei der ersten Lesung im März war es hoch hergegangen. Ein Abgeordnerter der linken Gruppierung La France insoumise (RFI) hatte einem Parlamentarier der rechtsnationalen Fraktion des Rassemblement National (RN) zugerufen: „Halt die Schnauze“. Die Ministerin für die Energiewende, Agnès Pannier-Runacher, hatte den Kritikern vorgeworfen, die Aktionen militanten Atomgegner zu verharmlosen. Die Gesetzesbrüche der Aktivisten würden romantisiert, auch wenn sie „vollkommen daneben“ lägen.

Einig Volk von Atomfreunden

Zwar ist die strafrechtliche Verschärfung ein Nebenthema. Doch sie zeigt, wie ernst es der Pro-Atom-Fraktion in Regierung und Parlament mit dem Ausbau der Kernkraft ist. Der geplante Teilausstieg vom Jahre 2015, der die Obergrenze von 50 Prozent Atomenergie im Strommix und maximal 63,2 Gigawatt installierter Kernleistung vorsah, ist mit dem Gesetzesprojekt Geschichte.

Für Frankreichkenner überraschend: Statt wie üblich die Gelegenheit für einen gelungenen politischen Streit beim Schopfe zu fassen und das Projekt zu zerreden, waren sich sowohl die Vertreter des Regierungslagers, wie der bürgerlichen Republikaner als auch der rechtsnationalen RN und der Kommunisten schnell einig geworden. Nur die Abgeordneten der linken LFI und der grünen EELV stimmten gegen die Vorlage. Die kleine sozialistische Fraktion enthielt sich.

Die Atombefürworter hegen die Hoffnung, durch das Gesetz der drohenden Lücke in der Stromversorgung zuvor zu kommen. Denn der französische Atompark ist veraltert. Die meisten Anlagen entstanden zwischen 1970 und 1990. Im vergangenen Sommer funktionierte nur die Hälfte der Reaktoren, zum Teil, weil die Flüsse nicht hinreichend Kühlwasser lieferten. Andere litten unter maroden Schweißnähten. Nur ein Reaktor ist zurzeit in Bau. Der Druckwasserreaktor der dritten Generation in Flamanville, Baubeginn 2007, sollte schon 2012 Strom liefern. Ob er, wie vergangenen Dezember angekündigt, im kommenden Jahr tatsächlich anläuft, ist nicht sicher. Statt 3,3 Milliarden Euro wird er voraussichtlich 19 Milliarden Euro kosten.

Fragwürdige Rechtskultur

Dennoch wollen Frankreichs Energiepolitiker sechs, vielleicht sogar acht Reaktoren dieser Bauart errichten lassen. Doch lassen sich durch die vereinfachten Genehmigungsprozesse und die Außerkraftsetzung sinnvoller Vorschriften bestenfalls zwei Jahre Zeit gewinnen. Selbst, wenn es gelingen sollte, künftig Druckwasserreaktoren in nur zehn oder zwölf Jahren zu errichten, kommen auf Frankreich energiepolitisch schwierige Jahre zu. Daran ändern auch Atomgesetze, die stellenweise an die Rechtskultur autoritärer Schwellenländer erinnern, wenig.

Die große Illusion

Der Schulterschluss von 16 europäischen kernkraftfreundlichen Staaten, die sich auf Einladung der Energieministerin Pannier-Runacher gestern in Paris trafen, passt zu diesem Bild. Doch auch die demonstrative Geschlossenheit der europäischen Atom-Phalanx unter französischer Führung kann den Zeitaufwand für atomare Projekte nicht verkürzen. Die geplanten europäischen AKW werden, wenn überhaupt, frühestens ab Ende der Dreißigerjahre anlaufen. Zum Vergleich: Solarpanele lassen sich binnen weniger Wochen genehmigen und installieren. Windkrafträder brauchen etwa vier Jahre – ohne geltendes Recht auszuhebeln.

Mehr: Le Monde, LeParisien

Lothar Schnitzler

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