„Ich hoffe, dass Schulschwänzen am 19. März für alle möglich ist“

Der Sprecher des deutschen Entsorgungskonzerns Alba, Henning Krumrey, kandidiert auf FDP-Ticket im Berliner Wahlbezirk Steglitz-Zehlendorf für den Bundestag. Im Interview mit Greenspotting erklärt er, wie er beides miteinander vereinbart, weshalb er eine neue Plastiksteuer fordert und wie er es mit der Klimaschutzbewegung Fridays for Future hält.

Henning Krumrey, 58, kandidiert für die FDP im Berliner Wahlbezirk Steglitz-Zehlendorf für den deutschen Bundestag. Der gelernte Volkswirt und Journalist arbeitete als Bundestagskorrespondent für den „Focus“ und als stellvertretender Chefredakteur für die „WirtschaftsWoche“, bevor er 2016 Sprecher des Berliner Entsorgungskonzerns Alba wurde (Foto: Werner Schüring)
Herr Krumrey, wie viel hat Ihr Arbeitgeber Ihnen frei gegeben, um Wahlkampf für Ihren erhofften Einzug in den Bundestag zu machen?

ALBA Group hat mir nicht frei gegeben, sondern ich bin auf eine halbe Stelle gegangen. So kann ich sauber trennen, wann ich als Bundestagskandidat unterwegs bin und wann ich für ALBA spreche. Dieses Interview findet mit dem FDP-Kandidaten statt.

Ein Vertreter einer Branche im Bundestag, die sich möglichst viel Abfall zum Entsorgen und zum Wiederverwerten wünscht – müssen sich Menschen mit einem Herz für die Umwelt darauf freuen oder davor fürchten?

Erstens kandidiere ich nicht als Vertreter eines Unternehmens oder der Recyclingbranche für den Bundestag, sondern als Mitglied der FDP, also als Liberaler und Marktwirtschaftler mit Kenntnissen unter anderem in der Wirtschafts-, der Energie- und der Umweltpolitik. Und zweitens hat Fachwissen in der Politik noch nie geschadet. Das darf Menschen mit einem Herz für die Umwelt also freuen. Denn Liberale sind ja nicht gegen Umweltschutz. Auch wir wollen eine CO2-freie Energieerzeugung, sauberes Wasser und saubere Luft. Der Unterschied zu vielen anderen ist, dass wir das mit marktwirtschaftlichen Mitteln erreichen wollen. Das hat nicht nur für  die Menschen mit einem Herz für die Umwelt, sondern für alle Bürger den Vorteil, dass es in der Regel kostengünstiger für sie wird.

Das Bundeskabinett hat die Verschärfung des Verpackungsgesetzes beschlossen. Darunter fällt auch die Pfandpflicht für mehr Getränkeverpackungen. Für Milch in all ihren Varianten soll das allerdings erst von 2024 an gelten. Ist das Feigheit vor den Handelskonzernen und den Molkereien oder unabhängig davon eine weitere Gängelung der Verbraucher?

Es ist vernünftig, Unternehmen und Verbrauchern Zeit zur Umstellung zu geben. Grundsätzlich halte ich die Ausweitung der Pfandpflicht aber für keine Gängelung, sondern es ist ein marktwirtschaftliches und nützliches Instrument. Seit es Pfand auf Einwegflaschen und Dosen gibt, liegen diese kaum noch in der Gegend herum und es fließen in erheblichem Umfang Materialien zurück. Von den PET-Flaschen etwa werden auf diese Weise 94 Prozent wieder eingesammelt. Das Material wird nicht verbrannt und geht dadurch verloren, sondern es wird recycelt.

Wer durch deutsche Lande radelt, erschrickt trotzdem, wie viel leere Zigarettenschachteln, Plastikverpackungen, Fastfood-Behälter und Trinkbecher Autofahrer einfach in Feld und Wald werfen. Müsste der Staat dem Umweltbewusstsein der Deutschen nicht noch viel drastischer auf die Sprünge helfen?

Das Konsumentenverhalten der vergangenen Jahre bereitet mir zugegebenermaßen Sorgen. Früher nahm man sich ein Wurst- oder Käsebrot und Obst mit ins Büro, am besten in der Dose und nicht in der Folientüte. Heute ist hip , wer sich ein abgepacktes Sandwich to go und den entsprechenden Kaffee im Becher kauft und damit loszieht. Weder Einweggeschirr noch -becher landen in der Wertstofftonne, sondern – weil ja unterwegs gegessen werden muss – in der Regel im normalen Mülleimer oder schlimmstenfalls in der Landschaft. Und zudem sind die Einwegbecher meist gar nicht recyclingfähig. Mir persönlich ist es unerklärlich, weshalb man eine Fahrt mit der S-Bahn oder einen Spaziergang nicht auch ohne ein Getränk im Wegwerfgefäß durchhalten kann.

Ist das nicht ein Beweis dafür, dass es ein Pfand auf viel mehr Verpackungen braucht?

Es ist höchste Zeit, die überall entstehenden Mehrwegsysteme mit Pfand auszubauen, um diesen, wie ich finde, völlig sinnlosen Abfallbergen entgegen zu wirken. Einher gehen müsste ein solches System mit Informationen für den Konsumenten,  ob die jeweilige Verpackung recyclingfähig ist. Da die Discounter einen erheblichen Teil der sofort verzehrbaren Gerichte in den Verkehr bringen, könnte man sich vorstellen, dass sie diese Verpackungen mit ihren Pfandautomaten auch zurücknehmen müssen. Dabei würde ein Pfand von 25 Cent auf PET-Flaschen genügen. Dort führt ja schon dieser Betrag dazu, dass die Kunden die Flaschen zurückbringen.

Müsste der Staat die wachsenden Müllberge nicht viel grundsätzlicher angehen und den Umbau der gesamten Produktion in eine Kreislaufwirtschaft fördern – nach dem Prinzip Cradle to Cradle, also eine Produktion ohne unverdauliche Reste für die Natur?

In der Tat müssen wir die Kreislaufwirtschaft ausbauen. Hier sehe ich drei Ansatzpunkte, die mit entsprechenden Informationen für die Verbraucherinnen und Verbraucher einher gehen müssen: Erstens müssen Produkte grundsätzlich reparaturfähig sein, das heißt, es darf zum Beispiel keine Handys geben, die man wegwerfen muss, wenn der Akku den Geist aufgibt oder dessen Ersatz extrem teuer ist. Zweitens müssen Produkte generell recyclingfähig sein. Dies führt zum dritten Punkt: Sie sollten auch aus Recyclingrohstoffen hergestellt werden, denn dadurch benötigen wir viel weniger Ressourcen – und entlasten noch das Klima. Es ist nachgewiesen, dass Rückgewinnung in der Regel nur einen Bruchteil der Energie benötigt, die für die Neuproduktion erforderlich ist, ganz zu schweigen von der Umweltbelastung.

Folgt daraus für einen FDP-Mann nicht, die Neugewinnung von Rohstoffen aus natürlichen Ressourcen etwa durch eine Steuer massiv zu verteuern.

Liberale sind ja mit neuen Steuern immer vorsichtig. Aber eine Steuer ist mehr Marktwirtschaft und intelligenter als ein plumpes Verbot. Wichtig wäre zunächst, die Regularien zu verändern, die den Einsatz von Recyclingmaterial heute verhindern oder unnötig beschränken, etwa im Baugewerbe. Richtig ist aber auch, dass oft erst ein Markt für Rezyklate geschaffen werden muss. Besonders deutlich zeigt sich dies beim Plastik. Hier konkurriert Recyclingkunststoff mit neuem Plastik, das billiger ist, solange der Ölpreis niedrig ist.

Was folgt daraus für Sie?

Auf Recyclingrohstoff aus gebrauchtem Plastik lasten die Kosten der Rückgewinnung. Eine Plastiksteuer auf Neuware, die aus Erdöl hergestellt wird, wäre ein marktwirtschaftlicher Ansatz, um die Umweltbelastung bei der Neugewinnung in den Preis einfließen zu lassen. Das ergäbe einen fairen Wettbewerb mit Recyclingkunststoff. Die von der EU beschlossene Plastiksteuer von  800 Euro pro Tonne nicht recycelte Plastikabfälle führt zu noch mehr Recyclingmaterial. Wir haben aber heute schon eine Menge davon, weil die Recyclingquoten im Verpackungsgesetz schneller gestiegen sind als die Einsatzmöglichkeiten für Rezyklate.

Die Kosten der Energiewende in Form der EEG-Umlage auf Strom martern Staat und Bürger. Stromverbraucher zahlen für die höheren Kosten des Solar- und Windstroms inzwischen 6,5 Cent pro Kilowattstunde. Was würden Sie gegen diese Entwicklung tun, ohne die Klimaziele Deutschlands zu gefährden?

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG, muss abgeschafft werden. Es hat sein Ziel erreicht und mit einem dreistelligen Milliardenbetrag den erneuerbaren Energien einen Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland von gut 50 Prozent beschert. Die Anlagenhersteller und die Betreiber weisen darauf hin, dass der Ökostrom schon jetzt zu gleichen oder sogar niedrigeren Kosten als aus fossilen Quellen erzeugt werden kann. Damit gibt es keinen Grund mehr, neue Anlagen zu subventionieren. Deshalb bin ich für einen möglichst baldigen Stichtag, von dem an die Förderung künftiger Wind- und Solarkraftwerke eingestellt wird. Anlagen, die in der Vergangenheit eine Förderzusage erhalten haben, müssen diese natürlich für die gesamte Laufzeit bezahlt werden – der Staat muss ein verlässlicher Vertragspartner bleiben. Netzzugang muss gewährleistet sein. Gleichzeitig muss die Stromsteuer schrittweise weg, die ja ursprünglich den Strom aus fossilen Quellen verteuern sollte, längst aber den grünen Strom mitbestraft.

Wie soll die Abschaffung des EEG verhindern, dass nicht genug erneuerbare Energien zur Verfügung stehen, wenn spätestens bis 2038 alle Kohlekraftwerke dicht machen?

Da mache ich mir keine Sorgen, sondern vertraue auf die Aussagen der Ökostromproduzenten, die Kilowattstunde für zwei bis drei Cent erzeugen zu können, ob mit Photovoltaik oder mit Windrädern an Land und vor allem auf See. Wenn die Nachfrage da ist und es genügend Wettbewerb gibt, werden sie die benötigten Kapazitäten aufbauen. Allerdings bin ich dafür, die Genehmigungsverfahren zu vereinfachen, um die Übertragungsnetze insbesondere für den Offshore-Windstrom schneller auszubauen, da dieser wegen der Akzeptanzprobleme von Windrädern an Land einen großen Teil der künftigen Versorgung wird tragen müssen.

Die Bundesregierung hat die Prämie für den Kauf eines Elektroautos bis 2025 verlängert. Es gibt bis zu 9000 Euro für reine Stromer und bis zu 6750 Euro für Plug-In-Hybride, die schrittweise immer längere Strecken elektrisch fahren können müssen, um den Umweltbonus zu bekommen. Sind die vermutlich zehn Milliarden Euro Steuergelder richtig investiert, um den Autoverkehr klimafreundlicher zu machen?

In der Form, wie dies aktuell geschieht, habe ich zumindest große Zweifel. Denn ich halte es für falsch, so einseitig batteriebetriebene Fahrzeuge zu fördern. Der Staat sollte keine bestimmte Technologie fördern, sondern es den Herstellern und den Autofahrern überlassen, wie sie den CO2-Ausstoß auf Null bringen. Das können Elektroautos sein, die ihren Strom von Batterien oder von Brennstoffstoffzellen und Wasserstoff beziehen, aber auch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die Biokraftstoff verbrauchen oder mit grünem Strom erzeugte Treibstoffe, sogenannte E-Fuels…

… deren Herstellung eine der größten Energieverschwendungen ist, die man sich vorstellen kann.

Das ist zur Zeit so, völlig richtig. Doch wer sagt uns, dass es keine Innovationen geben wird, die die gegenwärtigen Verluste bei der Umwandlung von Solar- und Windstrom in Wasserstoff und von dort in Strom für Elektroautos signifikant verringern?

Klingt irgendwie, als wollten Sie dem britischen Regierungschef Boris Johnson nacheifern, der sagte, bis 2030 ist Schluss mit den Verbrennungsmotoren im Vereinigten Königreich. Industrie und Autofahrer schaut, wie ihr das hinbekommt!

Nein, das kann natürlich nur jemand leicht sagen, dessen Land einen großen Anteil seiner Autoproduktion verloren hat. Grundsätzlich ist aber auch das ein Technikverbot, nämlich das Verbot von Verbrennungsmotoren. Das ist einfach zu kurz gegriffen. Unser aller Ziel ist doch die Vermeidung von CO2 durch fossile Treibstoffe, nicht die Abschaffung von Verbrennungsmotoren. Niemand kann ausschließen, dass Verbrennungsmotoren mit klimaneutralen wettbewerbsfähigen Treibstoffen einmal dieses Ziel erreichen. Eine solche Chance sollte der Staat nicht verbauen.

Nach dem Atomdesaster im japanischen Fukushima ist Deutschland mit Zustimmung der FDP endgültig aus der Atomkraft ausgestiegen. Nun wollen die USA unter Joe Biden mit neuen angeblich bombensicheren Reaktoren die Atomkraft ausbauen. Würden Sie, wenn sie es in den Bundestag schaffen, das auch wollen?

Die Frage stellt sich in Deutschland für die nächsten Jahre nicht. Die gesellschaftliche Mehrheit gegen die Nutzung der Atomkraft ist eindeutig. Allerdings würde ich hier gern Werner Müller zitieren, den inzwischen leider verstorbenen Wirtschaftsminister unter Rot-Grün und SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der den ersten Atomausstieg entworfen hat. Werner Müller sagte mir vor etwa fünf Jahren: „Es wird eine Renaissance der Kernkraft geben, aber erst, wenn die Grünen sich an die Spitze der Bewegung setzen“. Dies werde seiner Einschätzung nach um 2035 sein.

Eine Frage können wir Ihnen zum Schluss nicht ersparen: Ihr Parteichef Christian Lindner riet den Schülern, die im Namen der Umweltbewegung Fridays for Future dem Unterricht fern blieben und für mehr Klimaschutz demonstrierten, sie sollten lieber zur Schule gehen und den Klimaschutz den Experten überlassen. Für den 19. März ruft Fridays vor Future zum „Globalen Klimastreik“, also wieder zum Schulschwänzen und Demonstrieren auf. Was raten Sie den Schülern?

Zunächst hoffe ich, dass Schulschwänzen am 19. März für alle möglich ist, dass also nicht wieder Lockdown herrscht. Ich plädiere dafür, dass wir uns ergänzen: Die Jugend macht Druck und stellt alles in Frage. Und die FDP liefert ökologisch erfolgreiche und gleichzeitig ökonomisch vernünftige Rezepte, um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen. Das wäre für die Natur, unser Land und alle Generationen die beste Lösung.

Das Interview führte Reinhold Böhmer

 

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