Eine neue Analyse hat die oft beschworene Versorgungssicherheit von Atomkraftwerken ins Reich der Märchen verwiesen. Die Meiler stehen deutlich häufiger still als vergleichbare Kraftwerke.
Die jüngst veröffentlichte Studie des Energie-Thinktanks Energy Brainpool im Auftrage der Ökoenergie-Genossenschaft Green Planet Energy zeigt: Atomkraftwerke haben längere Ausfallzeiten als andere Grundlastversorger wie Wasser- oder Gaskraftwerke. Im Musterland der atomaren Energieversorgung, in Frankreich, waren seit 2018 im Durchschnitt nur zwei Drittel der installierten AKW-Kapazität verfügbar.
Der Analyse zufolge verschlechterten sich in dem untersuchten Beispielland die Verfügbarkeit der Meiler im Durchschnitt langfristig Jahr für Jahr um vier Prozent. Im April und Mai dieses Jahres stand dort nur die Hälfte der installierten Kraftwerksleistung zur Verfügung. Wahrscheinlich wird Frankreich für das laufende Jahr wieder Nettostromimporteur werden. Über Jahrzehnte war das Land Europas größter Stromexporteur.
Laut der Energy-Brainpool-Analyse sind die Ausfälle bei unserem französischen Nachbarn auf Abschaltungen wegen Funktions- und Sicherheitsproblemen, aber auch auf Wartungsarbeiten und Inspektionen zurückzuführen. Hinzu kommen vorsorgliche Drosselungen, um Brennstoff einzusparen. Nach Ankündigungen des Betreibers EDF sollen die verbleibenden funktionsfähigen Meiler im kommenden Jahr nur noch 300 bis 330 Terawattstunden erzeugen. Das ist der niedrigste Wert seit über 30 Jahren. Wenig erstaunlich, dass vor wenigen Tagen drei Topmanager von Energiekonzernen zum Stromsparen aufriefen.
Teure Nachrüstung
Die Ergebnisse der Untersuchung konterkarieren die zunehmenden Forderungen von Politikern und Energiemanagern nach Laufzeitverlängerungen der drei verbliebenen AKW in Deutschland. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Aufwand für die Nachrüstung der seit Jahren zur Abschaltung bestimmten Kernkraftwerke weder unter den Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit noch des zusätzlichen Energie-Outputs zu rechtfertigen sei: „…Laufzeitverlängerungen alter Kernkraftwerke (sind) deshalb als weniger effektiv einzuordnen als Investitionen vergleichbarer Größenordnung in andere Kraftwerkstechnologien.“
„Die Jahrzehnte alten Atomkraftwerke sind kein Baustein einer sicheren Energieversorgung, sondern Risiko und Hemmschuh für den Ausbau erneuerbarer Technologien“, sagt Sönke Tangermann, Vorstand bei Green Planet Energy und ergänzt: „Was bringt uns eine Erzeugungstechnologie, auf die wir uns nicht verlassen können, wenn es darauf ankommt?“
Bröselnde Meiler
Energy Brainpool untersuchte zwar nur Frankreichs bröselnden Atompark. Die Probleme der mangelnden Versorgungssicherheit lassen sich nach Meinung von Sönke Tangermann jedoch auch auf Deutschland übertragen. Die drei Meiler in Deutschland sind mehr als 30 Jahre alt. Unklar ist der technische Nachrüstbedarf für die Laufzeitverlängerung. Möglicherweise müssten die Kernkraftwerke dafür längere Zeit vom Netz gehen. In den vergangenen Jahren seien viele Sicherheitsprüfungen und Wartungsarbeiten zurückgestellt worden, weil die Betreiber von der Abschaltung ausgingen. Diese müssten nachgeholt werden.
Ebenso fehlen Fachleute, Ersatzteile und vor allem Uran. Schließlich hatten die Kernkraftbetreiber fest mit einem Betriebsende im Dezember 2022 gerechnet. Tangermann: „Wer hierzulande behauptet, die drei letzten deutschen AKW würden quasi als Rundum-Sorglos-Paket russisches Gas und Öl ersetzen können, betreibt gezielte Augenwischerei.“
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