Überraschender Sinneswandel: Umweltschützer erwärmen sich für CO2-Speicherung

Lange war die CO2-Speicherung für Umweltschützer tabu. Jetzt machen sie sich mit Industrie und Gewerkschaft dafür stark – dem Klima zuliebe.

Zementwerk von Heidelberg Materials in Brevik an der norwegischen Küste: Null-Klimagas-Emissionen dank CO2-Speicherung
Zementwerk von Heidelberg Materials im norwegischen Brevik Klimaneutral dank CO2-Speicherung
Bild: Heidelberg Materials

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war es einen Abstecher wert. Das erste Werk der Welt, das seit vergangenem November im norwegischen Küstenort Brevik Zement klimaneutral herstellt. Dank CO2-Speicherung. Entwickelt und aufgestellt hat ein deutscher Baustoffkonzern die revolutionäre Anlage: Heidelberg Materials. Sie fängt das bei der Zementproduktion entstehende Kohlendioxid ein, verpresst es für den Transport per Schiff zu ausgebeuteten Öl- und Gasfeldern, wo es dauerhaft eingelagert wird (siehe Grafik weiter unten).

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CO2-Speicherung in ausgedienten Öl- und Gasfeldern

Geläufig ist das Verfahren unter der englischen Bezeichnung Carbon Capture and Storage (CCS). Norwegen praktiziert es seit langem. Dänemark, die Niederlande und Großbritannien treiben mit Macht Pilotprojekte voran. Hiesige Natur- und Umweltschützer sperrten sich bisher vehement gegen die Technologie. Zu unsicher sei, ob das CO2 nicht eines Tages wieder in die Luft gelangt, lautet ein Haupteinwand.

Jetzt die überraschende Kehrtwende der Aktivisten. Seit an Seit mit dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) setzen sich der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und die Tierschutzorganisation WWF Deutschland nun für einen gezielten Einsatz der Technik ein. Zu der gehört auch die unumgängliche Nutzung von CO2 für die Synthese bestimmter Grundchemikalien, CCU abgekürzt.

Die Grafik zeigt den Prozess der CO2-Speicherung im norwegischen Zementwerk Brevik
Abscheiden, verpressen, endlagern Grafische Darstellung des CCS-Prozesses in Brevik
Quelle: Heidelberg Materials

Ohne CCS keine Klimarettung

Auslöser für das Umdenken ist die Sorge um den dramaischen Temperaturanstieg auf der Erde. „Jedes Zehntelgrad Erderhitzung mehr vernichtet Arten und Lebensräume“, schreibt der Nabu. Deshalb sei es wichtig, klimaschädliche Emissionen zu minimieren. Dafür müsse der Einsatz von CCS bei besonders CO2-intensiven Prozesse beispielsweise in der Kalk- und Zementindustrie in Kauf genommen werden. So die neue Einsicht. Das Zementwerk in Brevik erspart dem Klima nach Angaben von Heidelberg Materials jährlich 400 000 Tonnen Kohlendioxid. Die Menge entspricht dem Wegfall von 180 000 Verbrennerautos.

„Erfolgreiche Nachhaltigkeit verlangt Veränderungsbereitschaft, statt an altem Wissen festzukleben“

CCS-Bündnis aus BDI, DGB, Nabu und WWF

„Erfolgreiche Nachhaltigkeit verlangt Veränderungsbereitschaft, statt an altem Wissen festzukleben“, bekundet das ungewöhnliche Bündnis in einer gemeinsamen Erklärung. Und drängt die Ampelregierung dazu, umgehend klare Richtlinien für den künftigen Umgang mit der Technologie festzulegen.

Vorrang für Vermeidung und Ausbau der Erneuerbaren

Zugleich betonen alle vier Verbände in ihrem Thesenpapier. „Wir stehen hinter dem Prinzip CO₂-Vermeidung und Reduktion vor Abscheidung.“ Im Klartext: CO2-Speicherung darf nicht als Feigenblatt dienen, weniger entschieden Gas und Kohle zu verabschieden und den Ausbau der erneuerbaren Energien voran zu treiben.

Soll es flott gehen, müsste Habeck das von Kanzler Olaf Scholz beschworene neue Deutschlandtempo anschlagen. Denn bisher ist CCS hier zu Lande per Gesetz nur für Forschungszwecke und in sehr kleinem Umfang erlaubt. Speicherkapazitäten an Land und in der Nordsee gäbe es nach Berechnungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe indes reichlich: Bis zu 115 Milliarden Tonnen CO2 könnten die Lager theoretisch aufnehmen. Die aktuellen jährlichen deutschen Kohlendioxid-Emissionen passten dort demnach rund 170 Mal hinein.

Neues Deutschlandtempo bei CO2-Speicherung gefragt

Wie schnell die Ampel-Regierung die Steilvorlage der Wirtschafts- und Umweltverbände aufnimmt, wird sich zeigen. Sie ist spät dran. In Europa ist längst ein Wettlauf um kommerzielle CCS-Anwendungen im Gange. Habeck, offenbar auch beeindruckt von seinem Besuch in Brevik, verspricht schnelle Entscheidungen. „Die Arbeiten an unserer künftigen CCS-Strategie sind weit fortgeschritten.“

Mehr: Nabu reuters Welt

Dieter Dürand

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